Juni 2007 |
070606 |
ENERGIE-CHRONIK |
Der Vorstandsvorsitzende der Energie Baden-Württemberg (EnBW), Utz Claassen, will seinen im April 2008 auslaufenden Vertrag "aus strukturellen, professionellen, persönlichen und familiären Gründen" nicht verlängern lassen. Wie er den Aufsichtsrat am 19. Juni wissen ließ, sieht er mit der "erfolgreich abgeschlossenen Sanierung" seine Aufgabe bei EnBW als erfüllt an.
Unklar bleibt vorläufig, was Claassen zu diesem überraschenden Schritt veranlaßt hat. Trotz seiner rüden Umgangsformen, die ihm den Ruf eines "Rambo" (050106) oder gar "Idi Amin" (060318) der deutschen Energiewirtschaft eingetragen haben, galt die Verlängerung seines Vertrags bisher als sicher (070217). Nach Informationen des "Südwestrundfunks" (22.6.) soll Claassens Position aber doch nicht so unangefochten gewesen sein, wie es den Anschein hatte: Die beiden Mehrheitsaktionäre EDF und OEW hätten sich unter größter Geheimhaltung bereits vor Wochen auf die Suche nach einem Nachfolger verständigt. Als Claassen davon erfuhr, habe er gewissermaßen die Flucht nach vorn angetreten, indem er sein Ausscheiden zum 1. Mai 2008 bekanntgab.
Grund für die Unzufriedenheit mit Claassen könnte vor allem seine strategische Erfolglosigkeit sein: Seit seinem Amtsantritt am 1. Mai 2003 hat er dem Energiekonzern zwar ein radikales Sparprogramm verordnet und damit stattliche Bilanzgewinne erzielt (070213), aber es ist ihm nicht gelungen, größere Übernahmen oder Kooperationen zu verwirklichen. Zuletzt scheiterte er mit dem Versuch, sich der Mannheimer MVV als "strategischer Partner" anzudienen (070509). Seine Reputation litt zusätzlich unter dem Gerücht, die EDF wolle sich aus der EnBW zurückziehen und stattdessen den RWE-Konzern übernehmen (070503).
Das "Handelsblatt" (22.6.) berichtete über ein vierseitiges Papier, in dem das Management der EDF sowohl den persönlichen Führungsstil als auch unternehmerische Fehlentscheidungen Claassens kritisiere: Unter seiner Leitung sei das Unternehmen so heruntergewirtschaftet worden, daß es bestenfalls noch als baden-württembergischer Regionalversorger gelten könne. Claassen habe bei der EnBW eine "Kultur des Misstrauens und der Intrige" entstehen lassen. Viele Mitarbeiter hätten deshalb innerlich ihren Dienst quittiert. Man müsse heute mit den Methoden von Kopfgeldjägern nach Leuten suchen, die noch dazu bereit seien, in der Unternehmenszentrale zu arbeiten. Die Entwicklung des EnBW-Konzerns folge keinem erkennbaren strategischen Konzept. Claassen habe die Großaktionäre und den Aufsichtsrat nicht ausreichend informiert. Dadurch sei es zu unternehmerischen Fehlentscheidungen gekommen. Erste Sanierungserfolge, mit denen sich Claassen geschmückt habe, seien tatsächlich einem Sanierungsprogramm zu verdanken, das bereits sein Vorgänger Gerhard Goll initiiert habe.
So habe Claassen 2004 knapp sieben Prozent der Aktien der Österreichischen Elektrizitätswirtschafts-AG ("Verbund") veräußert und damit die Chance aus der Hand gegeben, eine wichtige Rolle auf dem österreichischen Energiemarkt zu spielen (041106). Auch der Verkauf des Parkhausbetreibers Apcoa werde Claassen in dem Papier als Misserfolg angekreidet: Claassen hatte Apcoa 2004 für 265 Millionen Euro an die Beteiligungsgesellschaft Investcorp verkauft (040714), die dann das Unternehmen im Februar 2007 für 885 Millionen Euro an die Beteiligungsfirma Eurazeo weiterverkaufte.
Sowohl EnBW als auch EDF bestritten die Authentizität des Papiers, das dem "Handelsblatt" zugespielt worden war. In der Tat gab es wohl Differenzen zwischen Claassen und EDF. Sie dürften aber nicht so gravierend gewesen sein, um die EDF zu einer solchen internen Radikalkritik am Chef ihrer deutschen "Filiale" zu veranlassen. Immerhin hatte der französische Staatskonzern Claassen noch im März 2006 in sein "Comité éxécutif" berufen (060310) und im vergangenen November mit der Würde eines "Ritters im nationalen Orden der Ehrenlegion" beglückt (061120). Das Papier könnte deshalb auch aus Kreisen ehemaliger oder noch aktiver EnBW-Manager lanciert worden sein, zumal es von intimer Kenntnis der Verhältnisse bei der EnBW zeugt.
Nach dem erklärten Verzicht auf die Vertragsverlängerung ist nicht anzunehmen,
daß Claassen noch bis April 2008 an der Spitze der EnBW stehen wird, obwohl
er bekundet hat, seinen Vertrag bis zum Auslaufen erfüllen zu wollen. Als aussichtsreichster
Kandidat für die Nachfolge galt zunächst EWE-Chef Werner Brinker. Damit
einher gingen Spekulationen über eine künftige Kooperation der EnBW mit
dem großen norddeutschen Regionalversorger, der auch Hauptaktionär der
ostdeutschen VNG ist (070504). Neueren Presseberichten zufolge
hat aber die EDF den E.ON-Manager Hans-Peter Villis für die Nachfolge in Aussicht
genommen, der auch der OEW genehm sei. Villis ist derzeit Finanzchef von E.ON Nordic.