Januar 2006 |
060108 |
ENERGIE-CHRONIK |
Die Staatsanwaltschaft Köln ermittelt gegen etwa hundert Kommunalpolitiker in Nordrhein-Westfalen, die sich als Mitglieder von Kontrollgremien kommunaler Gasversorger von E.ON Ruhrgas zu mehr oder weniger touristisch geprägten Reisen einladen ließen. Dies bestätigte ein Sprecher der Behörde am 18. Januar. Es bestehe der Anfangsverdacht einer Vorteilsannahme. Betroffen sind 28 Kommunen, darunter die Städte Essen, Krefeld, Leverkusen, Euskirchen und Siegburg. Parallel ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen Vorteilsgewährung gegen mehrere Beschäftigte von E.ON Ruhrgas, die für diese Art "Kundenpflege" zuständig waren. Ferner prüft sie, ob auch 50 Lokalpolitiker aus Bayern, Hessen, Rheinland-Pfalz und Saarland auf Kosten des Energiekonzerns gereist sind (SZ, 19.1.; FAZ, 19.1., 20.1.)
Ein beliebtes Reiseziel war die Bohrinsel "Sleiper" vor der norwegischen Küste, um dort den Kommunalpolitikern die Gasförderung zu zeigen. Andere Reisen führten nach Rom, Barcelona, St. Petersburg oder Brügge, ohne daß ein "dienstlicher" Anlaß erkennbar gewesen wäre. Zum Beispiel reisten die Mitglieder des Aufsichtsrats der Stadtwerke Essen für etwa 120.000 Euro nach Spanien, als die Verlängerung des Liefervertrags mit E.ON anstand. Mitunter reisten auch Ehepartner mit. Konzerintern sollen die Veranstaltungen unter dem Motto "Der Kongreß tanzt" gelaufen sein.
Die Ermittlungen begannen bereits im Sommer vergangenen Jahres. Den Anstoß gab ein Zeitungsbericht über die bevorstehende Norwegen-Reise von 18 Mitgliedern der Gesellschafterversammlung und des Aufsichtsrats der Stadtwerke Burscheid, auf den die Staatsanwaltschaft aufmerksam gemacht worden war. Zuvor hatten sich die Burscheider Aufsichtsräte von E.ON zu einem Ausflug nach Strasbourg und zu einem Museumsbesuch in Essen einladen lassen. Im Zuge der Ermittlungen, bei denen auch die Zentrale von E.ON Ruhrgas in Essen durchsucht wurde, stieß die Staatsanwaltschaft auf die anderen Fälle. (SZ, 20.1.)
Um einige der Reisen gab es bereits kommunalpolitische Auseinandersetzungen. So lehnten es im Oktober 2003 die Vertreter von Grünen, FDP und SPD ab, sich an einer von E.ON Ruhrgas finanzierten "Informationsreise" des Aufsichtsrats der Stadtwerke Neuss nach Barcelona zu beteiligen. Im benachbarten Dormagen regte sich im Kommunalwahljahr 2004 öffentliche Kritik an einer von E.ON finanzierten Reise nach Amsterdam, bei der die Aufsichtsräte des kommunalen Versorgers evd ihre Partner mitgenommen hatten. Zuvor waren die evd-Aufsichtsräte auf Kosten von E.ON unter anderem nach Strasbourg und Brügge gereist. (SZ, 21.1.)
Die "Kundenpflege" galt Stadtwerken mit und ohne E.ON-Beteiligung. So ist E.ON an den Stadtwerken Neuss über die Thüga mit 15 Prozent beteiligt. Dagegen gehört die Dormagener evd über RheinEnergie AG (49 Prozent) eher zum geschäftlichen Einflußbereich des RWE-Konzerns. Anscheinend haben sich E.ON Ruhrgas und RWE-Thyssengas die Reisekosten mitunter geteilt, wenn beide Konzerne an einem Stadtwerk beteiligt sind. Die Ermittlungen richten sich deshalb auch RWE-Thyssengas. (FAZ, 23.1.)
Im Zusammenhang mit den von E.ON Ruhrgas finanzierten Reisen wurde bekannt, daß der RWE-Konzern ähnliche Praktiken pflegt. So reisten die Aufsichtsräte der Stadtwerke Hilden nach Strasbourg und Luxemburg, wobei RWE zumindest teilweise die Kosten übernahm. Der Aufsichtsrat der Stadtwerke Remscheid, an denen RWE zu 25 Prozent beteiligt ist, unternahm 2004 einen mehrtägigen Ausflug nach Madrid. Angeblicher Zweck der Reise war die Besichtigung einer Müllsortierungsanlage, obwohl die Stadtwerke Remscheid gar nicht auf diesem Sektor tätig sind. Der Fraktionsvorsitzende der unabhängigen Wählergemeinschaft "WIR" im Remscheider Stadtrat, Wieland Gühne, erstattete wegen dieser und anderer fragwürdiger Reisen seiner Stadtratskollegen Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft Wuppertal. (SZ, 21.1.)
Ein weiteres Mittel, um Kommunalpolitiker bei Laune zu halten, scheint die Berufung in sogenannte Beiräte zu sein. Laut "Süddeutsche Zeitung" (20.1.) hat RWE Energy allein in Nordrhein-Westfalen vier "Regionalbeiräte" eingerichtet, denen jeweils 25 Landräte und Bürgermeister angehören. Jedem Mitglied des Gremiums zahle sie eine Jahresvergütung von 6650 Euro sowie ein Sitzungsgeld von 100 Euro. Die E.ON-Tochter Thüga honoriere die Mitgliedschaft in ihren Beiräten mit jährlich 3750 Euro sowie einem Sitzungsgeld von 250 Euro. Manche dieser Beiräte träfen sich nur ein- oder zweimal im Jahr. Seit dem 1. März 2005 seien die Kommunalpolitiker in Nordrhein-Westfalen verpflichtet, derartige Nebeneinnahmen abzuführen, da sie ihnen im Hinblick auf ihre dienstliche Stellung gewährt werden. Der Landkreistag versuche jedoch, den entsprechenden Erlaß des Innenministeriums mit einem Rechtsgutachten auszuhebeln. (SZ, 20.1.)