Dezember 2004

041213

ENERGIE-CHRONIK


Entlassener KKW-Leiter hatte Sicherheitsmanagement der EnBW scharf kritisiert

Die Entlassung des technischen Leiters des Kernkraftwerks Neckarwestheim II, Eberhard Grauf, durch die Energie Baden-Württemberg (040717) wirft weiterhin Fragen auf. Wie die "Stuttgarter Zeitung" am 29. November berichtete, liegen ihr inzwischen die Protokolle der amtlichen Befragung Graufs durch das baden-württembergische Umweltministerium vor. Demnach war es bei dem Vortrag, den Grauf am 30. Juni vor EnbW-Chef Utz Claassen und anderen Managern gehalten hatte, durchaus und sogar in erster Linie um Fragen der Reaktorsicherheit gegangen. Und es war letzten Endes dieser Vortrag mit scharfer Kritik am Sicherheitsmanagement bei der EnBW gewesen, der zu Graufs sofortiger Entlassung führte, da ihm seine Ausführungen zwar nicht inhaltlich, aber der Form nach als grob unkollegiales, verletzendes Verhalten vorgeworfen wurden.

Die EnBW und das Stuttgarter Umweltministerium bestreiten dagegen weiterhin, daß Differenzen in Sicherheitsfragen bei der Kündigung eine Rolle gespielt hätten: Die Gründe hätten im rein persönlichen Bereich gelegen (040810). Zunächst war auch von "Meinungsverschiedenheiten in Managementfragen" die Rede gewesen.

Der "Stuttgarter Zeitung" zufolge kritisierte Grauf bei der Besprechung am 30. Juni scharf einen Vorfall im Kernkraftwerk Philippsburg, wo während der Revisionsarbeiten an Block 1 am 25. April 2004 leicht kontaminiertes Wasser in den Rhein gelangt war (040409). Wieder hätten mehrere Barrieren nicht gegriffen. Dies zeige, daß die alten Organisationsdefizite noch immer nicht beseitigt seien. Wenn Claassen den Vorfall damit relativiere, daß Wasser sei sogar trinkbar gewesen, verkenne er die Tragweite. Das neue Sicherheitsmanagement, das die EnBW auf Druck der Politik eingeführt habe, bestehe aus "Alibi- und Beruhigungsinstrumentarien". Die verschärfte Aufsicht nötige die Ingenieure, vorrangig Papiere auszufüllen statt sich praktischen Aufgaben der Anlagensteuerung zu widmen. Die Stimmungslage der Kernkraftwerker sei wegen unzumutbarer Arbeitsbelastungen schlecht: Der "Götz-von-Berlichingen-Standpunkt" habe inzwischen "in einem für den sicheren Betrieb eines Kernkraftwerks bedenklichen Maße um sich gegriffen".

Die EnBW reagierte auf den Artikel noch am selben Tag mit der erneuten Versicherung, Grauf sei "allein aus Gründen des Verhaltens gegenüber Vorgesetzten und Kollegen" entlassen worden. "Mit sensationsheischenden Überschriften und selektiv gemixten Detailinformationen müht sich die Stuttgarter Zeitung um den Neuaufguss eines Themas, das rechtlich, administrativ, politisch und publizistisch längst abgearbeitet ist." Die Zeitung habe sich mit diesem Artikel "ins Zwielicht" begeben.

Umweltministerium wollte Zufriedenheit der Kernkraftwerker untersuchen lassen

In einem weiteren Artikel, der sich ebenfalls auf die Protokolle der amtlichen Anhörung stützte, berichtete die "Stuttgarter Zeitung" am 7. Dezember über Pläne des Stuttgarter Umweltministeriums, die Stimmungslage der Kernkraftwerker in Neckarwestheim durch einen externen Fachmann untersuchen zu lassen. Das Vorhaben sei der Geschäftsführung des Kernkraftwerks schon vor Monaten angekündigt worden, bei der EnBW aber auf massive Bedenken gestoßen. Auch der entlassene Reaktorchef Grauf habe bei der erwähnten Besprechung vor einer solchen Zufriedenheitsanalyse gewarnt, da dadurch das Ministerium und die EnBW "in ein ganz großes Dilemma kommen würde". EnBW-Chef Claassen habe darauf entschieden, die Durchführung einer solchen Untersuchung zu verhindern.

Auf diesen Artikel reagierte die EnBW ebenfalls noch am selben Tag, indem sie erklärte: "Es gibt keinen Frust im Kernkraftwerk Neckarwestheim, den die Atomaufsicht des Landes gutachtlich untersuchen sollte oder müßte." Es gebe auch keine "aktuelle" Forderung der Atomaufsicht, die Zufriedenheit der Kernkraftwerker untersuchen zu lassen. Darüber seien sich EnBW-Chef Claassen und der baden-württembergischer Umweltminister Mappus in einem am selben Tag geführten Telefongespräch "vollkommen einig" gewesen.

Grauf nicht erneut in die RSK berufen

Wie die "Stuttgarter Zeitung" bereits am 3. November berichtete, hat die EnBW unmittelbar nach der Entlassung von Grauf auch dessen Abberufung aus der Reaktorsicherheitskommission (RSK) gefordert. Infolge des Ausscheidens bei der EnBW erfülle er "nicht mehr das Anforderungsprofil für eine Mitgliedschaft in der Kommission", argumentierte Technikvorstand Thomas Hartkopf in einem Schreiben an das Bundesumweltministerium. Für die Nachfolge unterbreite man "gerne einen im Betreiberkreis abgestimmten Vorschlag". Das Ministerium wies dieses Ansinnen indessen zurück: "Mit seiner Fachkenntnis und Erfahrung sowie seiner offenen und unvoreingenommenen Argumentation" sei Grauf "eine wichtige Stütze" der RSK. Die Kommission sei außerdem kein gemeinsames Gremium von Bundesaufsicht und Kernkraftwerksbetreibern, sondern diene allein der fachlichen Beratung des Ministeriums.

Anscheinend wollte das Ministerium damit in erster Linie seine Zuständigkeit für die Besetzung der RSK verdeutlichen. Grauf befindet sich jedenfalls nicht unter den sieben Mitgliedern der 13köpfigen Kommission, die am 23. Dezember von Bundesumweltminister Trittin erneut in das Gremium berufen wurden. Insgesamt mußten zehn von dreizehn Stellen neu besetzt werden. Neu berufen wurden Detlef Appel (PanGeo,. Hannover), Anton Erhard (BAM, Berlin) und David Emond (Experte der französischen Kernkraftwerke). (Zur RSK siehe auch 990303, 020118, 040315)

Etappen eines monatelangen Streits

Mit der Entlassung Graufs im Juli 2004 hatte eine monatelang andauernde Auseinandersetzung um das Sicherheitsmanagement in den EnBW-Kraftwerken begonnen. Neue Nahrung erhielt die Debatte, als die EnBW den technischen Geschäftsführer des Gemeinschaftskraftwerks Neckarwestheim, Werner Zaiss, ebenfalls seines Postens enthob (040918). Anlaß war dabei eine ähnliche Panne, wie sie sich am 25. April 2004 mit dem Austritt leicht kontaminierten Wassers in Philippsburg ereignet hatte. Die späte Meldung dieser Panne war vom Landesumweltministerium als Fehlverhalten gerügt worden. Zaiss wollte diesen Vorwurf jedoch nicht akzeptieren. Nachdem er sich deshalb in eine Kontroverse mit Umweltminister Stefan Mappus (CDU) verstrickt hatte, verfügte EnBW-Chef Claassen seine unverzügliche Entlassung. Zugleich gab Claassen bekannt, daß er künftig "auch kleinste Oberflächlichkeiten im Kommunikationsverhalten nicht mehr dulden" und eine "kompromißlose Null-Fehler/Null-Toleranz-Politik" verfolgen werde. Diese Ankündigung war wiederum für den neuen Wirtschaftsminister Ernst Pfister (FDP) der Anlaß, die Frage nach einem Einschüchterungseffekt bei den Kernkraftwerkern und einer daraus resultierenden Beeinträchtigung der KKW-Sicherheit aufzuwerfen (041015). Im Unterschied zur Beflissenheit, die sie gegenüber Mappus bekundete, reagierte die EnBW auf Pfisters Anfrage in einer Weise, die nach Feststellung des Ministers "die Regeln des Anstands" verletzte. Erst nach einer neuerlichen Zuspitzung wurde der Konflikt Mitte November beigelegt (041112). Die vorläufig letzte Runde der Polemik begann, nachdem die "Stuttgarter Zeitung" aus den Protokolle der Grauf-Anhörung zitierte. Befremden rief dabei erneut hervor, wie der Energieversorger die führende Qualitätszeitung des Südwestens nolens volens ins "Zwielicht" rückte und sie belehren zu müssen glaubte, was ein "publizistisch längst abgearbeitetes" Thema sei.