November 2004 |
041112 |
ENERGIE-CHRONIK |
Die Fehde zwischen EnBW-Chef Claassen und dem baden-württembergischen Wirtschaftsminister Ernst Pfister (041015) ging im November zunächst noch weiter. Am 12. November veröffentlichte die EnBW dann eine Pressemitteilung, wonach in einem Gespräch mit Vertretern der Landesregierung "alle Mißverständniss ausgeräumt" worden seien. Claassen wolle nun die auf Fachebene erzielte Klärung und Verständigung über die Sicherheitsstrategie in den EnBW-Kernkraftwerken "baldmöglichst in einem Gespräch mit Wirtschaftsminister Ernst Pfister untermauern".
Anlaß zur Fortsetzung des Streits war ein schon vor fünf Wochen verfaßter Brief von Bundesumweltminister Trittin an den EnBW-Technikvorstand Thomas Hartkopf, den beide Seiten unterschiedlich interpretierten. In dem Schreiben vom 27. September hatte Trittin die Ankündigung "einer Politik der Null-Toleranz in Sicherheitsfragen" zwar begrüßt, aber hinzugefügt: "Ich muß ausdrücklich darauf hinweisen, daß die Möglichkeit der offenen Diskussion von Sicherheitsfragen innerhalb des Unternehmens wesentlicher Bestandteil eines effektiven Sicherheitsmanagements ist, wie ich es von den deutschen Atomkraftwerksbetreibern erwarte. Dies schließt ein, daß kein Beschäftigter befürchten muß, Kritik an der Sicherheit des Anlagenbetriebs führe zu persönlichen Nachteilen."
Gegenüber der "Heilbronner Stimme" (4.11.) zeigte sich Pfister "sehr verwundert", daß Claassen diesen Brief als schriftliche Zustimmung Trittins zu der von ihm angekündigten "kompromißlosen Null-Fehler/Null-Toleranz-Politik" werte. Da sei "einfach nicht die Wahrheit" verbreitet worden. Außerdem wiederholte der Minister seine Kritik an Claassens Umgangsformen: "Ich hätte erwartet, daß auch ein hoher Wirtschaftsführer die Regeln des Anstands beachtet."
Die EnBW reagierte noch am selben Tag mit einer ungewöhnlich polemischen Pressemitteilung: Pfister habe "erneut Öl ins Feuer" gegossen. Sein gesamtes Verhalten sei ein "Eingriff in die sensibelsten Bereiche der Hoheitssphäre eines Unternehmens". Vieles aus seinem Ministerium sei für die EnBW inzwischen "nicht mehr einlassungsfähig". Mit dem Vorwurf, Claassen habe nicht die Wahrheit gesagt, habe Pfister nun endgültig "rechtliches Glatteis" betreten. Weiter hieß es, der EnBW-Kommunikationschef Hermann Schierwater sehe "keinerlei Anlaß, auch nur ein einziges Wort von seiten des Unternehmens und namentlich ihres Vorstandsvorsitzenden zu korrigieren".
Am folgenden Tag drohte die EnBW in einer weiteren Pressemitteilung dem Minister sogar mit einer Unterlassungsklage und Schadenersatzansprüchen, falls er seine "ungeheuerliche Behauptung" wiederhole, der EnBW-Chef habe nicht die Wahrheit gesagt. Das Wirtschaftsministerium ließ seinerseits per Pressemitteilung ausrichten, Pfister habe nicht die Absicht gehabt, "Herrn Claassen der Unwahrheit zu bezichtigen". Der Minister halte es indessen für "fatal, wenn im Zusammenhang mit der von der EnBW verfolgten Null-Fehler/Null-Toleranz-Strategie weiter vor allem um Begrifflichkeiten gestritten würde".
Dem Vernehmen nach hatte Claassens Ankündigung
einer "kompromißlosen Null-Fehler/Null-Toleranz-Politik" unter der
EnBW-Belegschaft tatsächlich eine Verunsicherung bewirkt, zumal unter
Claassen schon mehrere Führungskräfte ihre Posten verloren haben
(030706, 030806, 040717,
040918).
Noch unvergessen ist außerdem, wie der für seine ruppigen Umgangsformen
bekannte Amtsvorgänger Gerhard Goll zwei technische Vorstände
wegen einer Panne im Kernkraftwerk Philippsburg zum Rücktritt nötigte
(
011001) oder seinen eigenen Pressesprecher
desavouierte (030117). Die EnBW hat deshalb
schon am 24. September in einem unternehmensinternen Rundbrief an die Beschäftigten
der Kraftwerksgesellschaft klargestellt, daß die "Null-Fehler/Null-Toleranz-Politik"
im Sinne einer Geisteshaltung zu verstehen sei, die keine Nachlässigkeiten
dulde. Sie bedeute nicht, daß Fehler automatisch arbeitsrechtliche
Konsequenzen hätten, denn "wo gearbeitet wird, können und dürfen
auch Fehler gemacht werden".