Februar 2004

040204

ENERGIE-CHRONIK


BfS-Präsident fordert vorzeitiges Abschalten von fünf Kernkraftwerken wegen Terror-Risikos

In die erneut aufgeflammte Debatte um das Terror-Risiko bei Kernkraftwerken hat sich im Februar auch der Präsident des Bundesamtes für Strahlenschutz (BfS), Wolfram König, eingeschaltet. Gegenüber der "Berliner Zeitung" (21.2.) forderte er die Kernkraftwerksbetreiber auf, die fünf Reaktoren Philippsburg 1, Isar 1, Brunsbüttel, Biblis A und Obrigheim früher stillzulegen, als dies nach den bisher vorgesehenen Restlaufzeiten der Fall wäre. Verschiedene Umweltverbände sowie Politiker von Grünen und SPD schlossen sich dieser Forderung an. Aus dem Bundesumweltministerium hieß es dazu, König habe lediglich auf die Möglichkeit verwiesen, Restlaufzeiten von älteren auf neuere Kernkraftwerke zu übertragen.

Die genannten fünf Reaktoren weisen nach Königs Worten die "größte Unsicherheit" auf, falls sie von Terroristen mit einer entführten Passagiermaschine angegriffen würden. Dies gehe aus Analysen der Gesellschaft für Reaktorsicherheit (GRS) hervor. Die deutschen KKW-Betreiber seien "ihrer Verantwortung noch nicht in dem Maße gerecht geworden, wie es nach dem 11. September 2001 nötig gewesen wäre", meinte König. Die vorzeitige Abschaltung der fünf Reaktoren sei auch wirtschaftlich vertretbar, da die Betreiber ohne weiteres die Möglichkeit hätten, deren Restlaufzeiten auf neuere Anlagen zu übertragen.

Wolfram König war 1999 auf Vorschlag von Bundesumweltminister Jürgen Trittin an die Spitze des Bundesamtes für Strahlenschutz berufen worden (990305). Auch die Reaktorsicherheitskommission und die Strahlenschutzkommission wurden damals von der rot-grünen Regierung neu besetzt (990303, 990519). Ferner bekam die Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit (GRS) eine neue Leitung (020118).

EnBW will Obrigheim und Philippsburg 1 weiterbetreiben

Die Energie Baden-Württemberg (EnBW) wies Königs Ausführungen als "nicht nachvollziehbar" zurück. Nach dem 11. September 2001 hätten die KKW-Betreiber in enger Abstimmung mit den verantwortlichen Behörden eine Reihe von Schutzmaßnahmen geplant und großteils bereits verwirklicht, die jedoch nicht öffentlich diskutiert werden könnten, um ihre Wirksamkeit nicht zu gefährden. Es sei unverständlich, daß der BfS-Präsident sich vorab zu Fragen äußere, die noch in der gutachterlichen Prüfung seien. Die EnBW besitzt die Anlagen Philippsburg 1 und Obrigheim. Die anderen drei Reaktoren gehören RWE (Biblis A), E.ON (Isar 1) und Vattenfall (Brunsbüttel).

Das KKW Obrigheim hätte aufgrund der Vereinbarungen zwischen Bundesregierung und KKW-Betreibern eigentlich schon Ende 2002 abgeschaltet werden müssen, doch konnte die EnBW aufgrund einer Geheimzusage von Bundeskanzler Schröder eine Laufzeitverlängerung bis zum 15. November 2005 erwirken (021212). Die zusätzlichen Strommengen für Obrigheim wurden von der Laufzeit für Philippsburg 1 abgezogen, die sich dadurch um etwa elf Monate verkürzt.

Falsche Ministeriums-Angaben zu "Isar 1"

Inzwischen stellte sich heraus, daß der im Januar entfachte Wirbel um ein bisher unveröffentlichtes Gutachten der Gesellschaft für Reaktorsicherheit (GRS) in dem einzigen Punkt, in dem das Papier neue Erkenntnisse zu enthalten schien, von falschen Voraussetzungen ausging: Der Siedewasserreaktor Isar 1 sei nicht einmal gegen den Absturz eines "Starfighters" gesichert, hatte es geheißen. Presse und Politiker stützten sich dabei auf eine Zusammenfassung der GRS-Studie durch das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU) vom 27. November 2002, die jedoch in diesem Punkt falsch war, da sie Isar 1 einer falschen Kategorie zuordnete. Der Leiter der Abteilung Strahlenschutz im BMU räumte am 3. Februar den Fehler ein. Die "Süddeutsche Zeitung" (7.2.), die sich mehrfach in großer Aufmachung der mangelnden Sicherheit von Isar 1 gewidmet hatte, sprach von einem "Informations-GAU" und warf Bundesumweltminister Trittin "falsches Spiel" vor.

Zehn KKW sind gegen den Absturz einer "Phantom" ausgelegt

Im Original-Gutachten hatte die GRS den Schutz gegen Terror-Angriffe an fünf Kernkraftwerken unterschiedlicher Bauarbeit untersucht (Emsland, Krümmel, Biblis B, Obrigheim, Brunsbüttel) und die übrigen KKW näherungsweise diesen Referenzanlagen zugeordnet. Die sichersten Druckwasserreaktoren (Auslegung gegen Absturz einer "Phantom"-Maschine) sind demnach Emsland, Neckarwestheim 2, Isar 2, Brokdorf, Philippsburg 2, Grohnde und Grafenrheinfeld. Weniger sicher (Auslegung gegen Absturz einer "Starfighter"-Maschine) sind Biblis B, Unterweser und Neckarwestheim. Am gefährdetsten (keine Auslegung gegen unfallbedingten Flugzeugabsturz) sind Obrigheim, Biblis A und Stade (Stade wurde inzwischen stillgelegt). Bei den Siedewasserreaktoren sind Krümmel sowie Gundremmingen B und C gegen den Absturz einer "Phantom" ausgelegt und Isar 1 gegen den Absturz eines "Starfighters", während Brunsbüttel und Philippsburg 1 über keine besonderen Sicherungen gegen Flugzeugabstürze verfügen. Dieser Befund deckt sich übrigens mit den Ergebnissen einer Studie, die von der Umweltorganisation Greenpeace bereits im November 2001 veröffentlicht wurde (040115).