Die Tageszeitungen der USPD und der KPD für Mannheim und Baden entstanden aus der Revolution nach dem ersten Weltkrieg. Die "Tribüne" wurde 1922 eingestellt. Die "Rote Fahne" wurde 1922 in "Arbeiter-Zeitung" umbenannt. |
Am Abend des 4. Januar 1919 stürmte eine erregte Menge das Gebäude des "General-Anzeigers". Sie drückte das verschlossene Tor ein, demolierte die Portiersloge, zerfetzte Zeitungspakete und schlug Scheiben ein. (67) Nach einem furchtbaren Weltkrieg entlud sich so die Wut der Bevölkerung über das Blatt der herrschenden Kreise, das bis zum letzten Kriegstag zum "Durchhalten" für die Kriegsziele des deutschen Großkapitals getrommelt hatte.
Die Wut war verständlich. Der "General-Anzeiger" ließ in diesen Tagen - kurz vor den Wahlen zur Badischen Nationalversammlung - keine Gelegenheit aus, um Sozialdemokraten und Kommunisten als wahrhaftige Teufel erscheinen zu lassen. Besonders empörte die Arbeiterschaft ein am selben Tag, in der Abendausgabe, erschienener Wahlaufruf, der den Angriffen die Spitze aufgesetzt hatte. (68) Es scheinen vor allem Arbeitslose gewesen zu sein, die darauf erst eine Wahlversammlung der "Deutschnationalen Volkspartei" sprengten und anschließend zum Gebäude des "General-Anzeigers" zogen. (67)
Der "General-Anzeiger" rief unmittelbar nach der Revolution von 1918 zur Wahl der "Deutschen Demokratischen Partei" auf, die in Mannheim als bürgerliches Sammelbecken unter Einschluß rechtester Kreise fungierte. (69) Die "Deutsche Volkspartei", zu der sich der "General-Anzeiger" bald darauf bekennen würde, trat zu diesem Zeitpunkt in Mannheim noch nicht in Erscheinung. Dies entsprach der Taktik, eine Zersplitterung des bürgerlichen Lagers angesichts der drohenden gesellschaftlichen Umwälzung zu verhindern. (70) Dementsprechend lehnte der "General-Anzeiger" sowohl die organisatorische Verselbständigung der "Deutschnationalen" als auch das Auftreten unabhängiger bürgerlicher Kandidaten ab. Ansonsten war er nach Sprache und politischem Standort jedoch kaum von den Deutschnationalen zu unterscheiden.
Ganz im Stil der deutschnationalen Hetze gab der "General-Anzeiger" seiner Genugtuung über die Ermordung der Arbeiterführer Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg Ausdruck. Zunächst verbreitete er die Lüge, daß Liebknecht bei einem "Fluchtversuch erschossen" und Rosa Luxemburg von einer "erregten Volksmenge erschlagen" worden seien. (71) Anschließend höhnte er: "Seien wir ehrlich: In diesem Augenblick überwiegt das Gefühl der Erleichterung." (72)
Kurz darauf wurde der Vorsitzende der bayerischen Räterepublik, Kurt Eisner, auf offener Straße ermordet. Im Anschluß an eine Trauerkundgebung - die bürgerliche Presse schätzte 10000 Teilnehmer - kam es in Mannheim zur offenen Rebellion. Bewaffnete Arbeiter stürmten Gefängnisse, Amtsgericht und Polizeidirektion. Der Hauptbahnhof wurde besetzt. Die badische Regierung verhängte den Belagerungszustand über Mannheim. Erst nach vierzehn Tagen wurde er wieder aufgehoben.
Dieser Aufstand war ein verzweifelter Versuch, die von den rechten Sozialdemokraten bereits verspielte Revolution noch zu retten. Das Ausmaß der Erbitterung über die SPD-Führungen in Karlsruhe und Berlin läßt sich daran ablesen, daß die aufständischen Arbeiter zwar das Gebäude der sozialdemokratischen "Volksstimme" besetzten und später mit Maschinengewehren zurückzuerobern versuchten, zugleich aber die bürgerliche Presse, ihren Hauptgegner, praktisch unbehelligt ließen. Lediglich bei der "Neuen Badischen Landes-Zeitung" erschienen bewaffnete Arbeiter und verlangten den Druck eines revolutionären Aufrufs. Der "General-Anzeiger" blieb genauso ungeschoren wie das "Mannheimer Tageblatt" und das "Neue Mannheimer Volksblatt". Die Direktion des "General-Anzeigers" war hinterher der Ansicht, daß die wundersame Verschonung des Betriebs den "Verhandlungen mit mehreren Vertrauensleuten unseres technischen Personals" zu verdanken gewesen sei. (73)
Die Mannheimer Bourgeoisie ließ in diesen unruhigen Tagen auch schon mal Gratis-Exemplare des "General-Anzeigers" verteilen. So wurden im Dezember 1918 durchziehende Soldaten gezielt mit hunderten von Gratis-Exemplaren eingedeckt. Als die sozialdemokratische "Volksstimme" deshalb mutmaßte, der "General-Anzeiger" könne infolge Abonnenten-Schwundes seine Druckauflage nicht mehr an den Mann bringen, bequemte sich die Zeitung zu dem Eingeständnis: "Die einzelnen Soldaten haben die Zeitung nicht bezahlt. Die Zeitungen sind von einem Kreis Mannheimer Bürger gekauft und verteilt worden, der es für angemessen hielt, daß die heimkehrenden Frontsoldaten auch die Auffassung der bürgerlichen Parteien von der inneren Lage Deutschlands kennen lernten." (74)
Dem Verdacht, zuviel Druckpapier zu haben, wollte sich damals keine Zeitung aussetzen. Wegen des wachsenden Rohstoffmangels während des Krieges war Mitte 1916 das Zeitungsdruckpapier kontingentiert und die Abgabe von Freiblättern verboten worden. Nach Ende des Krieges wurde die Situation eher noch schlimmer. Am 6. Dezember 1918 teilte der "General-Anzeiger" seinen Inserenten mit, "daß die immer empfindlicher werdende Papiernot uns zwingt, die Größe der Anzeigen nach Gutdünken selbst zu bestimmen." (75) Dieses "Gutdünken" sah dann so aus, daß beispielsweise der Traktorenfabrikant Lanz, der ja im Aufsichtsrat des "General-Anzeigers" saß, eine ganze Anzeigenseite erhielt, um die Entlassung eines Angestellten öffentlich rechtfertigen zu können ... (76)
Den etablierten Mannheimer Tageszeitungen entstanden unterdessen Konkurrenten auf dem linken Flügel. Es handelte sich einmal um die "Tribüne", die als Organ der USPD vom März 1919 bis September 1922 erschien. Das andere Blatt war "Die Rote Fahne", die als Organ der neugegründeten KPD ab Anfang 1919 zuerst unregelmäßig als Flugblatt, im Mai 1919 aber schon drei- bis viermal wöchentlich erschien. Im Oktober 1920 hatte sie eine Auflage von 5900 Exemplaren und war eine der sieben Tageszeitungen, über welche die KPD in Deutschland verfügte. Ab 1. Mai 1922 bis zu ihrem endgültigen Verbot 1933 war sie als "Arbeiter-Zeitung" mit einer Auflage von ca. 20000 Exemplaren das Organ der KPD für Mannheim und Baden. (77)
Das Übergewicht der bürgerlichen Presse wurde durch diese beiden Neugründungen indessen nicht gefährdet, zumal die beiden größten bürgerlichen Blätter - die "Neue Badische Landes-Zeitung" und der "General-Anzeiger" - weiterhin zweimal täglich erschienen. Ein Vorschlag von sozialdemokratischer Seite, wegen der herrschenden Papierknappheit doch auf einmal tägliches Erscheinen überzugehen, wurde vom Verein Südwestdeutscher Zeitungsverleger im Oktober 1919 entrüstet zurückgewiesen. (78)
Als endgültig klar war, daß die Revolution von 1918 zwar den Kaiser in Berlin und den Großherzog in Karlsruhe, nicht aber das kapitalistische Gesellschaftssystem beseitigt hatte, fand auch der "General-Anzeiger" wieder zu seiner alten politischen Fahne zurück: Er wurde nun das Organ der schwerindustriellen "Deutschen Volkspartei", in der Stresemann die Kerntruppe der ehemaligen Nationalliberalen gesammelt hatte. (79)
Praktisch war der "General-Anzeiger" aber auch die Lektüre der Deutschnationalen, jenes reaktionärsten Teils der ehemaligen Nationalliberalen, der später zum unmittelbaren Steigbügelhalter des Hitlerfaschismus wurde. Die Deutschnationalen verfügten in Mannheim nur vorübergehend über eine eigene Zeitung, die in den zwanziger Jahren erscheinende "Mannheimer Rundschau", bei der es sich um den Ableger eines auswärtigen Blattes handelte. (80)
Die "Neue Badische Landes-Zeitung", die den Verfall der ehemaligen demokratischen Partei bis hin zu Naumanns "nationalsozialer" Demagogie mitvollzogen hatte, bekannte sich unterdessen zur "Deutschen Demokratischen Partei" (DDP). Unter dem alten politischen Firmenschild konnten die "Volksstimme", das Organ der SPD, und das "Neue Mannheimer Volksblatt", das Organ der Zentrumspartei, weitermachen. Das "Mannheimer Tageblatt" blieb das Labsal des unpolitischen Spießers.