Rechts: Ernst Bassermann, Führer der nationalliberalen Reichstagsfraktion, war von 1902 bis 1917 Vorsitzender des Aufsichtsrats des Mannheimer "General-Anzeigers".

Links: Der Berliner Zeitungskönig Dr. Wolfgang Huck kaufte den "General-Anzeiger" Ende 1920 und gliederte ihn als "Neue Mannheimer Zeitung" seinem Presseimperium ein, das sich über ganz Deutschland erstreckte. Die Huck-Blätter hielten es politisch mit der DVP oder der DDP. Ansonsten waren sie typische Vertreter der Anzeigenpresse.

Das Ende der Selbständigkeit

Wie der "General-Anzeiger" von den Banken saniert und an den Huck-Konzern verkauft wurde

Infolge der Papierknappheit während des Ersten Weltkriegs war der Umfang der Zeitungen erheblich geschrumpft. So hatte der "General-Anzeiger" schon 1915 nur noch 5268 Seiten Jahresumfang gegenüber 8648 im letzten Friedensjahr. (81) Während sich die Papierknappheit noch verschärfte und der Umfang der Zeitungen noch geringer wurde, kletterten die Abonnements-Preise infolge des Rückgangs der Anzeigenerlöse in die Höhe. Umso reichlicher standen patriotische Phrasen zur Verfügung, um die fortgesetzten Aufschläge den Lesern schmackhaft zu machen: "Seit 19 Monaten steht das deutsche Volk gegen eine Welt erbitterter Feinde im schweren Kampf um seine Existenz", posaunte der Verein Deutscher Zeitungsverleger in einem Aufruf. "In voller Kenntnis ihrer vaterländischen Pflichten und mit einer inneren Geschlossenheit und Selbstlosigkeit, wie man sie noch nie erlebt, hat auch die deutsche Presse vom ersten Tage dieses Ringens auch sich in Reih und Glied gestellt, um innerhalb der Kreise ihrer ernsten und verantwortlichen Aufgaben die Waffe zu führen, die ihr in die Hand gegeben ist." Nach dieser säbelrasselnden Einleitung folgte die Mitteilung, daß der "General-Anzeiger" wieder mal um 10 Pfennig teurer würde. (82)

Am 1. März 1920 hatte der Bezugspreis des "General-Anzeigers" 6 Mark im Quartal erreicht - eine horrende Summe im Vergleich zur Vorkriegszeit, aber ein letzter Rest von Geldwertstabilität im Vergleich zu dem, was nun folgte. (83) Auf dem Höhepunkt der Inflation, im Herbst 1923, betrug der Bezugspreis des "General-Anzeigers" wöchentlich 12 Milliarden Papiermark. Kassiert wurde sofort. Wer binnen drei Tagen den fälligen Betrag fürs Wochen-Abonnement nicht bezahlt hatte, mußte bereits den um viele Milliarden gestiegenen Preis für nächste Wochen-Abonnement zahlen. (84) Bald wurden Scheine unter einer Milliarde gar nicht mehr im Zahlungsverkehr verwendet, sondern gleich als Makulatur gesammelt und zum Altpapierhändler gebracht. (112):

Die Inflation kam natürlich nicht von ungefähr. Sie wurde vom deutschen Großkapital ausgenutzt und gefördert, um die Lasten des Versailler Friedensvertrages abzuwälzen. Für diese Kreise als Besitzer von Produktivvermögen war die Inflation ein gigantisches Geschäft. Für die Mittelschichten mit ihrem Geldvermögen bedeutete sie den Ruin. Den Lohnabhängigen beschnitt sie ihr Einkommen bis aufs Lebensminimum.

Zu den Opfern der Kriegs- und Nachkriegsjahre gehörte auch mancher kleine bis mittlere Zeitungsbetrieb, der im Wettlauf mit der Inflation nicht Schritt gehalten hatte und mit zerrütteten Finanzen zur willkommenen Beute stärkerer Verlage wurde. So mußte das altväterlich geführte "Mannheimer Tageblatt" 1923 in eine Aktiengesellschaft umgewandelt werden und die Mehrheit der Anteile an den Ludwigshafener Verlagskonzern Waldkirch abtreten. (85) Sogar die "Neue Badische Landes-Zeitung", die kurz vor Kriegsbeginn ihr neues Druck- und Verlagsgebäude am Kaiserring gegenüber dem Hauptbahnhof bezogen hatte, geriet ins Schleudern und mußte sich dem Ullstein-Konzern in Berlin anlehnen. Es heißt auch, daß ihr Inhaber Gütermann finanziell von seinem Schwiegervater Jacob Feitel, dem Besitzer der Walzmühle und Eichbaum-Brauerei, abhängig gewesen sei. Jedenfalls war das renommierte Flaggschiff der Mannheimer und badischen Presse keineswegs mehr so autark, wie es nach außen den Anschein hatte. (86)

Auch beim "General-Anzeiger" kriselte es. Am 26. Juni 1917 gab es auf der Gesellschafterversammlung lange Gesichter, denn die "Dr. H. Haas'sche Buchdruckerei GmbH" schloß mit dem enormen Verlust von 225000 Mark ab. (56) Vier Wochen darauf starb der Aufsichtsratsvorsitzende Ernst Bassermann im feudalen Kurort Baden-Baden. Das Begräbnis Bassermanns geriet noch einmal zu einer pompösen Beschwörung jener bürgerlichen Welt des wilhelminischen Deutschland, die sich mit ihrem kriegslüsternen Machthunger selbst zum Untergang verurteilt hatte. Alles, was in den herrschenden Kreisen Deutschlands Rang und Namen hatte, kondolierte oder erschien persönlich zur Beerdigung. Unter den brausenden Orgelklängen "Deutschland, Deutschland, über alles ..." wurde der Sarg Bassermanns im Krematorium dem Feuer übergeben - zugleich der gespenstische Schlußakt unter ein Kapitel des "General-Anzeigers". (62)

Während der "General-Anzeiger`' weiterhin täglich zum Durchhalten in einem aussichtslos gewordenen Krieg aufforderte und seine chauvinistischen Parolen verbreitete, schritt das Großkapital zur wirtschaftlichen Sanierung des Blattes. Dies ging so vor sich, daß das Stammkapital von 450000 Mark auf 700000 Mark erhöht wurde. Der aufgestockte Betrag entsprach also etwa der Höhe des Verlustes. Jeweils die Hälfte des Betrags, 125000 Mark, wurde von der Süddeutschen Disconto-Gesellschaft AG und der Rheinischen Creditbank aufgebracht. In der späteren Gesellschafterliste waren die beiden Mannheimer Banken mit Anteilen von 121000 bzw. 139000 Mark vertreten. Sie hatten demnach noch einige Anteile abgestoßen bzw. hinzuerworben. Beide Banken besaßen fortan Sitze im Aufsichtsrat. Die Diskonto-Gesellschaft ließ sich durch ihren Mannheimer Direktor Theodor Frank, die Rheinische Creditbank durch Dr. Karl Jahr vertreten.

Bereits im Frühjahr 1919 wies das Unternehmen wieder einen Reingewinn von 185.752 Mark und 92 Pfennig aus, so daß man zuversichtlich zum Erwerb des Bassermann-Hauses am Marktplatz schreiten konnte. Diese Transaktion wurde bereits in aller Ausführlichkeit geschildert. Durch die Anteile, die dabei für die Bassermann-Sippe abfielen, erhöhte sich das Stammkapital auf 900.000 Mark. Der Kreis der Aufsichtsräte wurde am 21. November 1919 um den Bassermann-Angehörigen Otto Klemm und den Rechtsanwalt Friedrich König erweitert.

Vielleicht hatte man sich mit der Kaufsumme von 775.000 Mark für das Bassermann-Haus doch übernommen, denn schon am 8. Dezember 1920 ging der "General-Anzeiger" in Besitz des Huck-Konzerns über, eines der größten Zeitungskonzerne des damaligen Deutschland, der im selben Atemzug mit solchen Giganten wie Ullstein, Mosse und Scherl genannt werden mußte. Huck übernahm zunächst 712.000 Mark des Stammkapitals. Bis Anfang 192k erwarb er auch die Anteile der übrigen Gesellschafter. Der. Aufsichtsrat war überflüssig geworden und wurde abgeschafft. Der Konzernchef Dr. Wolfgang Huck bestimmte fortan allein über Geschäfte und politische Richtung des Blattes.

Dieser Eigentümerwechsel ging heimlich vor sich. In der Mannheimer Öffentlichkeit, in der über die Art der Bindung des "General-Anstreichers" an die Nationalliberalen ohnehin nur verschwommene Vorstellungen bestanden, sollte keinesfalls bekannt werden, daß die Zeitung fortan einem millionenschweren Zeitungskönig in Berlin gehörte. Deshalb wurde auch die geschäftliche Fassade der "Dr. H. Haas'schen Buchdruckerei GmbH" nicht angetastet. Damit die erforderliche Zahl der Gesellschafter gewahrt blieb, überließ Huck von den insgesamt 900000 Mark Stammkapital einen Anteil von jeweils 10000 Mark seinem Bruder Waldemar Huck und dem Mannheimer Direktor Ferdinand Heyme. (56)

Dem Huck-Konzern sind wir im Zuge unserer Darstellung bereits einmal begegnet, und zwar 28 Jahre früher, als er dem Dr. Haas nach dessen Abwanderung aus Mannheim bei der Gründung der "Münchener Zeitung" unter die Arme griff. Der Konzern war etwa zur selben Zeit entstanden, als der Dr. Haas seine zweite Zeitungsgründung, den "General-Anzeiger"- in Mannheim herausbrachte. Der Konzernchef August Huck war ursprünglich Besitzer einer Schriftgießerei in Offenbach am Main. Wie der ehemalige Bürgermeister Dr. Haas betrachtete Huck seine Zeitungen als reine Kapitalanlage. Allerdings betrieb er das Geschäft in weit größerem Stil und mit weit größerem Erfolg. Als er 1911 starb, reichte sein Zeitungsimperium von Stettin über Breslau, Dresden, Kassel, Nürnberg und München bis nach Stuttgart. Seine Blätter erreichten eine Gesamtauflage von 700000 Exemplaren. Das mag für heutige Verhältnisse nicht überwältigend klingen. Damals lag jedoch die Durchschnittsauflage einer deutschen Tageszeitung bei nicht viel mehr als 8 000 Exemplaren.

Der Sohn des Gründers, Dr. Wolfgang Huck - seinen Doktor der Philosophie erwarb er sich mit einer Dissertation über das Kleinanzeigengeschäft- ergänzte das Imperium seines Vaters nunmehr um den Mannheimer "General-Anzeiger". Im Verbund des mächtigen Konzerns überstand der "General-Anzeiger" die Inflation. Wie wenig die Inflation, die in ganz Deutschland die Mittelschichten ruinierte, den wirklich Besitzenden anhaben konnte, geht aus der Tatsache hervor, daß sich der Dr. Huck zur selben Zeit in Berlin-Dahlem, Dohnenstieg 2, eine schloßähnliche Villa errichten ließ. Er war in seinen Wohnansprüchen noch nie bescheiden. So hatte er nach seiner Übersiedlung von Frankfurt am Main nach Berlin zunächst am "Pariser Platz 1", direkt hinter dem Brandenburger Tor, in nobelster Gesellschaft mit Diplomaten, Adeligen und sonstiger Creme gewohnt. (56) Jetzt ließ er sich, dem Geschmack der höchsten Kreise folgend, eine schloßähnliche Villa im Landhaus-Stil errichten. Dem Huck-Architekten Breslauer diente dabei das Schloß Paretz als Vorbild. Beim Tapezieren der Wände verwendeten die Handwerker die neuesten Zeitungen mit Inflationsmeldungen als Makulatur. Die Villa des Zeitungskönigs inmitten eines über 10 000 Quadratmeter großen Parks bildete so einen hohnvollen Gegensatz zur Not der Mittelschichten und des Proletariats, aus denen sich die Leserschaft seiner Zeitungen rekrutierte.

Hochgestellt, wie der Zeitungskönig, waren auch seine Nachbarn: Schräg gegenüber wohnte später der SS-Führer Heinrich Himmler. Weitere Nachbarn aus der Nazi-Prominenz waren der Feldmarschall von Brauchitsch, NS-Landwirtschaftsminister Darre und der nach der Ermordung Röhms zum Nachfolger bestellte SA-Führer Lutze. Als die Luftangriffe auf Berlin begannen, zog sich Huck in eine andere Villa in der Nähe von Berchtesgaden zurück. Als er 1966 im Alter von 77 Jahren in München starb, war er noch immer ein reicher Mann. Unter anderem war er Miteigentümer des CSU-nahen "Münchener Merkur", des Nachfolgers der "Münchener Zeitung", die einst der Dr. Haas im Auftrag des Huck-Konzerns gegründet hatte. (88)

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