Wir haben die Geschichte des "Mannheimer Morgen" mit der Gründung des "General-Anzeigers" im Jahre 1884 beginnen lassen. Infolge der späteren Zusammenlegung dieses Blattes mit dem "Mannheimer Journal" ergibt sich jedoch eine noch weiter zurückreichende Traditionslinie, die vom "General-Anzeiger" wie von der späteren "Neuen Mannheimer Zeitung" stets beansprucht worden ist. Beide Blätter datierten ihre Jahrgänge ab 1790, dem Gründungsjahr des "Mannheimer Journals". Daß dies zu Reklamezwecken erfolgte, soll kein Hindernis sein, dieser aufgepfropften Tradition auf den Grund zu gehen.
In seiner "Geschichte der Stadt Mannheim zur Zeit ihres Überganges an Baden" erwähnt Karl Hauck "das durch die Stiftung der Rätin Winkopp reich dotierte Bürgerhospital, das sich zum großen Teile aus eigenen Mitteln erhalten konnte, weil es außer den reichen Fonds noch ein ausgedehntes Verlagsrecht besaß". Hauck fährt dann fort: "In seinem inneren Wesen aber entsprach es der hohen Aufgabe, die es zu erfüllen hatte, so wenig, daß mancher arme Kranke den wöchentlichen Taler, der ihm von der 'katholischen Gesellschaft' bei Krankheitsfällen gespendet wurde und den er bei häuslicher Pflege verzehren konnte, der kalten und meist gefühllosen Hilfe vorzog, die ihn im Hospital erwartete." (45)
Das so beschriebene Katholische Bürgerhospital in E 6, 2 hatte 1789 vom Kurfürsten Karl Theodor die Konzession für eine Druckerei erhalten. Am 4. Mai 1790 erschien in dieser Druckerei die erste Ausgabe des "Mannheimer Intelligenzblatts". Der Titel des Blattes darf nicht zu der Annahme verführen, daß es besondere Anforderungen an die Intelligenz seiner Leser gestellt hätte. Vielmehr leitet er sich vom ursprünglichen Sinn des lateinischen Wortes "intellegere" ab, das soviel wie "Einsicht nehmen" bedeutet. Die Intelligenzblätter enthielten lediglich Anzeigen und Bekanntmachungen und wurden deshalb auch nicht zu den Zeitungen gerechnet. (46)
Als reines Anzeigenblatt überlebte das "Mannheimer Intelligenzblatt" das totale Verbot, das Napoleon 1810 über die Presse des Großherzogtums Baden verhängte. (47) Später gab es zwar neben Anzeigen auch die Rubrik "Inländische Nachrichten", aber deren Inhalt beschränkte sich auf Huldigungen der großherzoglichen Familie, etwa Berichte über die Geburt eines Thronfolgers und das anschließende Befinden der Landesmutter. Was die Untertanen wirklich dachten und bewegte, erfuhr man allenfalls indirekt, etwa aus einer amtlichen Bekanntmachung des Jahres 1814: Sie warnte vor der Verbreitung von Flugschriften, aus welchen die "schändliche Absicht" hervorgehe, "die Untertanen zur Aufwiegelung gegen ihre Souverains zu reizen, und das wechselseitige für das Staatenwohl so nötige und heilsame Band zwischen beiden durch boshafte Hinstellung eines täuschenden Blendwerks zu schwächen". Solchen "Volksaufwieglern" wurden harte Strafen angedroht. (48)
Ab Januar 1819 nahm das Intelligenzblatt den Titel "Mannheimer Tageblätter" an. Es brachte jetzt mehr Artikel belehrender und unterhaltender Art. Am 17. August 1819 tauchte erstmals die Rubrik "Politische Nachrichten" auf. Die Redaktion schuldete den Lesern dafür eine Erklärung und gab sie mit der ersten veröffentlichten politischen Nachricht: "Das am 11ten d.M. erschienene großherzogliche Staats- und Regierungsblatt enthält die höchste bundesherrliche Verordnung, daß den Lokalblättern, mit Ausnahme der Kreis-Anzeigeblätter, erlaubt ist, politische Artikel aus den im Inlande erscheinenden Zeitungen aufzunehmen." Es versteht sich, daß die "im Inland" (d.h. im Großherzogtum Baden) erscheinenden Zeitungen, aus denen der Nachdruck gestattet war, ihrerseits der Zensur und dem Privilegierungszwang unterlagen.
Ab Januar 1825 wurden die "Mannheimer Tageblätter" endlich ihrem Namen gerecht und erschienen täglich bzw. sechsmal wöchentlich. Neben Gedichten trug jetzt auch ein Fortsetzungsroman zur Unterhaltung bei. Eine andere Serie versprach die "Chronologische und synchronistische Darstellung der merkwürdigsten Weltbegebenheiten von Christi Geburt bis auf unsere Zeiten". Man merkte das Bemühen, die Leser bei der Stange zu halten und das Blatt interessanter zu gestalten. Dazu bestand auch Anlaß, denn der Bezugspreis hatte sich infolge des häufigeren Erscheinens verdoppelt.
Im Jahre 1837 änderte das Blatt seinen Titel schließlich in "Mannheimer Journal". Die einzelnen Stadien bis zur Pachtung des Blattes durch die Nationalliberalen und seine Zusammenlegung mit dem "General-Anzeiger" des Dr. Haas sind der folgenden Übersicht zu entnehmen:
Jahr | Titel | Ausgaben/Woche |
1790 | Mannheimer Intelligenzblatt |
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1792 | Mannheimer Intelligenzblatt |
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1819 | Mannheimer Tageblätter |
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1825 | Mannheimer Tageblätter |
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1836 | Mannheimer Tageblatt |
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1837 | Mannheimer Journal |
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1887 | Zusammenlegung des "Mannheimer Journals" mit dem "General-Anzeiger" des Dr. Haas |
In den vierziger Jahren machte dem müden "Mannheimer Journal", das noch immer der katholischen Kirche gehörte, der große Erfolg der demokratischen "Mannheimer Abendzeitung" arg zu schaffen, zumal ihm das "Mannheimer Morgenblatt" auf der anderen Seite die reaktionären Leser wegnahm. Besorgt verfolgte der Vorstand des Katholischen Bürgerhospitals die sinkende Auflage. 1845 beschloß er, das Schiffchen lieber mit dem Strom schwimmen als es versinken zu lassen. Der langjährige Redakteur mußte im Juni 1845 sein Amt "nach dem Willen des wohllöblichen Vorstandes des Katholischen Bürgerhospitals" niederlegen. Neuer Redakteur wurde der bekannte Demokrat Gustav Struve. (49)
Tatsächlich gewann das "Mannheimer Journal" unter der neuen Leitung zahlreiche neue Leser, darunter allerdings auch den Zensor, der dem Blatt bis dahin keine Beachtung zu schenken brauchte. Schon im August 1845 forderte die Kreisregierung den Vorstand des Katholischen Bürgerhospitals unverblümt auf, Struve zu entlassen oder den Kurs des Blattes auf andere Weise zu ändern. Der Vorstand, im Konflikt zwischen Loyalität und Geschäft, entschied sich zunächst fürs Geschäft. Darauf ernannte die Kreisregierung das reaktionäre "Mannheimer Morgenblatt" anstelle des Journals zum Amts- und Kreisverkündiger. Auch beim erzbischöflichen Ordinariat und in der ersten Kammer mißfiel der freisinnige Kurs des Journals. Als sich die Konflikte immer mehr häuften und die Zensur die Daumenschrauben immer fester anzog, legte Struve am 10. Dezember 1846 die Redaktion nieder. (50) Offensichtlich war er dazu vom Vorstand des Katholischen Bürgerhospitals genötigt worden, denn in den Konstanzer "Seeblättern" beklagte Struve anschließend das Los des Journalisten, der nicht nur mit der äußeren Zensur, sondern auch mit der inneren Zensur durch die Eigentümer des Blattes zu kämpfen hat: "Die Schwierigkeiten seiner Lage vermehren sich aber noch, wenn er nicht Eigentümer des von ihm redigierten Blattes ist. Der Verleger sucht nämlich in diesem Falle immer auch seinen Ansichten und Bestrebungen Geltung zu verschaffen, wodurch nicht selten der Redakteur in die unangenehme Alternative versetzt wird, entweder mit dem Verleger, oder mit seinen eigenen Grundsätzen oder endlich gar mit dem Publikum brechen zu müssen.'' (5l)
Zum Ruf des "Mannheimer Journals", sein Mäntelchen in den jeweils herrschenden Wind zu hängen, trug vor allem sein Verhalten in der Revolution von 1848/49 bei. Das Blatt war bis zum Mai-Aufstand 1849 unter der schwarz-rot-goldenen Flagge gesegelt und vertrat die halbherzig-liberalen Positionen der Mannheimer Bourgeoisie. Bei den Demokraten galt es als unsicherer Kantonist. Diese Einschätzung wurde bestätigt, als das Journal im Mai 1849 eine Proklamation des geflüchteten Großherzogs abdruckte. Die "Mannheimer Abendzeitung" fragte sogleich nach dem Preis dieser Dienstleistung. Das "Mannheimer Journal" mimte den gekränkten Ehrenmann: "Wir haben gegen eine solche Gemeinheit nur das Schweigen der Verachtung." (52)
Als sich die Niederlage der badisch-pfälzischen Revolutionsarmee abzeichnete, bereitete das "Mannheimer Journal" seinen Übergang zur fürstlichen Reaktion vor und stellte sich mit der Mannheimer Bourgeoisie offen auf die Seite der Konterrevolution. Kaum waren die preußischen Truppen in Mannheim einmarschiert, überschüttete es die demokratische Bewegung mit orientalisch anmutenden Schimpfkaskaden: "Wir erwachen immer mehr wie aus einem Rausche oder wie aus einem bösen Fiebertraum; einer sieht den anderen verwundert an und fragt ihn, was denn eigentlich geschehen, und wie es so geschehen konnte. Man fängt an zu begreifen, daß der seit vorgestern erfolgte Umschlag der öffentlichen Stimmung die einzige, innerlich und wahrhaft gerechtfertigte Revolution gewesen ist, die je in Mannheims Mauern gemacht wurde, daß alles, was die anarchische Partei seither für Revolution ausgab, nur eine Treibhauspflanze war, großgezogen an der Wärme einer erlogenen Begeisterung, aufgewachsen in dem Mistbeete unreiner Leidenschaften, aber keine Revolution, deren Folgen heilsam, weil ihre Ursachen gerechtfertigt und ihre Motive im Bewußtsein des Volkes begründet waren." (53)
Dank dieses wortgewaltigen Kotaus vor den Preußen überlebte das "Mannheimer Journal" wiederum als einziges Mannheimer Blatt die Konterrevolution nach der demokratischen Bewegung der Jahre 1848/49. Mit wüsten Beschimpfungen verfolgte es nunmehr die ehemaligen Führer der demokratischen Bewegung, vornehmlich den Mannheimer Zivilkommissar Trützschler, der von den Preußen standrechtlich erschossen wurde. Es offenbarte sich damit als die Stimme jener "elenden Mannheimer Bourgeoisie", die Trützschler noch als Todeskandidaten verhöhnte und sogar den Vorsitzenden des preußischen Standgerichts zur Bekundung seines Ekels vor soviel Gemeinheit veranlaßte. (54)
So sah also die Tradition aus, die der Dr. Haas im Jahre 1888 seinem "General-Anzeiger" aufpfropfte. Es war eine Tradition des Anzeigenwesens, der Hofberichterstattung, des politischen Opportunismus und übelster Reaktion, die in der Tat ganz vorzüglich zu dem späteren "General-Anzeiger" zu passen scheint.
Sicher ist es auch kein Zufall, daß die Entwicklung vom kurfürstlichen Anzeigenblatt des Jahrs 1790 bis zum heutigen "Mannheimer Morgen" die einzige durchgehende Linie im Mannheimer Pressewesen bildet. Alle Blätter, die auf dieser durchgehenden Linie lagen, haben ihren Besitzern in erster Hinsicht als Erwerbsquelle gedient, sei es als Pfründe der katholischen Kirche oder als Kapitalobjekt eines Unternehmers.
Die demokratischen Zeitungen, die in den dreißiger und vierziger Jahren des vorigen Jahrhunderts einen mutigen Kampf gegen Zensur und feudale Unterdrückung fochten, nehmen sich dagegen wie Sternschnuppen aus. Sie erloschen meist nach kurzer Zeit, oft schon nach Monaten, weil sie verboten, beschlagnahmt oder bis zur Unleserlichkeit zensiert wurden. (55)