"Schloß Röschenauer Höhe": Hier starb Dr. Hermann Haas als Seniorchef und Aufsichtsratsvorsitzender der "Münchener Zeitung". |
In diesem Kapitel wenden wir uns vorübergehend von der eigentlichen Geschichte des Mannheimer "General-Anzeigers" ab, um den weiteren Lebenslauf seines Gründers Dr. Hermann Haas zu verfolgen, nachdem ihn seine nationalliberalen Parteifreunde aus Mannheim hinauskomplimentiert hatten. Dabei wird sich zeigen, daß die vermeintliche Abschweifung unversehens wieder zum Thema zurückführt.
Allzulange scheint es den Dr. Haas nicht in Italien gehalten zu haben. Schon 1892 finden wir ihn bei seiner dritten Zeitungsgründung, diesmal in München, wo er ab 27. September 1892 als Herausgeber des "General-Anzeigers der kgl. Haupt- und Residenzstadt München" auftrat. Damit verwirklichte Haas endlich das, was seine Mannheimer Gründung infolge der politischen Verwicklungen nur dem Namen nach geblieben war, nämlich einen echten General-Anzeiger. Die Zeitung wurde bald das meistgelesene Blatt der bayerischen Hauptstadt. Ab 16. September 1898 führte sie den Titel "Münchener Zeitung". (36)
Der von Haas 1892 gegründete "General-Anzeiger der kgl. Haupt- und Residenzstadt München" wurde zum meistgelesenen Blatt der bayerischen Hauptstadt. |
Freilich war Haas bei dieser Zeitungsgründung nur das ausführende Organ. Den finanziellen Rückhalt gab dabei nämlich der "General-Anzeiger-König" August Huck, der damals in Frankfurt am Main wohnte, wo auch der Vater von Hermann Haas seine Bankgeschäfte betrieb. (37)
Diesem Huck-Konzern werden wir 28 Jahre später erneut begegnen, nämlich dann, wenn Wolfgang Huck, der Sohn des "General-Anzeiger-Königs", den angeschlagenen "Mannheimer General-Anzeiger" aus den Händen der Nationalliberalen übernehmen und seinem Imperium einverleiben wird. - Eine späte Genugtuung für den Dr. Hermann Haas, den zu diesem Zeitpunkt freilich längst der Rasen deckt.
Haas beschränkte sich auch bei seiner Münchener Zeitungsgründung nicht auf die Rolle des Herausgebers und Miteigentümers, sondern nahm maßgeblichen Einfluß auf die redaktionelle Gestaltung des Blattes. Bis 1898 zeichnete er offiziell für die Redaktionsleitung verantwortlich. In der ersten Ausgabe des Blattes hieß es pathetisch: "Wir wollen, erhaben über das Treiben der Parteien ... ein Volksblatt sein, das frei und unabhängig der Wahrheit die Ehre gibt und unentwegt eintritt für das Recht des einzelnen und das Wohl der Gesamtheit ..."
Der Wahlspruch des neuen Blattes lautete: "Alles für, alles durch den Leser." - Offenbar eine Abwandlung jenes Mottos, unter dem einst das "Pfälzisch-Badische Volksblatt", die erste Zeitung der Sozialdemokratie in Mannheim, bis zu ihrem Verbot erschienen war: "Alles für das Volk, alles durch das Volk."
Nunmehr stellte sich derselbe Dr. Haas, der einst in Mannheim um die Leserschaft der Sozialdemokraten geworben hatte, auf einen klaren "monarchischen Standpunkt". Seinem "Volksblatt" setzte er zur Aufgabe, "seine Leser über das ewig Schöne, Wahre und Gute zu begeistern, dagegen die Auswüchse und Entartung in Kunst und Literatur in aller Entschiedenheit zu bekämpfen".
Zur "entarteten" Kunst zählte der Jugendstil, der sich um diese Zeit in München zu regen begann. Als im Januar 1896 die erste Ausgabe der Zeitschrift "Jugend" erschien, die der neuen Kunstrichtung in Deutschland ihren Namen gab, überbot sich das Blatt des Dr. Haas in Schmähungen: "Ein literarisches Machwerk, das sich mit Emphase als ,Jugend' ankündigt und schon mit den Zügen abgelebter Greisenhaftigkeit ins Leben tritt, eine Verhöhnung, eine Satire auf den guten Geschmack ..." usw.
Haas residierte inzwischen in einem schloßähnlichen Gebäude im Münchener Villen-Vorort Ebenhausen. Es thronte in beherrschender Lage auf einer Anhöhe im Ortsteil Zell über dem Isartal. "Schloß Röschenauer Höhe", wie das 1840 erstellte Anwesen nach dem Erstbesitzer Rudolf Röschenauer genannt wurde, ist noch heute das eindrucksvollste Gebäude in Ebenhausen-Zell. Außer der Eingangshalle erinnert allerdings nicht mehr viel die ursprüngliche Bestimmung als großbürgerlicher Wohnsitz. Das Gebäude dient nach mehrfachen Umbauten als Krankenhaus und Pflegeheim.
Besitzbürgerlich, wie der Wohnstil, war das Verhältnis des Dr. Haas zu den Künsten. Schon beim "General-Anzeiger" in Mannheim hatte er sich als Theaterkritiker betätigt. Bei der Münchener Zeitung übernahm er nicht nur die Gesamtleitung der Redaktion, sondern widmete sich mit besonderem Eifer dem Feuilleton, das er etliche Jahre seiner direkten Regie unterstellte.
Privat versuchte sich Haas unterdessen als Schriftsteller und Dichter, wobei er den etwas kurz geratenen Flügeln seines Genius mit Geld und Beziehungen nachzuhelfen verstand. Als erstes verfaßte er den Text zur Oper "Der Pfeifer von Hardt" des Mannheimer Hofkapellmeisters Ferdinand Langer. Als die Oper schließlich im Januar 1894 ihre Uraufführung am Stuttgarter Hoftheater erlebte, erging sich der Münchener "General-Anzeiger" fast ein Jahr lang in den weitschweifigsten Lobeshymnen. Jede Wiederholung der Stuttgarter Aufführung war einen eigenen Bericht wert, jede Rollenbesetzung wurde genauestes registriert. Haas rückte außerdem zahlreiche Reklametafeln ins Blatt, um der Oper und seinem Textbuch zur gebührenden Beachtung zu verhelfen. Es half freilich wenig. Man wird die Oper heute in allen Verzeichnissen vergebens suchen.
Der Mann, der die Jubelberichte von der Uraufführung am Stuttgarter Hoftheater geliefert hatte, erhielt zur Belohnung eine feste Anstellung. Es handelte sich um Arthur Haun, der in Mannheim zunächst als Theaterkritiker der "Neuen Badischen Landes-Zeitung" tätig gewesen war, dann zum "General-Anzeiger" des Dr. Haas übergewechselt war und nunmehr von seinem früheren Prinzipal nach München geholt wurde. Haun blieb bis 1912 Kritiker der "Münchener Zeitung". Dann machte er seinem Leben freiwillig ein Ende, indem er mit seiner Frau in einem Bergwald bei Kärnten Gift nahm. Ihre Leichen wurden erst im Frühjahr 1913 aufgefunden. (36)
Im selben Jahr, in dem "Der Pfeifer von Hardt" zur Aufführung gelangte, ließ Haas sein Schauspiel "Das Recht" drucken. (38) Wenig später folgte "Der Dorflump". (39) Es handelte sich in beiden Fällen um rührselige Volks- und Heimatstücke; sozusagen um einen theatralischen Aufguß jener Mischung, mit der Haas so erfolgreich die Spalten seiner Zeitung füllte. Auf der Bühne war ihm das Glück jedoch weniger hold. Nach wenigen Aufführungen verschwanden die Stücke in der wohlverdienten Versenkung. Ein drittes Schauspiel mit dem Titel "Das G'spusi" gelangte gar nicht erst zur Aufführung. (40)
Immerhin vermitteln diese Stücke aufschlußreiche Einblicke in die Persönlichkeit ihres Verfassers. Sie künden vom Drang des Dr. Haas, nicht nur als Zeitungsverleger und Schloßbesitzer, sondern auch als Schöngeist anerkannt zu werden. Hinzu dürfte Haas in der Welt der Bühne so etwas wie die kompensatorische Befriedigung seines Ehrgeizes gesucht haben, nachdem er in der realen Rolle des Volkstribuns - nämlich als Demokrat in Weinheim und als Arbeiterfreund in Mannheim - zweimal gescheitert war. Bewußt oder unbewußt sind ihm dabei zahlreiche autobiographische Details in die Feder geflossen. So ist "Der Dorflump" zwar in den bayerischen Bergen angesiedelt. Aber schon in der Einleitung des Stückes verläuft eine neugebaute Eisenbahn akkurat so zwischen zwei Ortschaften wie die seinerzeit heftig umstrittene Fehlplanung der Main-Neckar-Bahn, die sowohl an Mannheim als auch an Heidelberg vorbeigeführt wurde. In der Gestalt des "Dorflumps", eines unbeugsamen Bürgermeisters, der von den Bürgerschaft davongejagt und verspottet wird, bis ihm endlich Recht widerfährt, rehabilitiert sich Haas offenbar selbst. Noch in der Gestalt des "Schmiedsepp", der dem verfemten Bürgermeister als einziger die Stange hält, bis auch er von ihm abfällt, glaubt man den Weinheimer Industriellen Freudenberg zu erkennen. Während im Stück der "Schmiedsepp" ein Auge fast einbüßt, weil er einem Mädchen in allzu aufdringlicher Weise nachstellt, war es bei Hermann Ernst Freudenberg allerdings ein explodierender Lackkessel in seiner Weinheimer Lederfabrik, der ihm das linke Augenlicht gefährdete ...4)
Im Schauspiel "Das Recht" geht es um einen Wirt, der fälschlicherweise wegen Mordes an seiner Frau verurteilt wird. Natürlich triumphiert dann am Ende doch noch das Recht, dank eines edelmütigen Rechtsanwalts, der nebenbei das Töchterchen des noblen Oberstaatsanwalts und eine reiche Erbschaft aus den USA einheimst. In dieses Stück scheint Haas unter anderem seine Eheprobleme eingebracht zu haben. Die ermordete Frau des Wirts ein wahrer Hausdrache, die ihren Mann tatsächlich mitunter zu Mordgedanken gereizt hat - heißt nämlich Marie, genauso wie die Ehefrau des Verfassers Dr. Haas. Die Geliebte des Wirts dagegen, eine treue Seele, die unermüdlich um die Rehabilitierung des Verurteilten kämpft, heißt Lisbeth. Man wird hinter dieser Kurzform des Namens Elisabeth wohl eine andere Kurzform desselben Namens vermuten dürfen - Lilli Arber, eine in München lebende Dichterin von mäßiger Begabung, die dem Dr. Haas nicht nur als Mitarbeiterin, sondern auch privat sehr eng verbunden war. (36)
Haas war erst fünfzig Jahre alt, als er am 31. August 1902, nachmittags um vier Uhr, auf seinem Schloß Röschenauer Höhe einer "tückischen Krankheit" erlag. In einer Danksagung der Witwe Marie nebst Sohn Otto wurde der Dahingeschiedene als "Schriftsteller" und "Ritter hoher Orden" apostrophiert. (42)
Die "Münchener Zeitung" trauerte um ihren Seniorchef und Vorsitzenden des Aufsichtsrates. Im Nachruf des Blattes rühmte ihn der Redakteur Max Neal als einen der "ersten Offiziere der großen Journalistenarmee". Der militärische Vergleich paßte: Zum einen war Haas tatsächlich, wie der Erfolg seiner Blätter bewies, ein talentierter Journalist mit Gespür für die "volkstümliche" Blattmischung. Zum anderen war er als Verleger und Herausgeber stets "Offizier". Das Los des gewöhnlichen Lohnschreibers, der für sein Gehalt täglich mit Kopf und Hand zu Diensten sein muß, blieb ihm als Abkömmling aus reichem Hause erspart. Haas wechselte seine politischen Kostüme stets in der Kapitänskajüte auf dem Kommandodeck, nicht in der Mannschaftsunterkunft. Er war, um eine Figur aus Gustav Freytags Lustspiel "Die Journalisten" zu variieren, ein "Schmock de luxe" ...
Eine unverhoffte Würdigung wurde dem Werk des Dr. Haas viele Jahre nach seinem Tod zuteil: Da galt die "Münchener Zeitung" den publizistischen Taschenträgern des faschistischen Regimes als hervorragendes Beispiel einer "Volks- und Führungszeitung", an der sich aufzeigen lasse, "wie die Kraftquellen aus den Tiefen des Volkstums, des altbayerischen Grundcharakters entspringen und wie sie, geläutert und geadelt durch die Presse, wiederum dem Volke, d.h. dem Leser zufließen". (43)
Bleibt nachtragen, was aus der "Münchener Zeitung" geworden ist. Der Apfel fiel nicht weit vom Stamm: Ihr Nachfolger ist nämlich heute der CSU-nahe "Münchener Merkur", an dem neben den Huck-Erben der Konzern des Axel Cäsar Springer eine beträchtliche Beteiligung besitzt. Nur der Einspruch des Bundeskartellamtes verhinderte 1979, daß die Zeitung völlig in Besitz des Springer-Konzerns überging. (44)
Haas-Danksagung in der Augsburger "Allgemeinen Zeitung" vom 5. September 1902. |