Haas war Geschäftsnachfolger in den Räumlichkeiten der ehemaligen Druckerei des Katholischen Bürgerhospitals im Quadrat E 6, die seit 1790 das "Mannheimer Journal" hergestellt hatte (Ausschnitt aus einem Briefkopf der Dr. Haas'schen Druckerei aus dem Jahr 1902 - links die Spitalkirche).

(Bild zum Vergrößern anklicken)

Die Demagogie frißt ihre Kinder

Wie der Dr. Haas von seinen nationalliberalen Parteifreunden dem Antisemitismus geopfert wurde

Mit dem Schlachtruf "Für Kaiser und Reich" zog der "General-Anzeiger" in die Reichstagswahlen des Jahres 1890. (26) Nicht ungeschickt versuchte er dabei, die Gegenseite auseinanderzudividieren. Die Sozialdemokraten porträtierte er einerseits - an die bürgerlichen Demokraten gerichtet - als "Feinde der bestehenden Staats- und Gesellschaftsordnung" und andererseits - um die katholischen Zentrumswähler zu erschrecken - als "Feinde jeglicher Religion". (27) Trotzdem stimmten die meisten Demokraten und zahlreiche katholische Wähler in der Stichwahl für den sozialdemokratischen Kandidaten Dreesbach. Der nationalliberale Kandidat Diffene unterlag. "Wir sind geschlagen aber nicht besiegt", giftete anschließend das Blatt der Nationalliberalen. "Dichter und fester wollen wir uns zur gemeinsamen treuen Arbeit um unsere Fahnen scharen, zu jeder Stunde bereit in die Bresche einzutreten, welche der Haß der Gegner in den heiligen Schutzwall deutscher Vaterlandsliebe zu brechen droht, bereit für unser Vaterland zu bluten und zu sterben." (28)

Das demagogische Unkraut, das der Dr. Haas auf diese Weise säen half, wuchs ihm am Ende freilich selbst über den Kopf; und zwar in Gestalt des Antisemitismus, der damals von konservativ-bourgeoisen Kreisen zielstrebig geschürt wurde, um mit Pseudo-Kritik an den jüdischen "Plutokraten" vom eigentlichen Gebrechen des Kapitalismus abzulenken und der unaufhörlich wachsenden Sozialdemokratie das Wasser abzugraben. Dieser Antisemitismus beschränkte sich nicht auf die erklärtermaßen antisemitischen Parteien, sondern durchdrang fast alle politischen Lager. Sogar die "Neue Badische Landes-Zeitung", die ebenfalls jüdischen Eigentümern gehörte, mußte vor antisemitischen Tendenzen innerhalb der demokratischen Partei warnen. (20) Weitaus stärker war der Antisemitismus allerdings im konservativ-nationalliberalen Lager, dem der Dr. Haas mit seinem "General-Anzeiger" diente.

Obwohl Haas sonst eher ein Opportunist war, konnte und wollte er als Jude diesen Antisemitismus nicht mitmachen. Seinen Zwiespalt dokumentiert zum Beispiel das "Mahnwort" eines "vaterländisch gesinnten Israeliten", das Haas kurz vor den Reichstagswahlen im "General-Anzeiger" abdruckte. Er wandte sich damit an solche Juden, "die aus Verstimmung darüber, daß manches im neuen deutschen Reich nicht nach ihrem Wunsche geht, auf Seiten der Gegner stehen". Wie es dann weiter hieß, sollten sie sich nicht durch "die Wahlverbindung der Nationalliberalen mit den Konservativen irre machen lassen, als ob die Unterstützung der Nationalliberalen gleichbedeutend wäre mit der Förderung der Ziele eines Stöcker, Böckel usw." (29)

In zahlreichen Ausgaben des "General-Anzeigers" richtete Haas scharfe Angriffe nicht nur gegen die "Deutsch-Sozialen", den Hofprediger Stöcker und andere Antisemiten, sondern auch gegen die antisemitischen Tendenzen der konservativen Partei. Mit dieser unablässigen Kampagne gegen die antisemitische Agitation, die gelegentlich die ganze erste Seite füllte, wurde Haas für seine nationalliberalen Parteifreunde zu einer erheblichen Belastung. Schließlich sprach er stets im Namen der Nationalliberalen Partei, wenn er den Antisemitismus als "gefährliche Bedrohung des bürgerlichen Friedens" verurteilte oder sich über einen antisemitischen Hetzartikel im Organ des konservativen Bundesgenossen, der "Badischen Landpost", ereiferte. (30)

Im April 1890 berichtete der "General-Anzeiger" voller Genugtuung über das Fiasko eines antisemitischen Wanderpredigers in Weinheim, dessen Versammlung offenbar von einer aus Mannheim angereisten Gruppe gesprengt worden war. (31) Es würde nicht verwundern, wenn der Verleger Dr. Haas dabei seine Hand persönlich im Spiel gehabt hätte. Dafür sprechen die sehr persönliche Schilderung des Ereignisses und ähnliche Aktionen, die Haas seinerzeit als Bürgermeister in Weinheim inszenierte.

Die Nationalliberalen zeigten jedoch wenig Bereitschaft zu einer derart grundsätzlichen Befehdung des Antisemitismus, obgleich nicht wenige namhafte Kaufleute und Bankiers, die damals in der Mannheimer Partei eine Rolle spielten, selbst jüdischer Abstammung waren. So strikt sie den Antisemitismus in seiner organisierten Form ablehnten - dies gebot schon das Interesse der Partei - so wenig wollten sie ihn im eigenen demagogischen Arsenal missen. Zumindest wollte man es über dieser Frage innerhalb der Partei und mit dem konservativen Bundesgenossen nicht zum Konflikt kommen lassen.

So kam es stattdessen zum Konflikt mit dem Dr. Haas, der sich anscheinend trotz wiederholter Aufforderung zur Zurückhaltung nicht von seiner grundsätzlichen Kampagne gegen den Antisemitismus abbringen ließ. Der Konflikt endete damit, daß Haas als Herausgeber des "General-Anzeiger" zurücktrat. Im September 1890 ging die Buchdruckerei Dr. Haas samt der Zeitung an Arthur Juillerat-Chasseur über, den bisherigen Prokuristen und Schwager des Dr. Haas. (32)

Die Unstimmigkeiten zwischen Haas und seiner Partei blieben nicht verborgen, zumal der Handelsregistereintrag über den Eigentümerwechsel am 4. Oktober 1890 im "General-Anzeiger" veröffentlicht wurde. Auf einer Versammlung der Nationalliberalen am Abend desselben Tages sah sich der nationalliberale Vorsitzende Thorbecke genötigt, zu umlaufenden Gerüchten Stellung zu nehmen. Laut "General-Anzeiger" fühlte er "sich verpflichtet, gegenüber gewissen Äußerungen der gegnerischen Presse zu konstatieren, daß es durchaus unwahr sei, wenn von dieser behauptet werde, der Parteivorstand habe Herrn Dr. Haas veranlaßt, Mannheim zu verlassen. Herr Dr. Haas habe aus eigenem Antriebe zur Wiederherstellung seiner erschütterten Gesundheit sich nach dem Süden begeben. Herr Thorbecke erachtete es ferner als seine Pflicht festzustellen, daß Herr Dr. Haas seine der nationalliberalen Partei gegenüber eingegangenen Verpflichtungen bezüglich der Haltung des in seinem Verlag erscheinenden Blattes stets getreu erfüllt und sich als eifriger Anhänger und treuer Freund der Partei erwiesen habe." (33)

Indirekt gaben die Nationalliberalen allerdings zu verstehen, daß ihr Wahlsieg in der Klasse der Mittelbesteuerten, der an diesem Abend gefeiert wurde, wohl auch dem klügeren Taktieren des "General-Anzeigers" zu verdanken gewesen sei, nachdem Haas aus Redaktion und Geschäft ausgeschieden war. Im offiziellen Dank der Parteileitung an die Zeitung für ihre Wahlkampfhilfe wurde besonders die "Zurückhaltung" (33) gelobt, die sich das Blatt auferlegt habe. Auch im jährlichen Rechenschaftsbericht des nationalliberalen Vereins Mannheim, den Parteiführer Ernst Bassermann zwei Monate später erstattete, erntete die Leitung des "General-Anzeigers" besonderen Dank für die "sachgemäße zielbewußte politische Haltung und das bei der Wahrung der öffentlichen Interessen bewiesene Taktgefühl". (34)

Es scheint, als ob Haas nach dem Ausscheiden aus dem "General-Anzeiger" tatsächlich erst einmal seine angegriffene Gesundheit zu kurieren gehabt hätte: Als er sich zum 1. September 1890 bei der Polizei abmeldete, gab er statt eines neuen Wohnortes lediglich die Zielrichtung "nach Italien" an. (35)

Während Haas seine Koffer packte, wurde im Großherzoglichen Hof- und Nationaltheater am Schillerplatz das Lustspiel "Die Journalisten" von Gustav Freytag gegeben. Man könne "wohl sagen, daß die Mehrzahl der Rollen sich in den geeigneten Händen befinden", befand anderentags der "General-Anzeiger".

weiter