Die Kleinen werden geschluckt

Wie der "Mannheimer Morgen" sein Imperium erweiterte

Nach Aufhebung der Lizenzpflicht unternahmen zahlreiche Alt-Verleger den Versuch, ihren vor 1945 erschienenen Blättern neues Leben einzuhauchen. Diese Versuche scheiterten jedoch fast durchweg, da der Vorsprung der Lizenzblätter nicht mehr aufzuholen war. Viele Alt-Verleger verzichteten von vornherein auf das ruinöse Abenteuer. Stattdessen liierten sie sich mit der nächsten größeren Lizenzzeitung. Auf diese Weise gelangte auch der "Mannheimer Morgen" zu einer Reihe sogenannter Kopfblätter. Diese Blätter (zum Beispiel die "Weinheimer Nachrichten") sind größtenteils mit dem "Mannheimer Morgen" identisch. Ihre redaktionelle Eigenständigkeit beschränkt sich auf lokale Ereignisse. Zum Teil sind sie dem "Mannheimer Morgen" nicht nur redaktionell und anzeigengeschäftlich, sondern auch kapitalmäßig verbunden.

Im Mai 1951 wurde das "Heidelberger Tageblatt" zu neuem Leben erweckt, mit dem sich der "Mannheimer Morgen" frühzeitig einen "Pfahl im Fleisch" der rivalisierenden "Rhein-Neckar-Zeitung" sicherte. Die Unterschriften unter die Kapitalverflechtung zwischen "Mannheimer Morgen" und "Mannheimer Großdruckerei" waren kaum trocken, als sich Schilling, Ackermann, Bauser und Kolb am 4. Mai 1951 mit dem Heidelberger Verleger Dr. Otto Pfeffer zur Gründung der "Heidelberger Tageblatt GmbH" zusammenfanden. Das Stammkapital von ursprünglich 20000 Mark - es wurde 1956 auf 60000 und 1968 auf 120000 Mark erhöht - verteilte sich zu je 9 000 Mark auf den Heidelberger Geschäftspartner und den "Mannheimer Morgen" sowie zu 2000 Mark auf die "Mannheimer Großdruckerei". 1968 verkaufte der Heidelberger Verleger Pfeffer seinen Geschäftsanteil an die Mannheimer Partner, womit das "Heidelberger Tageblatt" hundertprozentig in Besitz des "MM"-Konzern gelangte.

Chefredakteur des "Heidelberger Tageblatts" wurde der ehemalige "Hauptschriftleiter" der "Neuen Mannheimer Zeitung", Dr. Alois Winbauer, der bis zuletzt für die Durchhalteartikel des faschistischen Blattes verantwortlich gezeichnet hatte. Eine Wiederverwendung des Herrn Winbauer in Mannheim erschien seinen Gönnern Bauser und Kolb zum damaligen Zeitpunkt wohl nicht opportun. Auch nach seinem Ausscheiden als Chefredakteur am 1. April 1959 blieb Winbauer dem "Heidelberger Tageblatt" als Chefkommentator verbunden. (150)

Es folgten Beteiligungs- und Kooperationsverträge mit einer Reihe von kleineren nordbadischen Zeitungsverlegern. Zu einer Beteiligung von 48,3 Prozent kam es bei den "Fränkischen Nachrichten" mit "Wertheimer Tageblatt" und "Bad Mergentheimer Zeitung". In Abhängigkeit vom "Mannheimer Morgen" gerieten ferner die "Schwetzinger Zeitung" mit "Hockenheimer Tageszeitung" und die "Weinheimer Nachrichten" mit "Odenwälder Zeitung", die zwar selbständige Verlage blieben, aber mit Redaktion, Anzeigengeschäft und Technik auf den "Mannheimer Morgen" bzw. die "Mannheimer Großdruckerei" angewiesen waren. (151)

In Mannheim selbst konnte sich bis zur Aufhebung der Lizenzpflicht keine Konkurrenz entwickeln. Mit erheblicher Verspätung erschienen ab 1949 das kommunistische "Badische Volksecho", die sozialdemokratische "AZ" und die katholische "Badische Volkszeitung" auf der Bildfläche. Neben der Vormachtsstellung des "Mannheimer Morgen" litten sie zusätzlich an dem Handikap, Tageszeitungen mit erklärter Bindung an eine politische Richtung zu sein. Der kommunistischen Presse wurde 1956 mit dem Verbot der KPD jede legale Erscheinungsmöglichkeit genommen. Die "Badische Volkszeitung" kümmerte als armseliges Pflichtblatt gläubiger Katholiken bis Ende der sechziger Jahre dahin. 16

Auf das Versäumnis der SPD, ihre Eigentumsrechte an der "Mannheimer Großdruckerei" in gebührender Weise geltend zu machen und damit auf die spätere Entwicklung des "Mannheimer Morgen" Einfluß zu nehmen, wurde bereits hingewiesen. Spät, viel zu spät machten die Sozialdemokraten mit der Herausgabe einer eigenen Tageszeitung den Versuch, das verlorene Terrain aufzuholen. Nach Aufhebung der Lizenzpflicht, am 1. August 1949, erschien die erste Ausgabe der "Abend-Zeitung für Nordbaden und die Pfalz", die dann später, als sie auf morgendliches Erscheinen umstellte, ihren Titel in "AZ" verkürzte. Das neugeborene Kind kränkelte von Anfang an und schien zeitweilig dem Tode nahe. Durch betont sensationelle Aufmachung gelang es dann, die Auflage in halbwegs wirtschaftliche Bereiche zu treiben. Im Sommer 1954 wurde in R 3, auf dem früheren Grundstück der sozialdemokratischen "Volksstimme", wo ab 1933 das "Hakenkreuzbanner" gehaust hatte, mit dem Bau eines neuen Druck- und Verlagsgebäudes begonnen, das im Oktober 1955 bezogen wurde. 1959 gab die "AZ" eine Auflage von 19000 Exemplaren an und rühmte sich einer "gefestigten Position", was auch in der Umstellung auf ein seriöseres Erscheinungsbild zum Ausdruck kommen sollte. Der Optimismus hielt freilich nicht lange an. Am 1. Juli 1967 trat die SPD das chronisch defizitäre Blatt praktisch an "Mannheimer Morgen" und "Mannheimer Großdruckerei" ab, die neben der Hälfte der Anteile auch Vertrieb und technische Herstellung übernahmen. Zugleich wurden die bisherigen "AZ"-Ausgaben in Karlsruhe, Freiburg und Heilbronn eingestellt. (118) Die Zusicherung an die SPD, weiterhin den redaktionellen Kurs des Blattes bestimmen zu können, erwies sich als weitgehend wertlos, denn mit der wirtschaftlichen und journalistischen Talfahrt der "AZ" schwand auch ihr Einfluß. Der erneute Versuch, die Auflage durch sensationelle Aufmachung zu stabilisieren, wurde so dilettantisch und mit unzureichender personeller Besetzung unternommen, daß die Lektüre der "AZ" zuletzt weniger eine Frage der politischen Gesinnung als des guten Geschmacks war. So gesehen war die schließlich verfügte Einstellung der "AZ" 1971 kein großer Verlust. Ihr neuerrichtetes Verlagsgebäude in R 3 wurde an die Stadt Mannheim verkauft und beherbergt seitdem die Volkshochschule. (153)

Ende der fünfziger Jahre sahen die Auflagenziffern etwa so aus "Mannheimer Morgen" mit angeschlossenen Blättern 123 000 Exemplare. Davon entfielen auf die Stadtausgabe Mannheim 64000 und auf das "Heidelberger Tageblatt" 19000. Die sozialdemokratische "AZ" gab gleichzeitig eine Auflage von 19 000, die "Badische Volkszeitung" von 4 000 Exemplaren an. (151)

Die Monopolstellung, die der "Mannheimer Morgen" damit in Mannheim und Umgebung besaß, fand 1959 endlich auch ihren baulichen Ausdruck, indem an der Stelle des 1944 zerstörten Bassermann-Hauses ein neues Verlagsgebäude entstand. Die 34 Meter breite Fassade des fünfgeschossigen Gebäudes wurde mit jugoslawischem Marmor (Cristalina Classico) verkleidet. "Das aparte Material", so hieß es in einer aus diesem Anlaß veröffentlichten Festschrift, "wahrt gegenüber dem mit Ölfarbe gestrichenen Sandstein, dem farbigen Putz und dem Sichtbeton in der Umgebung eine noble eigene Note". (154)

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