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(Aus: "Simplicissimus" Nr. 40/1962)

Et vice versa...

von Udo Leuschner

"Sehen Sie", sagt der Studienassessor am Gymnasium Schwenningen zu seinen Schülern, "sehen Sie", wiederholt er und schraubt an der Schärfeneinstellung des Lichtbildprojektors, "angenommen, wir wären nun in Ostdeutschland, etwa in Leipzig, so wäre ich gezwungen, dieses Bild in einer ganz bestimmten Weise zu interpretieren."

Ein matter Abglanz der strahlenden Crassus-Projektion liegt über den fahlen Gesichtern der Klasse, neugierig recken sich einige Köpfe.

"Es wäre mir verboten", hört man vom Projektor her die Stimme, "es wäre mir verboten und ich hätte mit ernstlichen Folgen zu rechnen, wollte ich auf die Person des Crassus die Methoden neuzeitlicher Geschichtsforschung anwenden. In der sogenannten DDR wäre es mir schlechthin unmöglich, Crassus als Schlüsselfigur der römischen Politik zu würdigen, ja ich sähe mich unter Umständen gezwungen, den plündernden Horden des Spartakus, des ungeschlachten Proleten, ein weit größeres Maß an Zeit zu widmen als diesem profilierten Kopf der römischen Diplomatie."

Gelangweiltes Gähnen.

"Meine Herren", meckert es vom Apparat her, "ich muß Sie doch schon sehr bitten, aufzupassen. Das könnte der Stoff für die nächste Klassenarbeit sein. Ich bin überhaupt nicht zu diesen Einlagen verpflichtet und kann den Unterricht auch ganz anders gestalten. Wenn ich" - das pädagogische Meckern wird ehrpusselig - "wenn ich trotzdem versuche, Ihnen eine gewisse Hilfestellung zu geben, so seien Sie wenigstens nicht so unsolidarisch und stören Sie nicht die anderen Klassenkameraden, die etwas lernen wollen."

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"Sehen Sie", sagt der Studienassessor am Gymnasium Leipzig zu seinen Schülern, "sehen Sie", wiederholt er und schraubt an der Schärfeneinstellung des Lichtbildprojektors, "angenommen, wir wären nun in Westdeutschland, etwa in Schwenningen, so wäre ich gezwungen, dieses Bild in einer ganz bestimmten Weise zu interpretieren."

Ein matter Abglanz der strahlenden Spartakus-Projektion liegt über den fahlen Gesichtern der Klasse, neugierig recken sich einige Köpfe.

"Es wäre mir verboten", hört man vom Projektor her die Stimme, "es wäre mir verboten und ich hätte mit ernstlichen Folgen zu rechnen, wollte ich auf die Person des Spartakus die Methoden neuzeitlicher Geschichtsforschung anwenden. In der sogenannten BRD wäre es mir schlechthin unmöglich, Spartakus als Wegbereiter der proletarischen Revolution zu würdigen, ja ich sähe mich unter Umständen gezwungen, seinem Gegenspieler Crassus, der kapitalistischen Hochfinanz, ein weit größeres Maß an Zeit zu widmen als diesem profilierten Vorkämpfer für die Diktatur des Proletariats."

Gelangweiltes Gähnen.

"Meine Herren", meckert es vom Apparat her, "ich muß Sie doch schon sehr bitten, aufzupassen. Das könnte der Stoff für die nächste Klassenarbeit sein. Ich bin überhaupt nicht zu diesen Einlagen verpflichtet und kann den Unterricht auch ganz anders gestalten. Wenn ich" - das pädagogische Meckern wird ehrpusselig - "wenn ich trotzdem versuche, Ihnen eine gewisse Hilfestellung zu geben, so seien Sie wenigstens nicht so unsolidarisch und stören Sie nicht die anderen Klassenkameraden, die etwas lernen wollen."