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Da die Expedition in die Highlands erfolglos verlief, dürfte Macpherson die Rückkehr nach Edinburgh ziemlich peinlich gewesen sein. Um vor seinen Gönnern nicht mit leeren Händen dazustehen, scheint er schon während der Expedition angefangen zu haben, das erwünschte Fingal-Epos selbst zu schreiben. Schon im Frühling 1761 begab er sich jedenfalls nach London, um dort die Drucklegung der angeblich in den Highlands gesammelten und ins Englische übersetzten gälischen Dokumente zu überwachen. Das Werk erschien dann Ende des Jahres in prachtvoller Ausstattung.
Die Haupt- und Rahmenfigur im Fingal bildet Ossian, der bereits in den Fragments auftaucht. Dieser Ossian ist ein alt und blind gewordener Barde, der als einziger den Heldentod seines Vaters Fingal und dessen legendärer Schar überlebt hat. Geführt von Malvina, der jungen Witwe des gefallenen Oskar, besingt er die Kämpfe und Taten vergangener Zeiten. Zur melodramatischen Figur Ossians passen die nebelverhangene, heroische Landschaft und der wehmütige Ton seiner Lieder, die Macpherson natürlich nicht der keltischen Vorzeit, sondern dem Zeitgeist der Gegenwart abgelauscht hatte. Aber gerade deshalb wirkten sie auf die Zeitgenossen überzeugend: Genau so großartig, tugendhaft und erhaben hatten sie sich die Vergangenheit vorgestellt.
Ein Kupferstich auf dem Titelblatt des Fingal von 1761 zeigt den blinden Barden, wie er als letzter seines Geschlechts die Taten der gefallenen Helden besingt. Neben ihm steht Malvina, seine Führerin, mit dekorativ entblößter Brust, während sich in den Wolken die toten Helden versammeln, um dem Barden ihres Ruhmes zu lauschen. Auf das sechs Bücher umfassende Hauptepos folgen kürzere Gedichte wie Comala, The Battle of Lora, Carthon, Darthula, The Songs of Selma und Berrathon.
Am Anfang des Buches stellte sich Macpherson wieder als "Übersetzer" vor. Mögliche Zweifel an der Echtheit der Verse entkräftete er sogleich, indem er eine weitere Legende auftischte: einige Persönlichkeiten seines Freundeskreises hätten ihm geraten, die Original-Manuskripte ebenfalls zu drucken und zu diesen Zweck eine Subskription zu veranstalten. Dies habe er auch getan, aber leider habe sich kein Subskribent gefunden. Er betrachte dies als Urteil der Öffentlichkeit und schließe daraus, daß die Original-Dokumente weder gedruckt noch zur Einsicht in einer öffentlichen Bibliothek ausgelegt werden müßten. Gleichwohl habe er grundsätzlich die Absicht, die Originale zu veröffentlichen, sobald der Übersetzer die Zeit hat, um sie für den Druck umzuschreiben. Falls es nicht zur Publikation komme, werde er zumindest Kopien der Originale in einer der öffentlichen Bibliotheken deponieren, um zu verhindern, daß dieses alte Zeugnis dichterischen Genies verlorengehe.
In einem anschließenden Vorwort führte Macpherson in die Akteure, Handlungen und historischen Hintergründe des Fingal-Epos ein, damit sich der Leser in den einzelnen Versen besser zurechtfinden könne. Er behauptete, daß dem Epos fast alle Züge einer Fabel fehlten, so daß es auch als historisches Dokument dienen könne. Ferner wies er die Ansicht der Iren zurück, daß Fingal ein Sohn ihres Landes und nicht des schottischen Kaledonien gewesen sei. Die Unhaltbarkeit dieser These gehe schon daraus hervor, daß Ossian in der irischen Überlieferung vom irischen Nationalheiligen St. Patrick getauft werde oder von Kreuzzügen spreche. Tatsächlich aber hätten Fingal und seine Mannen lange vor der Einführung des Christentums gelebt.
Als dritte einleitende Zutat folgte, aus der Feder des Dr. Blair, eine äußerst gelehrsame Dissertation concerning the antiquity etc. of the poems of Ossian the son of Fingal. Zum Beispiel verwies Blair mit philologischer Akribie darauf, daß jener Gegner Fingals, der im gälischen Original-Manuskript als Caracul bezeichnet werde, kein anderer als der römische Kaiser Caracalla sei. Die gesellschaftliche Verfassung der alten Kaledonier schilderte er als eine Mischung aus Aristokratie und Monarchie. Zu Beginn des zweiten Jahrhunderts seien die Druiden, die führende Priesterkaste der Kelten, im Kampf mit den Königen unterlegen. Die Barden seien ursprünglich ein niederer Rang der Druiden gewesen, jedoch von den siegreichen Königen geschont worden, da diese den Nutzen des Bardengesangs zur Stärkung ihrer Macht und Sicherung des Nachruhms erkannt hätten. Der Machtverfall der Druiden erkläre auch die Abwesenheit aller heidnisch-religiösen Momente in diesen Dichtungen. Ossian habe offenbar an der Wende vom dritten zum vierten Jahrhundert gelebt. Dies erkläre wiederum die Abwesenheit aller Hinweise auf die christliche Religion. In Kaledonien, wie die Römer Schottland nannten, habe es damals nur ganz vereinzelt Anhänger der neuen christlichen Religion gegeben, die vor der Christenverfolgung unter Kaiser Diokletian geflohen seien. Ossian habe, wie eines der Fragmente bezeuge, erst im hohen Alter einen solchen christlichen Culdee getroffen, der sich über den römischen Limes nach Schottland gerettet habe, um in der früheren Höhle eines Druiden sein Leben zu fristen.
Mit gelehrsamer Bravour meisterte Dr. Blair auch die naheliegende Frage, wie das Fingal-Epos über so viele Jahrhunderte überliefert worden sein könne: Jeder Clan-Häuptling dieser Kelten, die schließlich zu den schottischen Highlanders wurden, habe sich einen Hausbarden gehalten. Diese Barden, deren Amt schließlich erblich geworden sei, hätten zu festlichen Anlässen vor dem versammelten Clan immer wieder dieselben Geschichten aus der Familiensaga vorgetragen und ihren Nachfolgern wortgetreu überliefert. Dabei sei ihnen die keltische Sprache behilflich gewesen. Alle diese Verse seien nämlich so miteinander verknüpft und durch die Eigenart des Gälischen derart einprägsam gewesen, daß beim wiederholten Vortragen kaum ein Wort durch ein anderes habe ersetzt werden können.
Die angeblichen Original-Übersetzungen, die nun folgten, hatte Macpherson mit zahlreichen Fußnoten versehen. Darin wurden, mit der scheinbaren Akribie des Historikers und Philologen, weitere gelehrsame Erläuterungen gegeben und einzelne Textstellen thematisch verwandten Passagen bei Homer, Milton und anderen Dichtern gegenübergestellt. So war es scheinbar dem kritischen Blick des Übersetzers nicht entgangen, daß an einer Stelle der Ausdruck strong spirit of heaven auftaucht. Dies sei, teilte er dem Leser mit, aber auch die einzige Stelle, wo ein religiöses Moment anklinge. Im übrigen müsse es offen bleiben, ob damit tatsächlich ein höheres Wesen oder die Geister der verstorbenen Krieger gemeint seien.
Der Inhalt aller Gedichte war für heutige Begriffe von einer ermüdenden Monotonie, Umständlichkeit und Redundanz. Dies gilt auch für die ganz wenigen Fälle, in denen Macpherson tatsächlich von einer existierenden Vorlage ausging, wie dem Volkslied von Ergons Einfall. Man vergleiche zum Beispiel die beiden folgenden Original-Verse
Heiße Liebe die Königin
Des braungeschildeten Lochlins ergriff
Für Aldo der Waffen; langen Haars;
Mit ihm führte sie aus den Betrug.Um ihn verließ sie des Königs Bett,
Dies war die That, wo Blut drum floß!
Mit ihm nach Alwin, der Finnier Sitz,
Ueber das Meer entflohen sie.
mit ihrer umständlich-schwülstigen Paraphrasierung durch Macpherson in der Schlacht von Lora:
Aldo kehrte in seinem Ruhme zu Soras luftigen Mauern. Von ihrem Thurme blickte die Gattin Erragons, das feuchte spähende Auge Lormas; ihr blondes Haar floß Winde des Meeres; ihr weißer Busen wallte wie Schnee auf der Haide, wenn sanfte Winde sich heben und langsam im Lichte wogen. Sie sah den jugendlichen Aldo, gleich einem Strahle der sinkenden Sonne in Sora. Ihr sanftes Herz seufzte. Thränen füllten ihr Auge, ihr weißer Arm stützte das Haupt. Drei Tage saß sie in der Halle und verbarg ihren Gram unter Freude. Am vierten floh sie mit dem Helden über das wogende Meer. Sie kamen zu Konas moosigen Türmen, zu Fingal dem König der Speere! -
"Aldo, Du Herz des Stolzes, sagte Fingal im Zorn sich erhebend, soll ich Dich vertheidigen gegen die Wuth von Soras beleidigtem König? Wer wird ferner mein Volk in seinen Hallen empfangen, wenn die Fremden laden zum Mahle, seit Aldo mit der kleinen Seele meinen Namen in Sora entehrt hat? Geh zu Deinen Hügeln, Du schwache Hand, und verbirg Dich in Deinen Höhlen! Trauervoll ist die Schlacht, die wir müssen mit Soras trübem Könige kämpfen! Geist des edeln Trenmor, wann wird Fingal aufhören zu kämpfen? Mitten in Schlachten bin ich geboren und meine Schritte wandeln im Blute zum Grabe! Doch meine Hand beleidigt den Schwachen nie, mein Stahl berührt der Feigen Waffen nicht! Ich seh Deine Stürme, o Morven, welche meine Halle verwüsten, wenn meine Kinder sterben im Kampf und Niemand übrig bleibt, in Selma zu wohnen! Dann werden Schwache kommen, aber nicht kennen mein Grab! Mein Ruhm ist im Gesange! und meine Thaten werden gleich einem Traume künftigen Zeiten erscheinen!" 1
Die drei letzten Sätze dieses Zitats belegen beiläufig die Schlitzohrigkeit und Hemmungslosigkeit, mit der Macpherson inzwischen vorging (im Originaltext: Then will the feeble come, but they will not know my tomb: my renown is in the song: and my actions shall be as a dream to future times). - Er läßt sich hier von Fingal selbst die Authentizität seiner Verse bescheinigen und voraussagen, daß es Schwach(köpfig)en späterer Zeiten vorbehalten sein werde, sie für einen Traum zu halten.
Zwei Jahre später, im März 1763, erschien in derselben prächtigen Ausstattung und mit demselben gelehrsamen Brimborium der Folgeband Temora. Auch hier schallte wieder die wehmütige Stimme des Barden Ossian, wallten die Nebel, klirrten die Schwerter, lagerten die Helden zwischen bemoosten Felsen und lieferten Sonne, Mond und Sterne die stimmungsvollsten Beleuchtungseffekte. Auf die acht Bücher des Hauptpoems folgten kleinere Gedichte mit den Titeln Cathlin of Clutha, Sulmalla of Lumon, Cath-loda, Oina-morul und Colna-dona. Der Kupferstich des Titelblatts veranschaulichte eine Episode aus dem siebten Buch des Temora-Epos, in der Sulmalla, die nächtens durch Fingals klirrenden Schild aufgeschreckt wird, Cathmor vor der drohenden Gefahr warnt.
Nochmals zwei Jahre später, 1765, erschienen als Zusammenfassung von Fingal und Temora die Works of Ossian. Unter diesem Titel gingen beide Epen in die Literaturgeschichte ein, erlebten zahlreiche weitere Auflagen und wurden in der Fassung von 1773 zum textus receptus des 19. Jahrhunderts.