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Mit dem Erfolg scheint bei Macpherson die Eitelkeit des Dichters wieder erwacht zu sein. Jedenfalls ließ er in seiner einleitenden dissertation zu Temora erstmals erkennen, daß er die angeblichen Originale nicht bloß wortwörtlich übersetzt, sondern mit einem gewissen künstlerischen Einfühlungsvermögen arrangiert habe. Die inzwischen laut gewordenen Zweifel an der Echtheit wies er aber hochmütig zurück:
Ich werde nach Erscheinen der vorliegenden Gedichte wahrscheinlich noch mehr von dieser Art zu hören bekommen. Ich wage nicht zu entscheiden, ob diese Verdächtigungen auf Vorurteilen oder bloß auf Unkenntnis der Fakten beruhen. Mich treffen sie nicht, da ich sie jederzeit entkräften kann. Solchen Unglauben zeigen Personen, die alles Verdienst ihrer eigenen Zeit und ihrem eigenen Land zuschreiben möchten. Es handelt sich dabei gewöhnlich um die unbedarftesten und unwissendsten Leute.
Am Ende des Bandes fuhr Macpherson dann sein bislang schwerstes Geschütz auf, um die Zweifel an der Echtheit seiner Verse zu vernichten. Er veröffentlichte nämlich das siebte Buch von Temora im angeblichen gälischen Urtext - nicht ohne einleitend zu bemerken, daß die falsche Orthographie der Barden in vieler Hinsicht berichtigt worden sei...
Schon im Fingal hatte Macpherson geheimnisvolle Andeutungen über eine hohe Persönlichkeit gemacht, der er zu Dank verpflichtet sei. Der Folgeband Temora enthielt dann eaine ganzseitige Widmung für den Earl of Bute, auf dessen Veranlassung die "Übersetzung" erfolgt sei. Anscheinend hatte der Gönner zumindest die Druckkosten getragen.
Eine höhere Protektion war kaum vorstellbar: Der Earl of Bute hatte es nämlich vom armen schottischen Edelmann zum Günstling der Königinmutter, zum Erzieher des unmündigen Thronfolgers und zum faktischen Regenten des Landes gebracht. Auch nach der Volljährigkeit von Georg III. bestimmte er weiterhin maßgeblich die Politik. Zugleich war er aber auch so unbeliebt wie kaum ein anderer. Er wurde mit einem Hasse gehaßt, von dem es in England nur wenige Beispiele gegeben. Er war die Zielscheibe von jedermanns Schmähungen, schrieb der Schriftsteller Thackeray. So mag es ein Geschäft auf Gegenseitigkeit gewesen sein, indem er für Macpherson die publikumswirksame Rolle des Mäzenaten übernahm, der keine Kosten scheut, um ein einzigartiges Dokument des nationalen Erbes der Vergessenheit zu entreißen. Seine Unpopularität war allerdings schon so groß, daß er kurz nach Erscheinen des Temora-Bands von der Leitung des Ministeriums zurücktrat, um seinen Einfluß fortan hinter den Kulissen geltend zu machen.
Da der Ruf nach den Originalen nicht verstummen wollte, versprach die Londoner Hochlandgesellschaft Macpherson 1784 ihre großzügige finanzielle Unterstützung für den Druck der gälischen Urtexte. Macpherson antwortete ihr darauf, daß er sich an die Arbeit machen werde, sobald er die nötige Muße finde. Anscheinend hat er in den folgenden Jahren tatsächlich den ganzen Ossian aus dem Englischen ins Gälische "rückübersetzt". Vor der Drucklegung scheute er jedoch zeitlebens zurück. Erst 1807, ein Jahrzehnt nach Macphersons Tod, wurden die "Originale" von der Londoner Hochlandgesellschaft in drei monumentalen Bänden veröffentlicht, denen 1870 nochmals eine Prachatausgabe folgte. Sie umfaßten neben dem eigentlichen Ossian, bestehend aus Fingal und Temora, zwei weitere Epen aus dem Nachlaß. Ferner enthielten sie eine lateinische Übersetzung der Texte von Robert Macfarlan, eine dissertation von John Sinclair und eine Abhandlung des Abbé Cesarotti, der in Italien als Propagandist und Übersetzer des Ossian hervorgetreten war.
Macpherson hatte gute Gründe, die Veröffentlichung so lange hinauszuzögern. Die angeblichen Originale wurden von dem Historiker Malcolm Laing und anderen Sachverständigen sofort als gälische Übersetzung der englischen Ausgabe von 1773 erkannt. Macpherson hatte also die gälischen "Originale", die nie existierten, nachträglich aus dem englischen Text seiner Fälschungen herbeigezaubert. Die große Schar der Gläubigen ließ sich durch diese Enthüllung freilich sowenig beeindrucken wie durch die zuvor schon erhobenen Einwände.
Macpherson hatte es inzwischen, dank seiner vorzüglichen Beziehungen, zum Sekretär des Gouverneurs von Florida gebracht (1763 bis 1766). Nach der Rückkehr aus Amerika machte er sich der Regierung und den Tories in vielfältiger anderer Weise als Journalist und Pamphletist nützlich. Die Regierung verhalf ihrem Fürsprecher 1780 zu einem Sitz im Unterhaus, den er bis ans Lebensende innehatte, ohne sich indessen aktiv an den Debatten zu beteiligen.
Macpherson hat nicht nur an seinem Ossian glänzend verdient. Noch mehr Geld verdiente er als Propagandist der Regierung, mit Börsenspekulationen und als Agent eines indischen Nabobs, der ihn mit der Vertretung seiner Interessen beauftragt hatte. Als er starb, hinterließ er neben fünf unehelichen Kindern drei komfortable Häuser in London, Putney und im Distrikt Badenoch, wo er sich nahe seinem Heimatdorf die Villa "Belleville House" im italienischen Stil als Sommersitz hatte errichten lassen.