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Arkadien


 

Der Schwetzinger Schloßgarten war ursprünglich als rein geometrische Anlage im französischen Stil geplant

Symbol und Sentiment

Weshalb das arkadische Landschaftsbild mit dem Barockgarten koexistieren konnte

Die arkadischen Landschaften der Malerei entsprangen der Phantasie. Die reale Landschaft diente ihnen nur als Anregung. So ließ sich Lorrain von der römischen Campagna und Ruisdael von der niederländischen Landschaft inspirieren. Es ging ihnen aber letztendlich nicht um eine realistische Wiedergabe. Ihre Bilder waren Ideal-Landschaften, die ein geistiges bzw. ästhetisches Ideal auf der Leinwand darstellten. Anfangs wurde dieses Ideal noch in symbolischer Weise durch Schäfer, Satyren, Philosophen oder Ruinen ausgedrückt, die als Ortsbestimmung für Arkadien dienten. Diese Symbole appellierten weniger ans Gemüt als an die kognitiven Fähigkeiten des Betrachters. Er mußte die Symbolik des Bildes entschlüsseln und die dargestellte Szene gleichsam als gemalte Schäferdichtung verstehen. Bald aber verselbständigte sich das zweidimensionale Arkadien auf der Leinwand von seinen literarischen Wurzeln. Seine Symbolik füllte sich mit einem ihr eigenen Sentiment. Es entstand ein neues Genre der Malerei, das keiner kognitiven Übersetzung mehr bedurfte, sondern sich selbst erklärte und ganz unmittelbar ans Sentiment appellierte. Am Ende bedurfte es weder der Schäfer noch der Ruinen, um eine sanft gewellte Landschaft, wie Lorrain sie malte, auf gefühlsmäßige Weise mit dem glückseligen Arkadien zu verbinden.

So wie die Schäferdichtung die arkadische Malerei vorbereitete und überhaupt erst ermöglichte, so war die Entwicklung des Landschaftsbildes Voraussetzung für die nächste Stufe, auf der das zweidimensionale Bild in die dritte Dimension des Landschaftsgartens übertragen wurde. Das arkadische Motiv durchläuft auf allen drei Ebenen - Literatur, Malerei, Gärtnerei - eine zwar zusammenhängende, aber zeitlich versetzte Entwicklung. Dies erklärt, weshalb zunächst niemand daran dachte, solche arkadischen Landschaften, wie sie die Gemälde zeigten, auch in der Realität anzulegen.

Die künstlich gestalteten Landschaften sahen bis weit in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts ganz anders aus. In den fürstlichen Gärten regierten Zirkel und Lineal. Die Natur wurde als beherrschte, der Vernunft unterworfene Natur genossen. Entsprechend galt es als Gipfel gärtnerischer Leistung, die Bäume, Sträucher und Blumen in geometrische Formen zu zwingen. Die natürlichen Unebenheiten des Geländes wurden nach Möglichkeit beseitigt. Das Ideal war ein mit Richtschnur und Schere getrimmter Park im "französischen" Stil.

Die wichtigste der Symmetrie-Achsen, um die sich die geometrischen Muster spiegelten, ging dabei vom Schloß aus. Die Gärten der Renaissance, des Barock und des Rokoko waren so zugleich ein Symbol des Absolutismus. Ihre Bäume, Sträucher und Blumen hatten kein Recht auf individuelle Entfaltung. Sie hatten vielmehr ihren festen Platz in einer genauso vernünftigen wie rigiden Ordnung, in der das Immergrün der Buchsbaum-Reihen der zeitlosen Pracht der Allonge-Perücken entsprach.

Ein solcher Garten versinnbildlichte die weltliche Ordnung in ähnlicher Weise wie die Pracht der Kirchen das himmlische Reich. Er war dabei aber weniger Ausdruck des politischen Absolutismus als eines Bewußtseins, das sich in jeder Hinsicht im Absoluten aufgehoben wußte. Dieses Absolute mußte nicht unbedingt in der traditionellen Form des christlichen Schöpfergottes gedacht werden. Es konnte ebenso die philosophische Gestalt eines materialistischen Deismus, von Spinozas "Substanz" oder Hegels absolutem Geist annehmen. So erklärt es sich auch, daß der geometrische Garten, der oft sehr vordergründig als Sinnbild des fürstlichen Absolutismus gesehen wird, die bürgerliche Revolution in den Niederlanden unbeschadet überdauern konnte. Die Geometrie des Barockgartens harmonierte in den Niederlanden mit dem bürgerlichen Bewußtsein ebenso wie die erklärtermaßen "geometrische" Form, die Spinoza seiner "Ethik" angedeihen ließ.

Symbolik statt Sentiment: Der Garten von Schloß Weikersheim

Der sentimentale Garten war der Renaissance und dem Barock so fremd wie das dazugehörige Sentiment. Die Gärten dieser Zeit erfreuten durch ihre Regelmäßigkeit, in der sich die Regelmäßigkeit des Kosmos wiederholte. Sie steckten voller Symbolik, die entschlüsselt und verstanden werden mußte. Eines der besterhaltenen Beispiele bietet das Figurenprogramm im Park von Schloß Weikersheim, der zwischen 1707 und 1725 angelegt wurde: Eröffnet wurde dieses Figurenprogramm, indem man vom Schloß her zwischen den Statuen des Herkules und des Zeus als Symbolgestalten für Stärke und Majestät des Herrschers hindurchging. Es folgten sechszehn groteske Zwerggestalten, die im Wechsel mit Vasen die Balustraden am Schloßgraben schmückten und - im Kontrast zur sakrosankten Würde des Herrschers - den Hofstaat karikierten. Der Weg führte weiter in ein großes Karree, das die Figuren der vier Elemente, der vier Jahreszeiten, der vier Winde, zahlreiche antike Gottheiten sowie die Symbole des Reichtums und der Armut enthielt. Am Ende des Gartens, in der offenen Exedra der symmetrisch angelegten Orangerie, stand das Reiterstandbild des Herrschers, flankiert von Pax und Minerva als Symbolen für Frieden und Krieg sowie Allegorien der vier Weltreiche. In der Mitte des Gartens, wo Zentral- und Querachse ein Rondell bildeten, war die Figur des Herrschers ein weiteres Mal in einem Herkulesbrunnen verherrlicht. Die ganze Anlage wurde streng symmetrisch durch eine Zentralachse und mehrere Querachsen gegliedert. Sie stand für nichts weniger als die Gesamtkeit der Welt. 1

Symbol der Toleranz: Die Moschee im Schwetzinger Schloßgarten

Noch in den Gärten des Spätbarock und Rokoko war das Verständnis der Ikonographie eine wesentliche Voraussetzung für das ästhetische Moment. Zum Beispiel sollte der Schwetzinger Schloßgarten, mit dessen Anlage 1753 begonnen wurde, die Wiederkehr des Goldenen Zeitalters symbolisieren. Den Auftakt dazu bildeten die Urnen der vier Weltalter auf der Terrasse vor dem Schloß. Ein Arion-Brunnen im Mittelpunkt des großen Zirkels verherrlichte mit der wunderbaren Wirkung von Poesie und Musik zugleich die musischen Neigungen des Herrschers. Hinter dem Zirkel eröffneten zwei wasserspeiende Hirsche das Reich Dianas, der Göttin der Jagd. Am Ende des Gartens, vor einem großen rechteckigen Wasserbecken, symbolisierten die Statuen des Rheins und der Donau die Flüsse, die das Reich des Kurfürsten umspülten. 2 Die Gesamtanlage verhieß so die Wiederkunft des goldenen Zeitalters in der Pfalz. Die dazugehörige Ikonographie wurde auch nach Verlassen der ursprünglich rein symmetrisch-geometrischen Konzeption beibehalten und in die mehr verspielt-allegorischen Formen des Rokoko umgesetzt. Zum Beispiel war eine türkische Moschee, die Anfang der siebziger Jahre entstand, nicht allein auf exotisch-pittoreske Wirkung angelegt. Sie sollte zugleich ein Symbol der religiösen Toleranz sein. Dieser Symbolwert des Gebäudes und damit das ästhetische Gefühl des Erhabenen und Wahren erschloß sich dem Betrachter jedoch erst, wenn er die eigenartige Architektur als eine Mischung aus der katholischen Karlskirche in Wien, der anglikanischen St. Pauls-Kathedrale in London und mohammedanischem Gotteshaus erkannte.

In der Sprache der Psychologie ausgedrückt: Der Barockgarten appellierte eher an das "zweite Signalsystem" der Sprache und des Denkens als an das "erste Signalsystem" des visuellen Eindrucks und des unmittelbar intendierten Gefühls. Er verband beide Signalsysteme, wies aber die Schlüsselreize dem Verstand zu.

Auch die arkadischen Landschaften Lorrains und Poussins wurden auf diese Weise rezipiert. Sie waren aus barocker Sicht Symbole des goldenen Zeitalters. Es war deshalb für den Zeitgenossen kein Problem, das Wohlgefallen an einem Bild Lorrains mit dem Wohlgefallen an einem Park im symmetrisch-geometrischen Stil zu vereinbaren.

Ein Bedürfnis, sich in Landschaften nach Art Lorrains zu ergehen, konnte erst entstehen, nachdem sich das arkadische Landschaftsbild zum eigenständigen Genre entwickelt hatte. Rekapitulieren wir kurz den Werdegang des arkadischen Motivs vom Papier zur Leinwand: Die erste Vorarbeit leistet Dante (1265 - 1321), der sich in seiner "Göttlichen Komödie" von Vergil, dem Erfinder Arkadiens, den Weg durch die Hölle zum Paradies zeigen läßt. Noch in den humanistischen Eklogen Petrarcas (1304 - 1374) und Boccaccios (1313 -1375) ist das arkadische Motiv rein gedanklicher Natur. Erst mit der Schäferdichtung Sannazaros (1456 - 1530) oder Montemayors (1520 - 1561) dringt es allmählich in die Malerei eines Giorgione (1477 -1510), Tizian (1476 - 1576) oder Campagnola (1500 - 1564) ein. In den Werken A. Caraccis (1560 - 1609) oder Domenichinos (1581 - 1641) befreit es sich weiter von den symbolisierenden Eierschalen, um schließlich in den Gemälden Claude Lorrains (1600 - 1682) und Poussins (1615 - 1675) seine sinnlich-visuelle Vollendung zu erreichen.

Im Rahmen der Malerei sind damit die Möglichkeiten des arkadischen Motivs erschöpft. Das zweidimensionale Tafelbild läßt keine weitere Versinnlichung zu. Der nächste Schritt muß außerhalb der Malerei erfolgen. Die arkadischen Gefilde müssen in den dreidimensionalen Raum verlagert werden.

Dieser Schritt ist grundsätzlich in der gesamten europäischen Kultur der Neuzeit angelegt. Er wird dann letztlich in England mit voller Konsequenz durchgeführt. Die ersten, tastenden Versuche finden jedoch bereits in Venedig statt, wo auch die arkadische Landschaftsmalerei ihre erste Blüte erlebte.

Schon 1370 erwirbt Petrarca ein kleines Anwesen in den euganeischen Hügeln bei Padua, um seinen Lebensabend in ländlicher Beschaulichkeit zu verbringen. Der Dichter wird damit zum Pionier eines massenhaften Trends. Er kann als Vorläufer der venezianischen Großbürger gelten, die ab dem 15. Jahrhundert entlang der Brenta und an anderen Orten des venezianischen Festlandes Tausende von Landsitzen errichten, die ihnen als Sommerfrische, Stätten des Amüsements und zusätzlich landwirtschaftliche Einkommensquelle dienen.


Giorgiones "La Tempesta" (zum Vergrößern anklicken)

Diese venezianische villegiatura dauert bis ins 18. Jahrhundert. Sie ist ein einzigartiges gesellschaftliches Phänomen, das nirgendwo in Europa seinesgleichen findet und sicher von den topographischen Voraussetzungen (Insellage der Lagunenstadt, Bequemlichkeit der Wasserverbindungen) abhängig war. Genauso wichtig dürfte jedoch ein neues, ideologisches Verhältnis zur Natur gewesen sein, wie es Giorgione in seinem um 1505 entstandenen Gemälde La Tempesta zum Ausdruck bringt: Es zeigt Adam und Eva in der Geborgenheit einer arkadischen Landschaft, während sich im Hintergrund über einer Stadt - dem Ort des Schachers, des Handelns, des Lasters, der Korruption, des nüchternen Kalküls und der eiskalten venezianischen Staatsräson - ein Unwetter mit Blitz und Donner zu entladen beginnt.

Giorgiones Bild entstand zu einer Zeit, als der Seeweg nach Indien bereits entdeckt war und Venedig seine einzigartige Stellung im Fernhandel langsam aber sicher zu verlieren begann. Für Venedig begann nun die Phase der Dekadenz. Seine führende Rolle im Fernhandel verlor es sukzessive an Portugal, Spanien, die Niederlande und England. Die verstärkte Hinwendung zum Festland, zum ländlichen Leben und zur Landwirtschaft ist vor diesem Hintergrund zu sehen. Mit der politisch-ökonomischen Motivation verbunden war eine Fluchtbewegung ins Private. Ein noch immer immenser Reichtum ermöglichte der venezianischen Bourgeoisie jene lange glanzvolle Agonie, welche auch die "villegiatura" bestimmte.

Die aristokratische Republik von Venedig war bis ins 16. Jahrhundert führend in der bürgerlich-kapitalistischen Umgestaltung Europas. Sie erstarrte dann jedoch, wurde immer mehr zum Bestandteil des ancien régime, bis sie 1797 von Napoleons Truppen kampflos eingenommen wurde. Hier liegt wohl der Grund, weshalb Venedig nicht fähig war, jenen Gegensatz, der in Giorgiones Bild aufscheint, weiter zu entwickeln und vom zweidimensionalen Gemälde in die dritte Dimension der Landschaft zu gelangen. Die Gärten, welche die venezianischen Villen auf dem Festland umgaben, folgten bis ins 18. Jahrhundert duchaus geometrischen Mustern. Selbst die geheime Lust am Unregelmäßigen wurde in die rechtwinklige Strenge des Labyrinths aus Buchsbaumhecken gezwängt, das in seiner Mitte von einem erhöhten Aussichtspunkt zu überschauen war und so - ungeachtet aller Möglichkeiten der invididuellen Verirrung - den Triumph des übergeordneten Gesamtkonzepts symbolisierte.

Und doch verraten die venezianischen Villen in Ansätzen eine neue, bürgerliche Geistigkeit. So verläuft im Park der Villa Barbarigo in den euganeischen Hügeln, der bis heute weitgehend original erhalten ist, die Hauptachse des Gartens quer zu der 1669 errichteten Villa, die sich am Ende einer untergeordneten Achse erhebt. Noch eindrucksvoller manifestiert sich das Neue in den Bauten Palladios, der die dreiteilige Fassade des venezianisch-byzantinischen Palastes aus ihrer Flächigkeit erlöste: Die offene Arkadenreihe wurde zum vorspringenden antiken Portikus; der ganze Baukörper wurde, bis in die Proportionen der Räume hinein, zum Kunstwerk. Palladio war jedoch - im Unterschied zu seiner späteren Wertschätzung und Bedeutung für den anglo-amerikanischen Baustil - nur einer unter vielen venezianischen Architekten. Seine Bauten wie die "Villa Rotonda" waren eine kühne Antizipation des bürgerlichen Geistes und selbst für die venezianische Architektur des 16. Jahrhunderts nicht repräsentativ. In Venedig selbst hat Palladio nur Sakralbauten errichtet, und von den rund 3500 Villen des venezianischen Festlandes dürften gerade etwa zwanzig auf seine Pläne zurückgehen.

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