PresseBLICK-Rezensionen Politik, Zeitgeschehen



Robert Kurz

Schwarzbuch Kapitalismus - Ein Abgesang auf die Marktwirtschaft

816 S., DM 68.-, Eichborn 2000


Als 1997 "Le livre noir du communisme" in Frankreich erschien, löste diese 864 Seiten starke Anklageschrift gegen den inzwischen verblichenen Kreml-Kommunismus eine hitzige Debatte aus, die sich nur vor dem Hintergrund der französischen Innenpolitik verstehen ließ: Kurz davor war eine Linksregierung ans Ruder gekommen, in der neben Sozialisten und Grünen auch die Kommunisten saßen und noch sitzen. Die PCF hat sich aber bisher einer Auseinandersetzung mit ihrer stalinistischen Vergangenheit so gut wie völlig entzogen. Die zur PDS mutierte SED in Deutschland (PB 10/98) ist geradezu ein Muster an Bußfertigkeit, wenn man sie mit ihrem französischen Pendant vergleicht.

Hierzulande fand das "Schwarzbuch des Kommunismus", wie der deutsche Titel lautete, nur ein mäßiges Echo. Auch war die Rezeption eine andere: Kritiker bemängelten, dass sich das Wesen des Stalinismus nicht mit einer bloßen Auflistung des Schreckens erfassen lasse. Aus Koestlers "Sonnenfinsternis" oder Leonhards "Die Revolution entläßt ihre Kinder" erfahre man noch immer zehnmal mehr über die menschenverachtende Ideologie und Praxis des Kreml-Kommunismus. Mit der anfechtbaren Behauptung, der kommunistische Terror habe noch mehr Menschenleben gefordert als das Wüten des Nationalsozialismus, trage dieses Schwarzbuch außerdem dazu bei, die Verbrechen des Nationalsozialismus zu verharmlosen oder zumindest zu relativieren.

Drei Fliegen mit einer Klappe: Der Kapitalismus ist auch am Faschismus und Kommunismus schuld

Das vorliegende Buch spekuliert mit seinem Titel auf diese Kontroverse. Es nimmt den Begriff des "Schwarzbuchs" im Sinne eines Kompendiums der Anklage auf, um ihn gegen den Kapitalismus zu richten. Zugleich erweckt es auf den ersten Blick den Anschein, als wolle der Verfasser auf 816 Seiten eine genauso dickleibige Gegenrechnung aufmachen.

Dieser Eindruck einer simplen Retourkutsche trifft allerdings nicht zu. Robert Kurz will nicht dem "Schwarzbuch des Kommunismus" ein noch schwärzeres Buch des Kapitalismus entgegenhalten. Er macht vielmehr den Kapitalismus gleich für alle Übel dieser Welt verantwortlich. Auch die Schwarzbücher des Kommunismus werden da noch zu Schwarzbüchern des Kapitalismus: In der Sicht von Robert Kurz sind nämlich auch der Stalinismus oder der Nationalsozialismus nur so etwas wie historische Seitentriebe aus dem Wurzelgeflecht des kapitalistischen Zeitalters.

Einige Bruchstücke dieser Sichtweise sind gar nicht so neu: Dass der Nationalsozialismus eine "Form bürgerlicher Herrschaft" sei, gehörte schon zu den Gemeinplätzen der Außerparlamentarischen Opposition. Die Theoretiker des Totalitarismus behaupteten schon immer, dass es zwischen Kommunismus und Nationalsozialismus mehr Gemeinsamkeiten als Gegensätze gebe. Und schließlich tauchte bereits in den linken Theorie-Debatten der achtziger Jahre der Begriff des "Fordismus" als systemübergreifendes Strukturmerkmal für westlichen Kapitalismus und östlichen Realsozialismus auf.

Robert Kurz verbindet diese Bruchstücke zu einem Monumentalgemälde der apokalyptischen Reiter des Kapitalismus, auf dem der Neoliberalismus von den höllischen Varianten des Nationalsozialismus und Stalinismus flankiert wird. Über 800 Seiten wird er nicht müde, das Bild dieser unheiligen Dreieinigkeit zu beschwören, wobei er vor allem dem Neoliberalismus die grässlichen Züge eines Medusenhaupts zu verleihen versucht.

Nun kann man über den Neoliberalismus und seine Auswüchse - man denke an den Kult um den Shareholder value oder an die nicht eben seltene Abkopplung der Börsenkurse von der realen Wertschöpfung - durchaus verschiedener Meinung sein. Neulich warnte sogar ein dezidierter Verfechter der Marktwirtschaft, der frühere Bahn-Chef Heinz Dürr, vor der "Vergötzung" des Marktes und mokierte sich über Börsenanalysten, "von denen viele noch nie eine Fabrik von innen gesehen haben". Das neoliberale Credo, dass der Markt bzw. die berühmte "unsichtbare Hand" des Adam Smith alles schon irgendwie ins Lot bringen werden, stößt bei den Leidtragenden der gegenwärtigen Entwicklungen naturgemäß auf wenig Verständnis. Die Leidensbereitschaft, mit der die Engländer glaubten, sich eine Maggie Thatcher zumuten zu müssen, wird kaum so schnell Nachahmung finden. Die Kritik am Neoliberalismus nimmt jedenfalls zu, und einschlägige Bücher sind schon mehrfach zu Bestsellern geworden. Zu erwähnen sind hier etwa Viviane Forresters emotionale Abrechnung mit dem "Terror der Ökonomie" (PB 8/97), Marion Gräfin Dönhoffs Appell "Zivilisiert den Kapitalismus" (PB 12/97) oder die ätzende Kritik des erfolgreichen Börsenspekulanten George Soros in "Die Krise des globalen Kapitalismus" (PB 2/99).

Auch der Autor des hier besprochenen Buches hat sich schon wiederholt in dieser Auseinandersetzung zu Wort gemeldet. In der von ihm mitherausgegebenen linken Theoriezeitschrift "Krisis" und anderen Publikationen attackiert er allerdings nicht nur den Neoliberalismus als Wirtschaftsdoktrin, sondern die Marktwirtschaft und den Liberalismus überhaupt. Er sieht im Kapitalismus schlechthin das Erzübel unserer Zeit - so als wäre dem Kind damit geholfen, dass man es mit dem Bade ausschüttet. Denn Alternativen hat auch Kurz nicht anzubieten, abgesehen von wolkigen Vorstellungen über eine "dritte Kraft", rätedemokratischen Utopien oder ebenso weltfremden Verweigerungshaltungen.

Nach dem "Kollaps der Modernisierung" gelang Kurz nun der Sprung auf die Bestseller-Liste

Die größte Beachtung fand Kurz bisher mit dem Buch "Der Kollaps der Modernisierung", das 1991 in der von Hans Magnus Enzensberger herausgegebenen Anderen Bibliothek erschien und 1994 eine erweiterte Taschenbuch-Ausgabe erlebte (PB 9/94). Das Buch bestach durch sprachlichen Stil, intellektuelle Brillanz und gekonnte Polemik, die jedem Essayisten zur Ehre gereichen würden. Die elegische Melodie von der Dialektik der Aufklärung, die sich selbst zerstört, wurde hier ins Ökonomische gewendet und zum Schwanengesang auf die Marktwirtschaft, die sich selbst das Grab schaufelt. Das Problem ist nur, dass Kurz sich nicht als Essayist versteht, der bewusst zuspitzt, um Zusammenhänge deutlicher werden zu lassen, sondern die Rolle der Kassandra mit missionarischem Eifer auslebt. "Kurz liebt die große verbale Geste, die das Detail nicht selten zugunsten der Hauptlinie wegwischt", stellte Friedrich Dieckmann in seinem Vorwort zu der Taschenbuch-Ausgabe fest. Und im PresseBLICK hieß es damals zum Schluss der Besprechung: "Das hier entworfene Untergangs-Szenario ist wohl des Nachdenkens wert, aber keinesfalls von fataler Unausweichlichkeit."

Solche Vorbehalte gelten ebenso und in noch größerem Maße für das "Opus magnum" (Verlagswerbung), das Kurz mit diesem Wälzer vorlegt. Auf der Liste der Bestseller, welche die Wochenzeitung "Die Zeit" regelmäßig ermittelt, rangierte das "Schwarzbuch Kapitalismus" im Februar auf dem achten Platz. Für ein Buch dieses Umfangs und dieser Preislage ein beachtlicher Erfolg. Noch bemerkenswerter ist, dass ihn ein Verfasser erzielt, dessen Thesen man als marxistisch oder neo-marxistisch bezeichnen kann.

Rein handwerklich ist dem Verfasser die Arbeit sicher wieder gelungen. Im Unterschied zu Cato, der im römischen Senat seine Forderung nach der Zerstörung Karthagos monoton zu wiederholen pflegte, findet Kurz immer wieder neue sprachliche Einkleidungen, um sein "ceterum censeo" gegen den Kapitalismus zu schleudern. Er garniert seine Anklage außerdem mit vielen ausführlichen Zitaten, die auch dann interessant sind, wenn Kurz bei ihrer Interpretation überzieht.

Die Resonanz auf das "Schwarzbuch Kapitalismus" in den Medien war großteils positiv bis enthusiastisch, was auch damit zu tun hat, dass in intellektuellen Kreisen der Neoliberalismus immer mehr in Misskredit gerät. In der "Zeit", die das Buch gleich von zwei Rezensenten mit kontroversen Standpunkten besprechen ließ, hielt es der eine gar für die wichtigste Veröffentlichung der letzten zehn Jahre. Der andere fühlte sich dagegen durch die sektiererischen Züge des Mammut-Traktats in dem Eindruck bestätigt, "dass die hellere Seite des Marxismus nicht ohne die dunklere zu haben ist".

Die Grundthesen des Verfassers sind dieselben, die er bereits im "Kollaps der Modernisierung" entwickelt hat:

1. Schon die sozialdemokratische Arbeiterbewegung war zutiefst von jenem kapitalistischen System geprägt, das sie bekämpfte und überwinden zu können glaubte.

2. Auch das kommunistische Modell, wie es Lenin in Russland installierte, war nur eine Art Metamorphose des Kapitalismus. Es bildete keine Alternative, sondern war der russische Versuch einer "nachholenden Modernisierung".

3. Der Nationalsozialismus war sowieso nur eine Variante kapitalistischer Herrschaft.

4. Alle Hoffnungen, den Kapitalismus im Sinne einer "sozialen Marktwirtschaft" oder ähnlichem zähmen zu können, sind Illusion oder Augenwischerei. Das kapitalistische System ist und bleibt labil und krisenhaft. Es wird von einer zerstörerischen Eigengesetzlichkeit beherrscht, die tendenziell der Barbarei zustrebt.

5. Die Wurzel des Übels ist, dass der Kapitalismus alles zu Ware und Geld macht. Er zwingt die Menschen, die Welt durch diese Brille zu sehen, und entfremdet sie so ihren wahren Interessen. Auch in seinen demokratischen Erscheinungsformen ist er deshalb von Grund auf totalitär.

Dies alles klingt zum großen Teil wie eine Wiederholung von Thesen, die zur Zeit der Studentenbewegung im Schwange waren: Man findet darin die Entfremdungs-Theorie von Marx ebenso wie die politische Ökonomie von Ernest Mandel, den Kulturpessimismus der Frankfurter Schule oder eine Prise Anarcho-Syndikalismus. Wirklich neu gegenüber der ideologischen Melange von 1968 ist lediglich, dass nun auch die Arbeiterbewegung nicht mehr als Hoffnungsträger gilt und der Kreml-Kommunismus im Prinzip genauso wie der Nationalsozialismus als eine monströse Metamorphose des Kapitalismus gesehen wird.

Parallel zum neoliberalen Paradigmen-Wechsel entdeckten linke Theoretiker den "Fordismus"

Relativ neu ist außerdem der Begriff des "Fordismus", den Kurz exzessiv verwendet und der in den Debatten der Außerparlamentarischen Opposition noch nicht auftauchte. Im engeren Sinne steht der Begriff für die rationelle Ausnutzung der menschlichen Arbeitskraft zur Steigerung der Produktivität, wie sie erstmals Henry Ford mit der Fließbandproduktion im Automobilbau vorexerziert hat. Im weiteren Sinne, wie er in der linken Theorie-Diskussion ab den achtziger Jahren Karriere machte, impliziert der Begriff aber einiges mehr: Er dient hier als Chiffre für eine Ära des Kapitalismus, die geprägt war von Massenproduktion, Massenabsatz, Dominanz des Binnenmarktes, Wachstum, Arbeitskräftemangel, Reallohnerhöhung, sozialer Sicherheit sowie weitgehender Kooperation zwischen Gewerkschaften und Unternehmern.

Demgegenüber steht die Phase des "Post-Fordismus", die Mitte der siebziger Jahre in der Wirtschaftspolitik mit der Ablösung des Keynesianismus durch den Neoliberalismus einsetzte. Sie wird geprägt von reiner Marktwirtschaft, Dominanz des Weltmarktes, stagnierendem Absatz, Staatsverschuldung, struktureller Arbeitslosigkeit, unbeständigen Arbeitsverhältnissen, Reallohnsenkung, Abstieg der Gewerkschaften, Shareholder-Value-Kult und Konfrontationskurs der Unternehmer. Kurzum: Aus dem früheren "Fließband-Kapitalismus" wird nun der "Kasino-Kapitalismus".

Der "Fordismus" wurde von den linken Theoretikern also just entdeckt, als es mit ihm zu Ende ging. Er bildet in der linken Theorie die spiegelbildliche Entsprechung zum neoliberalen Paradigmen-Wechsel. Zugleich enthielt er schon immer ein Moment der Abgrenzung gegenüber dem orthodoxen Marxismus oder gar dem parteiamtlichen Marxismus-Leninismus, die dem "fordistischen" Konzept in punkto Effizienz und Massenproduktion nachzueifern suchten. Zum Beispiel waren Lenins Ansichten über die effiziente Organisation der Sowjetwirtschaft unter diesem Blickwinkel ein pures Nachbeten fordistischer Rezepte. Als systemübergreifendes Strukturmerkmal liegt der "Fordismus" auch der von Kurz vertretenen These zugrunde, das von Lenin begründete System sei von Anfang an ein zum Scheitern verurteilter Ableger des Kapitalismus gewesen.

Kurz hält sich nicht damit auf, den fordistischen Zuständen nachzutrauern oder sich mit dem Post-Fordismus nach Art des amerikanischen "Kommunitarismus" (PB 9/94) zu arrangieren. Für ihn ist der Kapitalismus grundsätzlich mit etwas ähnlichem behaftet, was die katholische Theologie unter Erbsünde versteht. Und wie für die Theologen gibt es für ihn kein Heil in dieser Welt, die grundsätzlich vom Kapitalismus verderbt ist. Während die marxistisch inspirierte Arbeiterbewegung immerhin noch das Licht der "neuen Zeit" am Ende des Tunnels zu erblicken vermeinte, kann Kurz über solche Illusionen nur müde lächeln. Seine Exegese der Marxschen Schriften stützt sich auf die Entfremdungstheorie, welche die Partei-Ideologen bei der Zusammenstellung ihrer jeweiligen Marx-Bibeln geflissentlich ignoriert und zu den Apokryphen gesteckt hatten. In der Tat ist die Theorie des Warenfetischismus bis heute einer der interessantesten Aspekte am Werk dieses Denkers geblieben, und als "verdinglichtes Bewusstsein" lieferte sie eines der wichtigsten Stichworte der Frankfurter Schule. Wer allerdings glaubt, diese Entfremdung nur in Gestalt des Kapitalismus dingfest machen zu können und sie partout überwinden zu müssen, erliegt wahrscheinlich gerade damit einer speziellen Form des verdinglichten Bewusstseins.

Genau besehen bleibt das Sündenregister, das Kurz dem Kapitalismus aufmacht, wenig hilfreich. Sein Buch lebt vor allem von der düsteren Prognose, dass der post-fordistische Kapitalismus eine große Seifenblase darstellt, die irgendwann platzen und die Welt in den Abgrund reißen wird. Zum Teil wird das recht geistreich begründet, so wenn er im anscheinend unaufhaltsamen Höhenflug des Aktienindexes eine Camouflage der Inflation sieht, die zeitgleich zurückging. Im wesentlichen pflegt er damit aber doch einen ähnlichen Chiliasmus wie der von ihm verachtete "Arbeiterbewegungs-Marxismus", der voller bang-süßer Erwartung die irreparable Krise bzw. den "großen Kladderadatsch" des kapitalistischen Systems prophezeite.

Verjährungsfristen kennt Kurz bei seiner Anklage nicht. Seine wichtigsten Kronzeugen holt er sich sogar aus der Prähistorie des Kapitalismus: Schon in Hobbes sieht er einen "bitteren, finsteren Propheten der Marktwirtschaft" und in dessen "Leviathan" das "Gesamt-Ungeheuer", das die kleinen Ungeheuer der marktwirtschaftlichen Konkurrenz bändigt.

Besonders insistiert er auf den Werken Mandevilles (1670 - 1733) und Benthams (1748 - 1832), als könnten mit solchen Denkern aus der Raubritter-Phase des englischen Bürgertums die heutigen Apologeten des Neoliberalismus in Sippenhaft genommen werden. Der Marquis de Sade (1740 - 1814) muss mit seinem abartigen Verständnis von Lust und Erotik sogar als Vorläufer aller kapitalistisch verkrüppelten Egomanen herhalten, die in der Frau nur das Lustobjekt sehen oder sich mit Telefon- und Cyber-Sex abspeisen lassen.

Gnadenlos geht Kurz selbst mit Ikonen der Linken wie dem italienischen Philosophen Antonio Gramsci ins Gericht, den er als Apologeten des Fordismus entlarvt. Der alte Bebel kriegt sein Fett weg, weil er den Antisemitismus als "Sozialismus der dummen Kerle" bezeichnet hat. In dieser Äußerung habe nämlich die Hoffnung mitgeschwungen, den Antisemitismus als dumpfen Affekt gegen das Kapital und Vorform von Klassenbewusstsein seitens der Sozialdemokratie beerben zu können. Mit dieser Interpretation dürfte Kurz sogar recht haben, und es macht einen Reiz seines Buches aus, wie er immer wieder solche Dinge ausgräbt und genauer unter die Lupe nimmt. Dennoch wirkt es reichlich unfair, wenn er an den Zeitgeist einer Epoche, die den Juden eben erst die bürgerliche Gleichberechtigung eingeräumt hatte, rückwirkend Maßstäbe anlegt, die erst nach dem nationalsozialistischen Massenmord entstanden sind.

Unangenehm berühren bei seinem Buch vor allem die Hassausbrüche gegen den "Liberalismus", den er nolens volens mit einer Wirtschaftsdoktrin bzw. dem Neoliberalismus gleichzusetzen scheint. So sicher ein Zusammenhang zwischen kapitalistischer Marktwirtschaft und bürgerlichen Freiheiten besteht, so kurzsichtig und verhängnisvoll wäre es, den Wirtschaftsliberalismus mit dem politischen Liberalismus gleichzusetzen. Purer Wirtschaftsliberalismus herrschte beispielsweise auch unter der Diktatur Pinochets in Chile, wo die "Chicago-Boys" ihr erstes Experimentierfeld fanden. Der politische Liberalismus ist dagegen oft notgedrungen sogar der Antagonist des Wirtschaftsliberalismus, wenn er sich als Garant bürgerlicher Freiheiten und menschenwürdiger Lebensbedingungen versteht. Wo er dies versäumt oder nicht vermag, kommt der Antagonismus auf andere Weise zu seinem Recht, wie schon die Abspaltung der Sozialdemokratie vom bürgerlichen Liberalismus in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gezeigt hat. Das feudale Lager, gegenüber dem sich einst der Liberalismus profilierte, gibt es inzwischen längst nicht mehr, und auch die sogenannten konservativen Parteien sind mehr liberal als konservativ. Die einzige reale Alternative zum Liberalismus sind Totalitarismen aller Schattierungen. Mit seinem undifferenzierten Wüten gegen den Liberalismus haut Kurz deshalb in eine gefährliche Kerbe. Da lobt man sich fast noch die Revoluzzer vom SDS, die einst mit einer Mischung aus Verachtung und Nachsicht auf "liberale Scheißer" wie Ralf Dahrendorf herabblickten...

Mit seiner Fokussierung auf den Kapitalismus als Quelle allen Übels erinnert das Buch an ein völlig anders geartetes Pamphlet, in dem der Amerikaner Francis Fukuyama nach dem Zusammenbruch des Kreml-Kommunismus das "Ende der Geschichte" prophezeit hatte. Der Unterschied ist: Während für Fukuyama nun weltweit die Glückseligkeit nach Art des american way of life anbricht, sieht Robert Kurz die Barbarei triumphieren.

Was beide verbindet, ist die Einseitigkeit einer Sichtweise, die nur "Hosianna!" oder "Kreuziget ihn!" kennt.

(PB 2/00/*leu)