PresseBLICK-Rezensionen Elektrotechnik



Carl-Jochen Winter

Sonnenenergie nutzen - Technik, Wirtschaft, Umwelt, Klima

172 S., DM 29.80, VDE-Verlag 1997


Daß technischer Sachverstand sich mit der Fähigkeit verbindet, über den Tellerrand des Bestehenden hinauszublicken, kommt nicht allzu häufig vor. Carl-Jochen Winter gehört zu diesen Ausnahmen. Schon vor einigen Jahren hat er mit seinem Buch "Die Energie der Zukunft heißt Sonnenenergie", das im Verlag Droemer Knaur erschien (siehe PB 11/93) einem breiteren Publikum die Möglichkeiten der Solarenergie vorgestellt und die Notwendigkeit einer "zweiten solaren Zivilisation" beschworen. Mit dem vorliegenden Buch, das im VDE-Verlag herauskam, wendet er sich dagegen vor allem an ein Fachpublikum. Es enthält im wesentlichen dieselben Gedanken, doch spricht hier eher der Ingenieur als der um Allgemeinverständlichkeit bemühte stellvertretende Vorsitzende des "Forums für Zukunftsenergien". Zum Beispiel verwendet Winter schon auf der ersten Seite einen fachsprachlichen Plural, der in der Allgemeinsprache nicht vorkommt, indem er von "Lebensdauern der Energiewandler" schreibt.

Die Befürchtung, sein Buch könne nur für Fachleute verständlich sein, erweist sich aber als unbegründet. Gewiß schreibt hier kein Franz Alt, der mit leichter Hand "Schilfgras statt Atom" anpreist. Die Lektüre bedarf schon einer gewissen Vertrautheit mit dem Thema und der Mühe des Mitdenkens. Wer diese Mühe nicht scheut, wird aber hinreichend belohnt durch eine Breite des Überblicks und eine Faktenfülle, die er kaum in anderen Publikationen findet. Besonders hervorzuheben sind die zahlreichen Grafiken und Tabellen, die wichtige Aspekte der Energiewirtschaft und -technik ausleuchten: zum Beispiel die Schwankungen des Ölpreises, die spezifischen Investitionskosten von Kraftwerken, die Wirkungsgrade einzelner Energiewandler oder die Energieinhalte von mechanischen, thermischen und chemischen Speichern.

Winter unterscheidet acht erneuerbare Energien: Sonnenstrahlung, Wind, Wasserkraft, Umgebungswärme, Biomasse, Geothermische Energie, Gezeiten und Meeresenergie. Die mit Abstand wichtigsten sind dabei direkt oder indirekt solaren Ursprungs. Auf den ersten vierzig Seiten seines Buches erläutert er Physik und Technik dieser erneuerbaren Energien sowie die Bedeutung des solaren Wasserstoffs als Speichermedium. Es folgen zehn Seiten über Energiewandlungsketten, Exergie/Anergie, Entropie/Negentropie sowie Stoffumwandlung. Winter will damit unterstreichen, daß bei der Energiewandlung aus erneuerbaren Energien keine Schad- oder Reststoffe anfallen. Weitere 16 Seiten widmet er einer energiewirtschaftlichen Betrachtung über verfügbare Potentiale, Erntefaktoren oder Flächen- und Materialintensität. Denselben Umfang hat das Kapitel über "Energie, Umwelt, Klima", in dem es um den Treibhauseffekt, Stoffkreisläufe und die Notwendigkeit einer "nachhaltigen Entwicklung" geht. Schließlich beschreibt er auf fast fünfzig Seiten Energiewandler wie Sonnenkollektoren, Solarzellen, Windkraftwerke, Wärmepumpen oder Solararchitektur, mit denen sich die erneuerbaren Energien nutzen lassen.

Die "zweite solare Zivilisation" bleibt bei den gegenwärtigen Energiepreisen ein Wunschbild

Auf den letzten Seiten unterstreicht Winter ein weiteres Mal - wie schon in seinem früheren Buch - die Notwendigkeit einer "zweiten solaren Zivilisation". Er meint damit die Deckung des gesamten Energiebedarfs aus erneuerbaren Quellen, wie sie bis zum Beginn der Industrialisierung schon die "erste solare Zivilisation" prägte, nun aber mit den ungleich effektiveren Techniken des 21. Jahrhunderts wiederaufgenommen werden könnte. Im Rahmen der Menschheitsgeschichte sei die Nutzung der fossilen Energieträger nicht mehr als ein Wimpernschlag. Die Begrenztheit der Vorräte an Öl, Gas, Kohle und Uran mache den erneuten Rückgriff auf die Solarenergie unumgänglich. Die Entwicklung der dafür erforderlichen neuen Energiewandler dauere aber Jahrzehnte. Sie müsse schon jetzt in Angriff genommen werden, damit der zeitliche "Flaschenhals" der Umstellung nicht zu eng werde.

Winter verschließt sich nicht der Einsicht, daß die derzeitigen Preise für Kohle, Gas und Öl kaum einen Anreiz bieten, die Nutzung der erneuerbaren Energien voranzutreiben. Die bisherige Haltung von Energiewirtschaft und -industrie gegenüber den erneuerbaren Energien charakterisiert er als "beobachtend, abwartend, hier und da fördernd, hier und da behindernd".

Die zweite Solare Zivilisation werde aber ein "realitätsfernes, schönes Wunschbild bleiben, wenn der Energiepreis ihre Heraufkunft nicht fördert". Ebenso weiß er: "Wer hungert oder gerade beginnt, sein Land zu entwickeln, denkt nicht über die Zweifel an der überkommenen Energieversorgung nach. Er verbrennt schlicht das, was sich ihm bietet: Dung, Holz, Kohle, Öl, Gas."

Bei dieser Sachlage bleibt ihm letzten Endes nur der Appell an die Verantwortung gegenüber späteren Generationen. Die gegenwärtig betriebene Energiewirtschaft verletze in gröblichster Weise "die stillschweigende Übereinkunft zwischen der lebenden Generation und den Generationen nach ihr, die Erde so weiterzugeben, wie sie übernommen wurde".

(PB 2/98/*leu)