PresseBLICK-Rezensionen | Erneuerbare Energien |
Der Anteil der Sonnenenergie an der öffentlichen Stromversorgung Deutschlands läßt sich gegenwärtig weder in Prozent noch in Promille angemessen ausdrücken. Er beläuft sich auf 1,5 Millionen Kilowattstunden bei einem jährlichen Gesamtstromverbrauch von 450 Terawattstunden. Das sind 0,0033 Promille des Gesamtverbrauchs. Für diesen geringen Anteil gibt es gute Gründe: Unter den hier und heute gegebenen Umständen ist Strom aus Sonnenenergie eine überaus kostspielige, wenig ergiebige, starken Schwankungen unterworfene und in den allermeisten Fällen völlig unrentable Angelegenheit. Wer Verantwortung für die Sicherstellung der Energieversorgung unter den technisch-wirtschaftlichen Rahmenbedingungen der Gegenwart trägt, kommt an diesen Fakten nicht vorbei.
Es bedarf deshalb schon einiger Phantasie, um sich vorstellen zu können, daß eines Tages unser Energiebedarf hauptsächlich aus Sonnenlicht und -wärme gedeckt werden könnte. Andererseits haben wir solche Phantasie nötig: Die Vorräte an Kohle, Öl und Gas reichen höchstens noch für ein paar Generationen. Auch die Uranvorkommen sind begrenzt, und die Energiegewinnung aus Kernfusion liegt noch in weiter Ferne. Was bleibt also anderes übrig, als sich auf die Nutzung der Sonnenenergie einzustellen?
Die Chancen der Sonnenenergie können jedenfalls sehr unterschiedlich beurteilt werden, je nachdem, ob man sie kurz-, mittel- oder langfristig sieht. Wer an die Zukunft, an die Umwelt und in volkswirtschaftlichen Kategorien denkt, darf den Blick nicht am Tellerrand des betriebswirtschaftlichen Kalküls enden lassen. Erforderlich ist vielmehr eine vernünftige Mischung aus Pragmatismus und Phantasie, welche die Realitäten der Energiewirtschaft von heute ebenso zur Kenntnis nimmt wie die Unvermeidlichkeit ihres Wandels.
Der Verfasser Carl-Jochen Winter bringt für eine solche Sichtweise gute Voraussetzungen mit. Er leitete von 1976 bis 1991 als Vorstandsmitglied der Deutschen Forschungsanstalt für Luft- und Raumfahrt in Stuttgart den Forschungsbereich Energetik. Von 1988 bis 1992 war er Vorstandsmitglied des Zentrums für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung von Baden-Württemberg in Stuttgart. Seit 1983 ist er als Hochschulllehrer tätig. Vor allem aber ist er seit 1989 stellvertretender Vorstandsvorsitzender des Forums für Zukunftsenergien in Bonn und seit 1991 Mitglied der Enquête-Kommission "Schutz der Erdatmosphäre" des 12. Deutschen Bundestages.
Um den Blick über den erwähnten Tellerrand zu lenken, unterscheidet Winter eine "erste solare Zivilisation", die mit der Industrialisierung zu Ende ging, von der "zweiten solaren Zivilisation" , die uns ab dem 21. Jahrhundert bevorsteht. Er verweist darauf, daß der Mensch über viele Jahrtausende ausschließlich mit der Sonnenenergie gewirtschaftet hat, zu der sich auch Wind und Wasserkraft zählen lassen. Erst im 18. Jahrhundert beginnt die Nutzung der fossilen Brennstoffe. Damit wird das Energieangebot vervielfacht und ein Entwicklungsschub ausgelöst, der bis heute anhält. Dieser Entwicklungsschub beruht jedoch auf der Ausbeutung von Ressourcen, die irgendwann versiegen werden. Insgesamt gesehen nimmt im großen Buch der Menschheitsgeschichte die Nutzung von Kohle, Öl, Gas oder Uran nicht mehr als ein paar Zeilen in Anspruch - und es könnten die letzten Zeilen dieses Buches sein, wenn es der Menschheit nicht gelingt, ihren immens gestiegenen Energiebedarf rechtzeitig auf neue Energiequellen umzustellen.
Vor dem hier skizzierten Hintergrund sieht Winter die gegenwärtige Energiewirtschaft als eine Übergangsphase, welche die "erste solare Zivilisation" - also die Menschheitsgeschichte bis zum Beginn der Industrialisierung - mit einer "zweiten solaren Zivilisation" verbindet, die ab dem 21. Jahrhundert die Nutzung fossiler Energieträger ablösen wird. Die Energiegewinnung aus Kohle, Öl, Gas und Uran schrumpft zu einem Zwischenakt der Kulturgeschichte. Die eigentliche Bedeutung dieses kurzen Abschnitts besteht darin, daß er durch die Ausbeutung der fossilen Energiereserven den Sprung auf ein höheres wissenschaftlich-technisches Niveau ermöglichte, welches es nun seinerseits ermöglicht, eine "Renaissance der solaren Zivilisation" herbeizuführen.
Diese zweite solare Zivilisation wird selbstverständlich nicht mehr von Wasserrad, Windmühle und Segel bestimmt werden, sondern von High tech-Anlagen zur Nutzung der erneuerbaren Energien und Minimierung des Energieverbrauchs. An erster Stelle stehen dabei photovoltaische und solarthermische Technologien, welche die Energie der Sonne in Strom verwandeln. Die überkommenen Städte der Welt wandeln sich sukzessive in "Sonnenstädte", die schon durch ihre Architektur auf möglichst rationelle Nutzung der Sonnenenergie angelegt sind. Die Niedrigenergiehäuser dieser Städte werden Solarzellen auf den Dächern tragen und damit ihren Strom größtenteils selbst erzeugen. An günstigen Standorten werden solarthermische Kraftwerke die dezentrale Netzeinspeisung durch Photovoltaik ergänzen. Außerdem werden alle anderen erneuerbaren Energien wie Wasser, Wind und Biomasse genutzt, einschließlich der nicht von der Sonne stammenden Erdwärme und Gezeiten. Als Medium für die Speicherung und den Transport der aus der Sonne gewonnenen Elektrizität dient Wasserstoff.
Besonderen Charme besitzt die Solarenergie für Winter dadurch, daß sie sowohl die Vergeudung unersetzlicher Ressourcen als auch die Belastung der Umwelt vermeidet. Die Sonnenenergie steht gratis und praktisch unerschöpflich zur Verfügung. Sie muß nicht erst mühsam erschlossen und herbeitransportiert werden. Bei der Energiewandlung bleiben keine Schad- oder Reststoffe übrig. Die ganze solare Energietechnik beschränkt sich deshalb auf den eigentlichen Akt der Energiewandlung. Selbst die energetische Nutzung von Biomasse setzt allenfalls soviel Kohlendioxid frei, wie zuvor in dem pflanzlichen Rohstoff gebunden wurde.
Damit sei die Solartechnik das geeigneteste Instrument, um der Zunahme der "Entropie" auf unserem Planeten Einhalt zu gebieten. Denn nach dem zweiten Hauptsatz der Thermodynamik strebt Energie innerhalb eines geschlossenen Systems unaufhaltsam und unumkehrbar einem Zustand völliger Verteilung zu. Jeder Zustand höherer Ordnung an der einen Stelle bedarf einer zusätzlichen Energiezufuhr und wird um den Preis eines Zustands geringerer Ordnung an anderer Stelle erkauft. Zum Glück wird die Entropiezunahme unseres irdischen Systems durch ständige Energiezufuhr von der Sonne ausgeglichen, und es wird wohl noch einige Zeit dauern, bis das Weltall insgesamt den "Wärmetod" erleidet. Winter verweist aber darauf, daß der zweite Hauptsatz der Thermodynamik auch für alle Materialien gilt: Durch zunehmende Verwirtschaftung, Verteilung und Verflüchtigung werden sie am Ende zu Staub und damit praktisch nicht mehr nutzbar. Nur eine möglichst weitgehende "Entmaterialisierung" des Produktionsprozesses kann diese Stoff-Entropie aufhalten. Die solare Energietechnik entspricht für Winter dieser Anforderung in idealer Weise. Bei ihr betreffe der zweite Hauptsatz der Thermodynamik nur jene Materialien, die für die Technik der Energiewandlung eingesetzt werden müssen. Dagegen bedeute die gegenwärtige energiewirtschaftliche Nutzung von Kohle, Öl, Gas und Uran nichts anderes als eine gigantische Energie- und Stoffentwertung.
"Innovationen tragen die Konjunkturen" glaubt Winter zum Schluß seines Buches in Anlehnung an einen Ausspruch des Nationalökonomen Schumpeter feststellen zu können. In einer Grafik verdeutlicht er die Schwankungen der Weltkonjunktur von 1750 bis heute und wie sie mit der Häufigkeit der Innovationen zeitlich versetzt korrespondieren, so daß die Höhepunkte technischer Innovation jeweils den Höhepunkten der Konjunktur vorangehen. Für den gegenwärtigen Zeitpunkt weist die Grafik ein konjunkturelles Tal bei einem gleichzeitigen Hoch an Erfindungen aus, das mit "rationelle Energiewandlung, Sonnenenergie, Wasserstoff, Keramik, Composites, Mikroelektronik, Laser/Glasfaser, Gentechnik" beschriftet ist. Der "Innovationszyklus zur Entmaterialisierung" habe bereits begonnen, meint Winter - es kann also wohl nur aufwärts gehen, mit der Konjunktur im allgemeinen wie mit der Sonnenenergie im besonderen...
Auch da, wo Winter bereits bekannte Vorschläge und Visionen wiederholt, ist es nicht ohne Interesse, sie in seiner Sichtweise und Bewertung dargestellt zu bekommen. Zum Beispiel hält er nicht viel von dem Vorschlag, Sonnenkraftwerke auf einer geostationären Umlaufbahn im Weltall zu errichten und die dort gewonnene elektrische Energie mit Mikrowellen auf die Erde zu übertragen: Von den enormen technischen Problemen mal ganz abgesehen, werde dabei der gesamte Wirkungsgrad allenfalls fünf bis sieben Prozent erreichen.
Insgesamt handelt es sich bei dem Buch um ein beharrliches Plädoyer für die Sonnenenergie, wie man es vom stellvertretenden Vorsitzenden des Forums für Zukunftsenergien erwarten darf. Winter sieht seine Aufgabe offensichtlich nicht darin, mit spitzen Stift vorzurechnen, wie wenig sich die Nutzung der Sonnenenergie unter den gegenwärtigen Umständen lohnt. Er hält es vielmehr für wichtiger, den Blick in die Zukunft zu richten. Dabei wird sicher auch von so mancher technisch-wirtschaftlichen Hürde abgesehen, die gegenwärtig noch einer Nutzung der Solarenergie in größerem Umfang entgegensteht.
(PB 11/93/*leu)