PresseBLICK-Rezensionen | "Elektrosmog" |
Ratschläge zur Vermeidung und Reduzierung von FeldernBernd MüllerWirksamer Schutz vor Elektrosmog96 Seiten, DM 19.80, Verlag Gräfe und Unzer 1997 |
Seit über zwei Jahrzehnten befaßt sich in Deutschland der "Forschungsverbund Elektromagnetische Verträglichkeit biologischer Systeme" mit der Frage, ob die elektrischen und magnetischen Felder der Stromversorgung oder die hochfrequenten Felder des Funks ein Gesundheitsrisiko sein könnten. Bisher ist es noch keinem der Forscher gelungen, einen ursächlichen Zusammenhang zwischen Feldern der normalen häuslichen Umgebung und irgendwelchen gesundheitlichen Beschwerden herzustellen. Das wohl bemerkenswerteste Ergebnis aller bisherigen Untersuchungen war die Wachstumsbeschleunigung eines bereits vorhandenen, chemisch erzeugten Tumors bei vorgeschädigten Ratten, die im Dauerversuch relativ starken Magnetfeldern ausgesetzt waren. Auf den Menschen und die Felder der alltäglichen Umgebung läßt sich diese "krebspromovierende" Wirkung aber nicht übertragen. Außerdem steht bisher eine Bestätigung des Befunds durch Wiederholung des Experiments noch aus.
Von der eigentlichen Ursachenforschung zu unterscheiden sind epidemiologische Studien, die allenfalls Verdachtsmomente bzw. Hinweise auf mögliche Ursachen liefern können. Den begrenzten Nutzen der Epidemiologie veranschaulicht jene legendäre Studie, die eine deutliche Korrelation zwischen dem Auftreten von Störchen und der Häufigkeit von Geburten ergab: Trotz aller statistischen Signifikanz bedeutet eine solche Korrelation noch lange nicht, daß tatsächlich der Klapperstorch die Kinder bringt...
Mit technischer Unterstützung des Forschungsverbundes hat der Medizinstatistiker Prof. Michaelis, der in Mainz das Deutsche Kinderkrebsregister betreut, solche epidemiologischen Studien in Niedersachsen und Berlin durchgeführt. Die Ergebnisse können seiner Meinung nach "als möglicher Hinweis auf einen schwachen Zusammenhang zwischen magnetischen Feldern und dem Auftreten von Leukämien im Kindesalter gedeutet werden". Allerdings steht der Befund schon statistisch auf sehr wackligen Beinen. Es könnte sich genauso um ein Zufallsergebnis handeln. Schon bei der Vorstellung der Niedersachsen-Studie vor zwei Jahren bezweifelte deshalb einer der beteiligten Wissenschaftler, Prof. Hermann C. Kärner, den Sinn solcher statistischer Fleißarbeiten, zumal sie keine kausalen Zusammenhänge belegen könnten. Prof. Michaelis zog aus der Unergiebigkeit der gewonnenen Daten genau den umgekehrten Schluß: Er hielt es für nötig, eine bundesweite Studie durchzuführen, die auf einer größeren Fallzahl gründet und dadurch statistisch aussagekräftiger wird. Inzwischen hat er die gewünschten Forschungsgelder bewilligt bekommen. Die Resultate sollen im Jahr 2000 vorliegen.
Bei dem hier skizzierten Stand der Dinge nimmt der Autor des vorliegenden Buchs den Mund reichlich voll, wenn er dem Leser "wirksamen Schutz vor Elektrosmog" verspricht. Schon das Wort Elektrosmog unterstellt als Fakt, daß die nieder- und hochfrequenten Felder der alltäglichen Umgebung ein Gesundheitsrisiko darstellen. Ebenso suggeriert das Versprechen eines "wirksamen Schutzes" das Vorhandensein einer realen Gefahr, die es abzuwenden gilt.
Dem Verfasser und dem Verlag scheint bei dem reißerischen Titel selber nicht ganz wohl gewesen zu sein. Noch vor Beginn des eigentlichen Textes fällt dem Leser ein "Wichtiger Hinweis" ins Auge, der das im Titel gegebene Versprechen eines wirksamen Schutzes vor Elektrosmog sogleich wieder relativiert:
"Dieses Buch gibt Ihnen Hinweise, wie sich mögliche Risiken, die von Elektrosmog ausgehen könnten, reduzieren lassen. Dies ersetzt keine Behandlung von körperlichen oder seelischen Beschwerden durch einen Arzt. ... Jeder Leser und jede Leserin sind verpflichtet, in eigener Verantwortung zu entscheiden, ob und inwieweit sie die in diesem Buch dargestellten Hinweise anwenden."
Das hört sich fast schon an wie die Warnung vor den möglichen Risiken und Nebenwirkungen von Medikamenten, die oft mehr schaden als nützen. Und tatsächlich enthalten zahlreiche Bücher zum Thema "Elektrosmog" derart starken Tobak, daß sogar ein Warnhinweis nach dem Vorbild der Tabakwerbung angebracht wäre: "Diese Lektüre schadet Ihrer geistigen Gesundheit!"
Aber in diese Kategorie gehört das vorliegende Buch nicht. Das zeigt schon dieser "wichtige Hinweis", der eben nicht amtlich erzwungen, sondern freiwillig eingerückt wurde. Und vermutlich waren es auch nicht juristische Überlegungen, welche die nachträgliche Relativierung des Titels ratsam erscheinen ließen, sondern die intellektuelle Redlichkeit und der Wunsch nach deutlicher Abgrenzung zur unseriösen Ratgeber-Literatur aus der baubiologisch-esoterischen Ecke.
Jedenfalls entpuppt sich dieser Ratgeber trotz des grellen Titels als ein erfreulich sachliches Buch. Er bietet dem Leser zwar sicher keinen "wirksamen Schutz vor Elektrosmog", aber doch eine Fülle leicht verständlicher und korrekter Hinweise, wie er Felder in seiner häuslichen Umgebung feststellen, vermeiden oder reduzieren kann. Im Gegensatz zum ersten Eindruck wird im Text auch gar nicht behauptet, daß mit den nieder- oder hochfrequenten Feldern der alltäglichen Umgebung ein Gesundheitsrisiko verbunden sei. Mitunter gibt der Verfasser dem Leser sogar zu bedenken, ob sich der ganze Aufwand zur Vermeidung und Reduzierung von Feldstärken überhaupt lohnt. Oder er verweist auf das ungleich größere Risiko, falls irgendwelche körperlichen oder seelischen Beschwerden leichtfertig auf "Elektrosmog" zurückgeführt werden, statt sie vom Arzt oder Psychotherapeuten sachkundig behandeln zu lassen.
Der Titel ist deshalb wohl eher als Konzession an das Marketing zu werten: Aus verlegerischer Sicht ist es gar nicht so einfach, auf dem dicht besetzten Markt in Sachen Elektrosmog einen weiteren Ratgeber zu plazieren. Ein bißchen muß man da schon mit den Marktschreiern wetteifern, um überhaupt wahrgenommen zu werden.
Ein gewisses Unbehagen befällt den
sachkundigen Leser allerdings dort, wo der Verfasser unrealistisch
hochgeschraubte Grenzwert-Empfehlungen übernimmt. Nicht ganz
ohne Schlagseite sind auch seine Literatur- und Adressenempfehlungen.
Zum Beispiel führt er unter "Bücher, die weiterhelfen"
neben dem tatsächlich sehr informativen Buch "Strahlen,
Wellen, Felder" von Leitgeb (PB 10/91)
nur die teilweise tendenziösen Werke des Katalyse-Instituts
(PB
1/94),
des Ecolog-Instituts (PB 12/94) und von König/Folkerts (PB 6/92) an. Als "Adressen, die weiterhelfen"
nennt er dem Leser unter anderem die Arbeitsgemeinschaft "Leiden
unter Spannung" des Heinz Steinig (PB 5/95) und die dubiose "Internationale Gesellschaft
für Elektrosmog-Forschung" des Wulf-Dietrich Rose (PB 6/96).
Im übrigen kann man das Buch aber
jedem empfehlen, der eine leicht verständliche Einführung
in die Problematik sucht. Der Verfasser ist diplomierter Physiker
und hat als Redakteur des Fachmagazins "Bild der Wissenschaft"
schon mehrfach einschlägige Beiträge veröffentlicht,
die sich wohltuend von der üblichen Panikmache unterschieden. Das Buch vermittelt zunächst einen
Überblick über die Feldtheorie und die wichtigsten physikalischen
Größen. Es erläutert den Unterschied zwischen
Nieder- und Hochfrequenz sowie natürlichen und künstlichen
Feldern. Der Verfasser verschweigt nicht, daß es keine Belege
für ein Gesundheitsrisiko durch Felder der alltäglichen
Umgebung gibt. Dennoch plädiert er für Grenzwerte, die
um ein Vielfaches unter den Empfehlungen des ICNIRP (IRPA) und
der Felder-Verordnung der Bundesregierung liegen. Es sind dieselben
Werte, die auch das Elektrosmog-Buch des Katalyse-Instituts empfiehlt. Anschließend wird der Leser animiert,
seine eigenen vier Wände auf mögliche Quellen von "Elektrosmog"
zu untersuchen und diese in einem Lageplan einzutragen. Die Magnetfelder
der gängigsten Geräte sind in einer Tabelle angeführt.
Ferner wird kurz auf Möglichkeiten zur genaueren Bestimmung
der Feldstärken mit Meßgeräten eingegangen. Die restlichen zwei Drittel der insgesamt
96 Seiten bilden Ratschläge, wie sich Felder im Haushalt
oder am Arbeitsplatz verringern lassen: Am einfachsten sei es,
auf ausreichenden Abstand zu achten und Elektrogeräte so
zu plazieren, daß einem deren Felder nicht in die Quere
kommen. Das Abschalten und Aussstecken nicht benötigter Geräte
sei ein weiteres probates Mittel. Es folgen Tips wie das Umdrehen
des Steckers, damit der einpolige Schalter von Steckdosenleisten
mit der "Phase" auch das elektrische Feld um die angeschlossenen
Leitungen und Geräte abschaltet. Nicht ganz so billig kommt der Leser davon,
wenn er die Ratschläge im Kapitel "Abschirmmaßnahmen"
befolgen will. Mit einigermaßen vertretbarem Aufwand lassen
sich ohnehin nur das elektrische Feld im Niederfrequenzbereich
oder die elektromagnetischen Felder des Funks abschirmen: Abschirmfarbe
kostet rund 100 Mark pro Liter, Abschirmvlies ca. 30 Mark pro
Quadratmeter und Abschirmputz 30 bis 40 Mark pro Quadratmeter.
Letzterer hat den Vorzug, daß er auch Hochfrequenz schluckt.
In allen Fällen müssen die gestrichenen, belegten oder
verputzten Flächen sorgsam geerdet werden. Da kommt schnell
ein hübsches Sümmchen zusammen. Wer nur sein Nachtlager
gegen nieder- und hochfrequente Felder abschirmen möchte,
kann sich auch mit einem metallischen Netz begnügen, das
ab tausend Mark zu haben ist. Wer dagegen Wert darauf legt, auch das
magnetische Feld abzuschirmen, sollte sich darauf gefaßt
machen, daß eine umfassende Abschirmung mehr kosten würde
als das ganze Häuschen: Die hierfür erforderliche Folie
aus sogenanntem Mu-Metall - einer Legierung aus Nickel, Eisen,
Kupfer, Molybdän und Spuren von Mangan und Silizium - schlägt
mit rund tausend Mark je Quadratmeter zu Buche. Und auch dann
wären die Fenster noch immer durchlässig für Magnetfelder. Eine weitere Möglichkeit, Magnetfelder
zu beseitigen, ist deren Kompensation durch ein entgegengesetzt
gepoltes Magnetfeld. Technisch läßt sich das machen.
Allerdings kostet eine solche Anlage mehrere zehntausend Mark,
wenn sie etwas taugen soll. Vor "Feldfressern" oder
"Entstörern" aus der baubiologischen Wundertüte,
die angeblich denselben Kompensations-Effekt für weniger
Geld erbringen, warnt der Verfasser: "Wenn Sie Glück
haben, ist das gelogen, und die Kästchen erzeugen gar kein
Feld. Wenn Sie Pech haben, wird mit einer primitiven elektronischen
Schaltung tatsächlich ein Feld erzeugt, das aber das vorhandene
Magnetfeld bestimmt nicht kompensiert, sondern höchstens
verstärkt." Der berühmte Netzfreischalter darf
bei einer Auflistung der möglichen Schutzvorkehrungen gegen
"Elektrosmog" nicht fehlen. Der Verfasser charakterisiert
ihn als "Wunderwaffe mit Tücken", weil er lediglich
in Aktion tritt, wenn sämtliche Verbraucher eines Stromkreises
abgeschaltet sind und auch dann nur das elektrische Feld um Leitungen
und Geräte beseitigt. Schon der Blindstrom, den ein Dimmer
aufnimmt, kann den 150 bis 400 Mark teuren Automaten (ohne Einbau)
versagen lassen. Im Abschnitt über die Felder von Hochspannungsleitungen
macht sich der Verfasser wiederum die Grenzwert-Empfehlungen des
Katalyse-Instituts zueigen. Er gelangt dadurch zu entsprechend
überzogenen Empfehlungen für den Abstand zu Wohnungen.
Zum Beispiel nennt er für Wohnungen an 380-kV-Leitungen einen
"Mindestabstand" von 40 Metern und einen "Unbedenklichkeitsabstand"
von 160 Metern. Immerhin sei die Unterschreitung auch des Mindestabstands
für betroffene Leser "kein Grund zur Panik, denn die
Wahrscheinlichkeit, daß Sie in Folge zu hoher Felder erkranken,
ist gering". In jedem Falle sei es aber schon bei Unterschreitung
des Unbedenklichkeitsabstandes ratsam, sich mit dem zuständigen
Stromversorger in Verbindung zu setzen und ihn aufzufordern, die
Feldbelastung genau zu messen. Die Stromversorger sollten den Ball, der
ihnen hier zugeworfen wird, durchaus aufgreifen und sich auf solche
Anfragen einstellen. Die Aufwendungen für Personal und Meßgerät
rentieren sich. Andernfalls riskieren sie, daß die Messung
und Interpretation der Ergebnisse von "Baubiologen"
oder Esoterikern übernommen wird, die Physik mit Okkultismus
verwechseln und auch die Medizin am liebsten wieder den Schamanen
überlassen würden. (PB Januar 1998/*leu)
Ratschläge
zur Felder-Reduzierung
Warnung vor
baubiologischen Wundertüten
Besorgte Anwohner
von Hochspannungsleitungen sollen sich an ihren Stromversorger
wenden