PresseBLICK-Rezensionen | "Elektrosmog" |
Nüchtern und informativNorbert LeitgebStrahlen, Wellen, FelderMünchen/Stuttgart: Deutscher Taschenbuch Verlag und Georg Thieme Verlag 1990, 310 S. |
Einige Zeitungsmeldungen aus diesen Tagen: "Fliegen birgt ein nicht unerhebliches Strahlenrisiko" (Frankfurter Rundschau, 5.10.); "Experten nehmen eine Neubewertung radioaktiver Wirkungen vor" (Süddeutsche Zeitung, 2.10.); "Mehr Krebs durch Grillen und Rauchen als durch Atomkraftwerke" (dpa, 20.9.).
Der Laie liest's und fühlt sich hoffnungslos überfordert. Wie soll er das Risiko durch Strahlenbelastung beurteilen können, wo sich doch die Experten nicht mal einig sind?
Den Streit um zulässige Grenzwerte und Risiken wird auch dieses Buch nicht beenden. Der Autor ist sehr zurückhaltend, was Aussagen über mögliche gesundheitliche Gefährdungen betrifft. Halbwegs exakte Grenzwerte lassen sich, wie er betont, ohnehin nur für nichtionisierende Strahlung angeben. Dagegen besitze bei der ionisierenden Strahlung bereits die kleinstmögliche Strahlungsmenge genug Energie, um den Zustand eines Moleküls zu verändern. Die Frage laute deshalb nicht, ob überhaupt eine Schädigung möglich sei, sondern ob sie durch körpereigene Reparaturvorgänge behoben werden könne und wie wahrscheinlich daher ihre biologischen Konsequenzen seien. Statt sicherer Schwellenwerte müsse deshalb bei ionisierender Strahlung der Begriff des Risikos eingeführt werden.
Aber was ist überhaupt der Unterschied zwischen nichtionisierender und ionisierender Strahlung? - In der umfassenden Beantwortung solcher Fragen liegt die besondere Stärke dieses Buches, da es den Leser durch den gesamten Bereich der elektromagnetischen Wellen führt, von der Niederfrequenz über die Hochfrequenz und Optik bis zur radioaktiven Strahlung. Akribisch listet der Verfasser alle möglichen elektrischen und magnetischen Felder auf; von Wollpullovern und Gewitterwolken über Lötkolben, Steckdosen, Hochspannungsleitungen, Straßenbahnen, Aluminium-Schmelzöfen, Transformatoren, Mikrowellenherde, Bildschirme, Rundfunksender, Radaranlagen, Infrarot, sichtbares Licht, UV-Strahlung bis zur radioaktiven Strahlung von keramischen Fliesen, medizinischen Apparaten und Kernkraftwerken. Im Schlußkapitel setzt er sich dann auch noch mit sogenannten Erdstrahlen, Wasseradern, Störzonen und Krebspunkten auseinander, vor denen viele Zeitgenossen eine panische Angst haben, weil sie angeblich auf heimtückische Weise die Gesundheit bedrohen. Er macht klar, daß es sich hier eher um moderne Mythen handelt, die zwar im wissenschaftlichen Mäntelchen daherkommen, mit der realen Strahlung des allgegenwärtigen elektromagnetischen Feldes aber nichts zu tun haben.
Nüchtern analysiert der Verfasser auch eine andere angebliche Gefährdung, die unter dem Schlagwort "Elektrosmog" bekannt geworden ist und von den elektromagnetischen Feldern der öffentlichen Stromversorgung ausgehen soll. Gewiß: Es gibt gemütlichere Plätze als den Aufenthalt im elektrischen und magnetischen Feld direkt unter einer Hochspannungsleitung (wobei, je nach Güte der Erdung, ein meßbarer Strom an den Füßen austritt). Diejenigen, die von der bloßen Nähe einer Hochspannungsleitung Gesundheitsschäden befürchten oder gar die häusliche Steckdose als Quelle von Unheil verdächtigen, kann der Verfasser aber mit der Feststellung beruhigen, "daß heute keine Beweise für besorgniserregende Langzeitwirkungen magnetischer Wechselfelder in unserer Umwelt vorliegen, die wissenschaftlichen Kriterien standhalten würden".
(PB Oktober 1991/*leu)