PresseBLICK-Rezensionen Geschichte (Strom u. a.)



Dieter Schweer, Wolf Thieme (Hg.)

"Der gläserne Riese": RWE - ein Konzern wird transparent

318 S., DM 45.-, Gabler-Verlag Wiesbaden 1998


Im April dieses Jahres gesellte sich das Rheinisch-Westfälische Elektrizitätswerk (RWE) als Dritter zu jenen Verbundunternehmen, die bereits das biblische Alter von hundert Jahren erreicht haben. Wie die Bewag 1884 in Berlin und die HEW 1894 in Hamburg wurde das RWE 1898 zur Versorgung einer Großstadt gegründet, in diesem Falle der Ruhrmetropole Essen. Im Unterschied zu den beiden noch älteren Verbundunternehmen hat es aber sehr schnell den städtischen Rahmen gesprengt und sich zum Riesen unter den deutschen Stromversorgern entwickelt. Sein wirtschaftliches Gewicht wurde noch vermehrt durch zahlreiche Erwerbungen außerhalb des Stammgeschäfts mit Strom, das seit 1990 der RWE Energie AG obliegt, während die RWE AG als Holding die strategische Führung des Gesamtkonzerns übernommen hat.

Renommierte Historiker und Journalisten beschreiben die Entwicklung des RWE-Konzerns

Solche Jubiläen sind eine vorzügliche Gelegenheit für wirksame Öffentlichkeitsarbeit, da sie kalendermäßig den Anlaß bieten, den Rückblick auf die eigene Firmengeschichte mit einer Bestandsaufnahme der Gegenwart und einem Ausblick in die Zukunft zu verbinden. Freilich müssen die einschlägigen Veröffentlichungen genügend Substanz haben, um über das Jubeljahr hinaus zu wirken. Vor allem dürfen sie nicht den Eindruck von Selbstbeweihräucherung erwecken, sondern sollten den Ansprüchen an eine ernstzunehmende historische Lektüre genügen. Es ist deshalb schon zum guten Brauch geworden, professionelle Historiker mit der Aufarbeitung der eigenen Firmengeschichte zu beauftragen. So hat das Bayernwerk den Historiker Manfred Pohl seine 75jährige Geschichte darstellen lassen (siehe PB 5/96), und das Badenwerk ermöglichte aus demselben Anlaß dem Badischen Landesmuseum in Karlsruhe eine Sonderausstellung, die durch einen umfangreichen Katalog mit Beiträgen von Mitarbeitern des Landesmuseums ergänzt wurde (siehe PB 7/96).

Das vorliegende Werk setzt diese gute Tradition fort: Obwohl vom RWE-Zentralbereich Konzernkommunikation in Auftrag gegeben, für den der Herausgeber Dieter Schweer verantwortlich ist, wird der Inhalt von firmenunabhängigen und renommierten Autoren bestimmt. So zeichnet der US-Historiker Gerald D. Feldman eingangs das Porträt des RWE-Gewaltigen Hugo Stinnes, der als "Annexionist, Finanzjongleur und Pionier der wirtschaftlichen Expansion Deutschlands" eine der umstrittensten Figuren der deutschen Industriegeschichte war. Der ehemalige Chefredakteur des hessischen Fernsehens Wilhelm von Sternburg beleuchtet die Geschichte des RWE im Kaiserreich von 1898 bis 1918 sowie in der Weimarer Republik von 1918 bis 1930. Der Historiker Manfred Grieger spinnt den historischen Faden weiter, indem er "das RWE in Wirtschaftskrise und NS-Diktatur 1930 - 1945" schildert.

Die größte Überraschung unter den Autoren ist aber sicher der Historiker Joachim Radkau, der in zwei weiteren Kapiteln die Geschichte des RWE bis 1988 fortführt. Radkau hat sich 1981 mit einer Arbeit über "Aufstieg und Krise der deutschen Atomwirtschaft" an der Universität Bielefeld habilitiert, wobei er auch den "verdrängten Alternativen in der Kerntechnik und dem Ursprung der nuklearen Kontroverse" nachspürte. Die Habilititationsschrift erschien 1983 in einer überarbeiteten Fassung als Buch und wurde von der sich damals verstärkenden Anti-AKW-Bewegung als Nachschlagewerk geschätzt. Man rechnete Radkau deshalb zu den Kritikern der Kernenergie.

Das Magazin "Der Spiegel", das immer einen effektvollen Aufhänger für seine Geschichten braucht, erweckte unlängst gar den Eindruck, als ob Radkau erst jetzt bei Durchforstung des RWE-Archivs darauf gestoßen sei, daß das RWE ursprünglich gar nicht in die Kernenergie einsteigen wollte, sondern erst durch den Druck der Politiker und durch das Vorpreschen von Konkurrenten dazu veranlaßt wurde. Wer Radkaus Buch kennt, weiß allerdings, daß er in dieser Hinsicht nichts grundsätzlich neues entdecken konnte: Schon damals hat er ausführlich beschrieben, wie man beim RWE lieber auf die Braunkohle setzte und den euphorischen Kostenrechnungen für die angeblich spottbillige Kernenergie mißtraute. Die Essener zeigten sich zwar offen für die neue Technologie, indem sie Ende der fünfziger Jahre gemeinsam mit dem Bayernwerk das Versuchsatomkraftwerk Kahl (15 MW) errichteten. Sie gaben auch dem Druck der Politiker insoweit nach, als sie in der ersten Hälfte der sechziger Jahre, wiederum gemeinsam mit dem Bayernwerk, den ersten Siedewasserreaktor in Gundremmingen (250 MW) bauten. Aber erst Ende der sechziger Jahre setzte sich im RWE-Vorstand die von Heinrich Mandel vertretene Orientierung auf die Kernenergie durch. Wie es sich für einen Riesen geziemt, stürmte das Unternehmen dann gleich mit großen Schritten voran: Mit Biblis A (1146 MW) baute RWE das seinerzeit größte Kernkraftwerk der Welt.

Die letzten zehn Jahre der Unternehmensgeschichte skizziert der Wirtschaftsjournalist Heinz Heck. Es sind die vielleicht einschneidendsten Jahre, denn der 1988 erfolgte Erwerb der Deutschen Texaco gab den Anstoß zu einem grundlegenden Umbau des Konzerns: Unter dem Dach der RWE AG als konzernleitender Holding entstanden 1990 sechs Unternehmensbereiche, in denen zuletzt insgesamt 136 000 Mitarbeiter einen Jahresumsatz von mehr als 72 Milliarden Mark erwirtschafteten. An der Spitze der einzelnen Unternehmensbereiche stehen Führungsgesellschaften, die selbständig auf dem Markt agieren und für die Weiterentwicklung ihres Geschäftsfeldes verantwortlich sind. Beim Stammgeschäft ist das die RWE Energie. Für Bergbau und Rohstoffe ist Rheinbraun zuständig, für Mineralöl und Chemie die RWE-DEA, für den Entsorgungsbereich die RWE Entsorgung, für Maschinen-, Anlagen-, Gerätebau und Telekommunikation Lahmeyer mit Telliance und für das Baugeschäft die Hochtief.

In den letzten Zeitabschnitt fällt auch die Übernahme der Elektrizitätsversorgung der ehemaligen DDR durch die westdeutschen Verbundunternehmen. Das RWE stand dabei mit PreussenElektra und Bayernwerk in vorderster Reihe. Die erfolgreiche Anfechtung des Stromvertrags von 1990 durch die Kommunen und der Rückgang des Stromabsatzes im Gefolge des industriellen Zusammenbruchs lassen dieses Engagement inzwischen nicht mehr ganz so attraktiv erscheinen, wie es anfangs aussah.

Der vorliegende Jubiläumsband beleuchtet eine Vielzahl solcher Facetten aus der langen Unternehmensgeschichte des RWE vom Ende des vorigen Jahrhunderts bis an die Schwelle zum zweiten Jahrtausend. Derart ausführlich und sachkundig wurde die Entwicklung des größten Unternehmens der deutschen Stromwirtschaft noch nie beschrieben. Die Darstellung ist nicht nur detailreich und gründlich, sondern zugleich eingängig und leicht lesbar. Dies dürfte zum großen Teil das Verdienst des Mitherausgebers Wolf Thieme sein, mit dem sich der Zentralbereich Konzernkommunikation den Beistand eines versierten Journalisten gesichert hatte.

Überhaupt ist das ganze Buch sehr ansprechend gestaltet: Mit vielen Bildern und unterschiedlichen Themen lädt es ebenso zum Durchblättern, Querlesen oder Nachschlagen wie zur intensiven Lektüre ein. Die historischen Abschnitte, die als "Rückblick" den größten Teil der Seiten beanspruchen, sind farblich abgesetzt, so daß man sie leicht auffindet. Dazwischen eingestreut sind Beiträge, die "Einblick" in das heutige Unternehmen, "Ausblick" in die Zukunft sowie diverse "Extras" mit Informationen zur RWE-Gruppe und ihren wichtigsten Beteiligungen bieten.

Auch die Zeit des Nationalsozialismus wird nicht ausgeblendet oder schöngeredet: Unter anderem schildert Manfred Grieger den Fall des RWE-Managers Ricken, der wegen NS-feindlicher Äußerungen aus den eigenen Kollegenkreisen angeschwärzt und von Hitlers "Volksgerichtshof" zum Tod verurteilt wurde. Oder er berichtet vom Ende des Großindustriellen Albert Vögler, der einer der Geldgeber Hitlers war und dafür nach der Machtergreifung neben anderen Schlüsselpositionen den Vorsitz im Aufsichtsrat des RWE übernehmen durfte: Vögler beging im April 1945 Selbstmord.

Ein Riese mit widersprüchlichem Image

Das im Titel gegebene Versprechen, den Konzern transparent werden zu lassen, wird so auf überzeugende Weise eingelöst. Zugleich wird mancher Legendenbildung um das RWE der Boden entzogen. Bisher fluktuierte das Erscheinungsbild des Essener "Wattikans" in der Öffentlichkeit sehr stark, je nachdem welcher Maler in den Farbtopf griff und mit kühnem Pinselstrich seine Sichtweise des Riesen zu Papier brachte: So entwarfen die einen das Bild vom trägen Riesen, der einen "Gemischtwarenladen" verwalte und an der Börse als "Witwen-und-Waisen-Papier" gelte. Andere glaubten ganz im Gegenteil, den Riesen als aggressiven Kraken zeichnen zu müssen, der sich, beginnend mit den Eroberungszügen des Hugo Stinnes, immer größerer Teile der Wirtschaft bemächtigt habe. Für die Gegner der Kernenergie war das RWE zusätzlich ein "Riese mit Ausstrahlung" - so der maliziöse Titel einer Schrift aus dem Jahre 1984, die vor zwei Jahren eine Neubearbeitung erlebte.

Statt weiterhin andere über sich schreiben, spekulieren und lästern zu lassen, geht das RWE nunmehr in die Offensive und präsentiert sich mit diesem Jubiläumsband selbst als "gläserner Riese". - Vordergründig könnte man den Titel auf das mitabgebildete gläserne Hochhaus der neuen Konzernzentrale am Opernplatz in Essen beziehen (das natürlich von der Hochtief AG errichtet wurde). Der Untertitel macht jedoch klar, welche Art von Transparenz hier gemeint ist.

Auf ein noch breiteres Publikum zielt die Zeitungsanzeige "Kennen Sie schon unsere Töchter?", die zum Schluß des historischen Teils abgebildet ist. Der Konzern stellt sich im Rahmen dieser Image-Kampagne als stolze Mutter von wohlgeratenen Töchtern vor: Ein halbes Dutzend hübscher Mädchen - mit schlanker Figur und sanftem Blick sichtlich derselben Familie entstammend - symbolisieren die verschiedenen Unternehmensbereiche und Firmen. Beispielsweise erfährt das Publikum, daß auch die Hochtief AG oder die Heidelberger Druckmaschinen AG zu den attraktiven Töchtern aus dem Hause RWE zählen.

Wie sich ein Mutter-Tochter-Verhältnis umkehrte

In diesen Image-Anzeigen sind die RWE- Töchter durchweg Teenager oder Twens. In Wirklichkeit ist ihr Alter höchst unterschiedlich. So müßte die jüngste Tochter Telliance eigentlich als Kleinkind mit Schnuller abgebildet werden. Dagegen befindet sich die Lahmeyer AG schon im hochbetagten Alter von 105 Jahren und war sogar einmal die Mutter ihrer Mutter.

Um zu verstehen, wie es zu diesem komplizierten Mutter-Tochter-Verhältnis kam, muß man in der Geschichte des RWE ganz weit zurückgehen: Bis ins Jahr 1897/98, als sich die Elektricitäts-Actien-Gesellschaft vorm. W. Lahmeyer & Co. (EAG) in einem Vertrag mit der Stadt Essen zum Aufbau einer Stromversorgung verpflichtete. Um das Projekt zu finanzieren und zu betreiben, wurde am 25. April 1898 die Rheinisch-Westfälische Elektrizitätswerk AG (RWE) mit Sitz in Essen gegründet. Das RWE entstand also als Lahmeyer-Tochter. Vier Jahre später verkaufte aber die Lahmeyer-Gesellschaft ihre Anteile, weil sie in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten war. Die verkaufte Tochter gedieh indessen so prächtig, daß sie 1923 die Mehrheitsbeteiligung an ihrer ehemaligen Mutter erwerben konnte und bis heute besitzt.

Die Aktien der Lahmeyer-Gesellschaft übernahm damals ein Konsortium unter Führung des RWE-Aufsichtsratsmitglieds Hugo Stinnes und des Stahlkönigs August Thyssen. Stinnes hatte bereits zu Beginn die famose Idee, das erste RWE-Kraftwerk auf dem Grundstück einer Zeche zu errichten, die seiner Familie gehörte, und es mit Dampf aus deren Kesselhaus zu versorgen. Auf diese Weise umging er die kostentreibende Verkaufsumlage des Kohlensyndikats.

Wie Hugo Stinnes die Kommunen miteinbezog und zum eigentlichen Begründer des RWE wurde

In den folgenden beiden Jahrzehnten wurde Stinnes als Aufsichtsratsvorsitzender zum eigentlichen Begründer des RWE, der den Grundstein für dessen Macht und Größe legte, obwohl er - wie auch bei seinen anderen Unternehmungen - nie die Aktienmehrheit besaß. So war es seine Idee, die Kommunen am Unternehmen zu beteiligen, wenn sie sich dafür vom RWE mit Strom versorgen ließen. Den Anfang machten 1905 die Städte Essen, Mülheim und Gelsenkirchen. Seit 1910 besaßen die rheinischen Kommunen die Mehrheit der Aufsichtsratssitze und seit 1920 auch die Mehrheit am Aktienkapital. Infolge der Inflation und Umstellung auf die Rentenmark verloren die Kommunen Ende 1923 zwar ihre Aktienmehrheit, sicherten sich aber durch Einführung des zwanzigfachen Stimmrechts für ihre Namensaktien die Majorität in der Hauptversammlung. Noch 1960 kämpften RWE und Städtetag erfolgreich gegen ein geplantes Verbot des Mehrfachstimmrechts im neuen Aktiengesetz. Und noch 1994 wurde RWE-Chef Friedhelm Gieske von den kommunalen Aktionären abgestraft, weil er an ihr mehrfaches Stimmrecht zu rühren wagte. Erst seinem Nachfolger Dietmar Kuhnt gelang es, eine einvernehmliche, für die kommunalen Aktionäre finanziell attraktive Lösung zu finden, die derzeit realisiert wird.

Grenzen der Expansion: Die Entstehung von VEW, Preußischer Elektrizitäts AG, Steag und VIK

Durch den Kauf der Lahmeyer-Gesellschaft sowie andere Beteiligungen und Verträge sicherte sich das RWE wichtige Bastionen in Süddeutschland. Als Stinnes 1924 starb, gab es bereits den Plan für eine Hochspannungsleitung von 220 kV, um die rheinischen Kohlenkraftwerke mit den Wasserkraftwerken der Alpen zu verbinden und neue Versorgungsgebiete zu erschließen. Die Nord-Süd-Leitung wurde 1930 in Betrieb genommen und bildete die Keimzelle des heutigen Verbundnetzes.

Die Expansionsbemühungen des RWE hatten freilich nicht überall Erfolg: So waren Dortmund und andere westfälische Kommunen nicht bereit, sich dem RWE anzuschließen. Das Versorgungsgebiet des RWE endet deshalb heute östlich von Essen, wo 1925 die Vereinigten Elektrizitätswerke Westfalen (VEW) entstanden.

Noch heftiger war der Zusammenprall mit Preußen, das den Aufbau einer eigenen, landesweiten Stromversorgung betrieb. Durch Vermittlung der Reichsregierung einigte man sich 1927 im "Elektrofrieden" auf eine Demarkationslinie von der Nordsee entlang der Weser nach Frankfurt am Main, um die beiderseitigen Interessensphären abzugrenzen. Im selben Jahr bündelte der preußische Staat seine Aktivitäten durch Gründung der Preußischen Elektrizitäts AG - der Vorläuferin der heutigen PreussenElektra. Bayern und Baden hatten bereits 1921 eigene Gesellschaften zur Landesversorgung gegründet.

So schälten sich schon in den zwanziger Jahren die Konturen einer abgestuften Elektrizitätsversorgung aus Großstromproduzenten, Regionalversorgern und Stadtwerken heraus, die ihre jeweiligen Versorgungsgebiete durch Demarkationsverträge und Konzessionsverträge absteckten. Endgültig festgeklopft wurden die Gebietsmonopole aber erst durch das 1935 erlassene Energiewirtschaftsgesetz (siehe "Die Entwicklung des Elektrizitätsrechts in Deutschland" in PB 12/96), auf dessen Grundlage dann 1939 auch die württembergische Stromversorgung in der Energie-Versorgung Schwaben (EVS) zusammengefaßt wurde.

In diesem Zusammenhang fehlt in dem Buch leider - vermutlich aus Platzgründen - ein Seitenblick auf den potentesten Rivalen des RWE: Die reichseigene Elektrowerke AG (Ewag), die mit ihren Braunkohlekraftwerken in Mitteldeutschland einen ähnlichen Schwerpunkt der Stromwirtschaft bildete wie das RWE im Rheinland und die ebenfalls den Bau einer Verbundleitung zu den Alpen betrieb, um die Wasserkräfte der Hohen Tauern anzuzapfen (siehe "Kaprun" in PB 10/94). Die Ewag konkurrierte in den zwanziger Jahren mit dem RWE um die noch nicht festgezurrten Versorgungsgebiete des Reichs. Sie stützte sich dabei auf die Preußische Elektrizitäts AG und das Bayernwerk, während das RWE mit VEW und Badenwerk koalierte. Auch in der 1928 gegründeten AG für deutsche Elektrizitätswirtschaft, die als Vorläuferin der heutigen Deutschen Verbundgesellschaft gelten kann, schwelten die Gegensätze weiter. Wie Manfred Pohl in seiner Geschichte des Bayernwerks ausführt, scheiterte die geplante Einbeziehung beider Lager in einen umfassenden deutschen Strom-Zusammenschluß an der Weigerung des RWE, den bisherigen Besitzstand durch Demarkationsverträge zu garantieren.

Spannungsreich war auch das Verhältnis des RWE zum Ruhrbergbau: Ursprünglich betrieb das Unternehmen seine Dampfkraftwerke nur mit Steinkohle. Ab 1914 stieg es aber immer stärker in die Braunkohle ein, weil deren Verstromung billiger war. Als während des Nationalsozialismus die Rüstungswirtschaft einen immer höheren Strombedarf anmeldete und die Braunkohle im Zuge der Autarkie-Bemühungen der Gewinnung von Benzin durch Kohlehydrierung dienen sollte, witterte das Rheinisch-Westfälische Kohlensyndikat eine Chance, verlorenes Terrain wiederzugewinnen und den Steinkohlen-Anteil an der Stromerzeugung zu erhöhen. Die Auseinandersetzung endete 1937 mit der Gründung der Steinkohlen-Elektrizität AG (Steag) durch den Ruhrbergbau als Konkurrenzunternehmen. Die Steag-Kraftwerke belieferten industrielle Großabnehmer und durften überschüssigen Strom ins Netz des RWE einspeisen.

In der Energienot nach dem zweiten Weltkrieg besaßen die Ruhrkohle-Zechen ein letztes Mal eine Schlüsselposition und versuchten erneut, eine großräumige Stromversorgung in eigener Regie zu verwirklichen. 1947 gründeten sie mit anderen industriellen Stromproduzenten die Vereinigung der Industriellen Kraftwirtschaft (VIK). Im Jahr darauf ließen sie durch die Steag das Projekt einer "Ruhrsammelschiene" (RUSA) propagieren. Es sah die Errichtung von 22 Steinkohle-Kraftwerken unter den Fittichen des Ruhrbergbaues vor. Deren Gesamtleistung von 2900 MW sollte über die RUSA als neues Hochspannungsnetz zu einem Drittel von den Zechen abgenommen und zu zwei Dritteln ins Netz der allgemeinen Versorgung eingespeist werden. "Zeitweise herrschte Kampfstimmung", charakterisiert Joachim Radkau die dadurch entstandene Lage. Aber dann einigte man sich rasch: Im sogenannten Steag-Vertrag von 1950 verzichtete das RWE auf den Bau von Steinkohle-Kraftwerken und verpflichtete sich auf 30 Jahre zum Strombezug aus Zechenkraftwerken. Im Gegenzug verzichtete der Bergbau auf die RUSA und transportierte den Steag-Strom übers Netz des RWE.

So bietet dieses hochinteressante Werk eine Fülle an Material, das mit der Geschichte des RWE zugleich die der deutschen Stromwirtschaft erhellt.

(PB 5/98/*leu)