PresseBLICK-Rezensionen Geschichte (Strom u. a.)



Arbeitskreis Eifeler Museen (Hg.)

Der Strom kommt - Die Elektrifizierung im Eifel- und Moselraum

566 S., DM 34.80, ISBN 3-930376-08-3, Warlich Druck- und Verlagsgesellschaft, Meckenheim 1996


Edwin Muschik

Die Stromversorgung der Stadt Zittau und des beziehungsnahen Gebiets

103 S., DM 15.-, ISBN 3-9804900-0-9, Verlag Gunter Oettel, Zittau 1995


Die ersten Elektrizitätswerke versorgten einen bescheidenen Umkreis von einigen hundert Metern. In ländlichen Gebieten handelte es sich oft um Mühlen, deren Besitzer neben dem Mahlwerk einen Generator installiert hatten. Manches Dorf kam auf diese Weise früher zu elektrischem Licht als die benachbarte Stadt. Wenn dann aber die Dreschmaschine eingeschaltet wurde, flackerten im ganzen Dorf die Lichter, weil der Generator am Mühlbach überfordert war...

In diese Frühzeit der Stromversorgung leuchten die beiden vorliegenden Bücher. Das erste bildet den Begleitband zu der gleichnamigen Wanderausstellung "Der Strom kommt", die der Arbeitskreis Eifeler Museen mit Unterstützung der Länder Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz organisiert hat. Es beschreibt in Beiträgen von insgesamt 22 Autoren - meistens Historiker und Museumsmitarbeiter - die Elektrifizierung des ländlichen Raums zwischen Aachen, Trier und Koblenz. Dieses Gebiet gehört heute zum Versorgungsbereich der RWE Energie. Es verwundert deshalb nicht, daß RWE Energie und die mit ihr verbundene "Kreisenergieversorgung Schleiden" an erster Stelle der Sponsoren genannt werden.

Das zweite Buch schildert die Elektrifizierung in Zittau und Umgebung. Der Verfasser war zu DDR-Zeiten für den Netzbau im Netzbetrieb Bautzen der Energieversorgung Dresden verantwortlich, ehe er auf den Lehrstuhl für Elektroenergieversorgung an der Ingenieurhochschule Zittau berufen wurde. Auch diese Publikation wurde durch eine Reihe von Sponsoren finanziell unterstützt, zu denen der Regionalversorger ESAG und die Stadtwerke Zittau gehören.

Man kann das zunehmende Sponsoring im Wissenschaftsbereich mit gemischten Gefühlen sehen, weil der Geldgeber natürlich erwartet, daß er als Dank für seine Unterstützung nicht gerade einen Tritt vors Schienbein bekommt. Besonders bei geschichtlichen Untersuchungen sind diskrete Abhängigkeiten nicht auszuschließen. Die Alternative wäre freilich, daß viele Studien und sonstige Projekte mangels Geld nicht durchgeführt werden könnten. Und mit Jubelschriften aus der firmeneigenen Werbeabteilung wäre der Sache sicher weniger gedient. Außerdem wird sich ein kluger Sponsor hüten, aus der Rolle des Mäzenaten zu fallen und auf das Ergebnis Einfluß nehmen zu wollen. Man darf die genannten Stromversorger deshalb dazu beglückwünschen, daß sie mit ihrem finanziellen Beistand das Erscheinen beider Publikationen ermöglicht haben - ebenso wie das Bayernwerk und das Badenwerk, die ihr jeweils 75jähriges Jubiläum nicht als Gelegenheit zur Nabelschau begriffen, sondern unabhängige Historiker dabei unterstützten, die Geschichte und Vorgeschichte des eigenen Unternehmens zu ergründen (siehe PB 5/96 und PB 7/96).

Die Entwicklung der deutschen Stromversorgung wird an lokalen Beispielen deutlich

Beide Publikationen sind recht aufschlußreich, weil sie - pars pro toto - die Entwicklung der deutschen Stromversorgung am lokalen Beispiel darstellen. Im einen Fall geht es um einen ländlichen Raum im alten Bundesgebiet, im anderen um eine Stadt mittlerer Größe in den neuen Bundesländern. Beide Darstellungen ergänzen sich also hervorragend, weil sie jeweils unterschiedliche Entwicklungen nachzeichnen: erst die Unterschiede zwischen Stadt und Land und später die Unterschiede in der Stromversorgung der beiden deutschen Staaten.

Besonders ansprechend wirkt der Begleitband zur Wanderausstellung "Der Strom kommt", der mit zahlreichen historischen Fotos, Anzeigen, Bekanntmachungen und sonstigen Illustrationen zum Schmökern einlädt. Obwohl ein Sammelband, handelt es sich um keines jener Sammelsurien, die hauptsächlich durch den Buchrücken zusammengehalten werden. Dafür sorgt schon der einleitende Überblick zur allgemeinen Entwicklung der Elektrizitätsversorgung in Deutschland. Die anschließende Auffächerung des Themas in einzelne Beiträge von verschiedenen Fachleuten ist durchaus sinnvoll. Zum Beispiel wird detailliert geschildert, wie die ersten E-Werke in Wassermühlen entstanden, wie sich dörfliche Stromgenossenschaften zur heutigen Kreisenergieversorgung Schleiden entwickelt haben, wie es mit der Energieversorgung in Not- und Kriegszeiten aussah oder wie der Strom den Alltag in Haushalt, Gewerbe und Landwirtschaft revolutioniert hat. Auch die Entwicklung von Telegraph und Telephon sowie die Frühzeit des Radios werden behandelt. Den Abschluß bildet ein Ausblick auf die Möglichkeiten von Windkraftanlagen und anderen erneuerbaren Energiequellen. Die heimatkundlich Interessierten werden besonders das Ortsverzeichnis zu schätzen wissen, das gezieltes Nachschlagen ermöglicht.

Es macht Spaß, diese schöne Dokumentation durchzublättern und sich irgendwo festzulesen. Der rundum hervorragende Gesamteindruck wird auch durch eine kleine Panne auf Seite 19 nicht getrübt, wo eine Ansicht des Städtchens Rheinbach um 1900 als Beispiel für eine der frühen Stromversorgungen in der Eifel gezeigt wird: Die Leitung entlang der Chaussee, die laut Bildunterschrift "vom Elektrizitätswerk zur Stadt" führt, ist allem Anschein nach keine Leitung der Stromversorgung, sondern eine Telegraphenleitung. Es war zu Gleichstrom-Zeiten auch gar nicht sinnvoll, ein E-Werk außerhalb der Stadt zu errichten, weil die Übertragungsverluste viel zu hoch gewesen wären.

Interessante Einblicke in die Stromversorgung der ehemaligen DDR

Vergleichsweise frugal wirkt neben diesem opulenten Werk zur lokalen Stromgeschichte der alten Bundesländer die Broschüre von Edwin Muschick zur "Stromversorgung der Stadt Zittau und des beziehungsnahen Gebiets". - Wie schon der Titel ahnen läßt, ist sie auch vom sprachlichen Duktus her nicht so mundgerecht aufbereitet. Allerdings sollte man bedenken, wie klein hier das Forschungsgebiet ist und welches Aschenputtel-Dasein die Lokalhistorie in der ehemaligen DDR fristen mußte: Von der "Schriftenreihe des Zittauer Geschichts- und Museumsvereins", deren 23. Band diese stromgeschichtliche Studie bildet, wurden zwei Bände seit der Wende und alle übrigen vor mehr als fünfzig Jahren publiziert. Um so dringlicher war es, die (noch) vorhandenen historischen Zeugnisse und persönlichen Erinnerungen von Zeitgenossen dingfest zu machen. Der Verfasser bediente sich neben Bibliotheken und Archiven auch der "oral history", wie sie sich ihm in Gesprächen mit Zeitzeugen erschloß, die einst - so wie er - mit der Energieversorgung im Raum Zittau zu tun hatten.

Bis 1945 kann die Geschichte der Zittauer Stromversorgung als repräsentativ für andere Orte in Deutschland gelten: Etwa die Überlegungen, ob man sich für Gleichstrom oder Wechselstrom entscheiden sollte. Ebenso die Kosten und technischen Daten des Elektrizitätswerks, das 1904 den Betrieb aufnahm - bis hin zu solchen Details wie der Pufferbatterie mit der beachtlichen Leistung von 22,5 kW, die mit dem Gleichstrom-Generator parallel geschaltet wurde, um die Betriebsspannung zu stabilisieren und Lastspitzen abzufangen. Typisch war auch die Ausweitung des städtischen Versorgungsgebiets auf die Umlandgemeinden, die wiederum auf einer höheren Ebene überlagert wurde vom Ausbau der Landeselektrizitätsversorgung: Im Fall Zittaus war es die staatliche Aktiengesellschaft Sächsische Werke (ASW), die ab den zwanziger Jahren zunehmend zum Vorlieferanten der Elektrizitätswerke wurde und den Anteil der Eigenstromerzeugung zurückdrängte. Für ganz Deutschland verallgemeinern lassen sich noch etliche weitere Einzelheiten, bis hin zur Ersetzung von Kupferleitungen durch Eisendrähte, die während des zweiten Weltkriegs erfolgte, um das knappe Buntmetall für die Rüstungsindustrie verwenden zu können.

Noch die große Energie-Not, wie sie der Verfasser für die Jahre 1945 und 1946 beschreibt, war keine Spezialität der sowjetischen Besatzungszone, sondern plagte die Bevölkerung in den westlichen Besatzungszonen ganz ähnlich. Dann aber drifteten die Verhältnisse in West und Ost auseinander: In der 1949 gegründeten Bundesrepublik Deutschland (BRD) ging es wirtschaftlich steil aufwärts, während die Deutsche Demokratische Republik (DDR), die von den Sowjets im Gegenzug aus der Taufe gehoben wurde, immer mehr hinter dem Westen zurückblieb. Entsprechend sah die jeweilige Stromversorgung aus: Im Westen erfolgte ein zügiger Netzausbau mit ständig wachsender Versorgungsqualität. Die "volkseigene" Energieversorgung der DDR tat sich dagegen äußerst schwer damit, auch nur die Substanz zu erhalten und die notwendige technische Innovation nachzuvollziehen.

Zum Beispiel verschwanden in Zittau erst in den sechziger Jahren die letzten Eisendraht-Leitungen aus der Kriegszeit. Erst 1965 ging das Gleichstromnetz außer Betrieb. Und erst zehn Jahre später wurden die letzten Abnehmer von 110 auf 220 Volt umgestellt. Stromausfälle durch Überlastung oder defekte Schalter waren an der Tagesordnung. Ein plötzlicher Kälteeinbruch am Silvesterabend 1978/79 ließ sogar das Verbundnetz zusammenbrechen.

Aus westlicher Sicht hätte man die Zittauer höchstens um ihren Stromtarif beneiden können, der über Jahrzehnte gleichbleibend - wie überall in der DDR - acht Pfennig pro Kilowattstunde betrug. Der vermeintliche Vorteil schwindet jedoch schnell dahin, wenn man die wesentlich geringeren Einkommen berücksichtigt. Außerdem - so wäre dem hier genannten Tarif hinzuzufügen - mußte der Staat annähernd den doppelten Betrag zur Subventionierung der Strompreise zuschießen. Die Stromversorgung der DDR war also nicht bloß rückständig, störanfällig und weniger effizient als im Westen, sondern auch wesentlich teurer.

Um dem Mangel an Leitungen und anderem Material vorzubeugen, legten die Mitarbeiter der Stromversorgung heimlich "Schwarzlager" an. Es kam aber auch vor, daß sie neuwertige Leitungen verschrotteten, weil sie keine Verwendung dafür hatten. In den achtziger Jahren wurden sie angewiesen, innerhalb des Stadtgebiets das Fahrrad zu benutzen, um Benzin zu sparen. Sämtliche Dienstfahrzeuge mußten mit auffälligen Plaketten versehen werden, um ihren ordnungsgemäßen Einsatz kontrollieren zu können. Die Zittauer Stromer befolgten diese Anweisung - die eigentlich nur für Kraftfahrzeuge gedacht war - nach Art des braven Soldaten Schwejk, indem sie das Emblem "VEB Energiekombinat Dresden" in der vorgeschriebenen Größe von 24 x 24 Zentimeter auch als Alu-Schild am Rahmen ihrer Dienstfahrräder anbrachten...

SED-Presse machte aus einem Betriebsunglück einen "imperialistischen Anschlag"

Zum allgegenwärtigen Mangel kam die Unzuverlässigkeit der Technik. So neigte ein Leistungsschalter aus rumänischer Fertigung zu Kurzschlüssen, weil er Stege aus Hartpapier hatte, für die ein nicht säurefreier Kleber verwendet worden war. Schalter aus DDR-Produktion fielen häufig durch Steg- und Stützerbrüche aus. Als Folge eines Schalter-Defekts waren die Robur-Werke in Zittau einmal drei Tage lang ohne Strom.

Auf dem Höhepunkt des Kalten Kriegs ließ das Ulbricht-Regime solche Pannen gern als "Sabotage" deuten und den westlichen "Imperialisten" in die Schuhe schieben. So zerstörte am 3. Juni 1951 ein Betriebsunglück das 40-kV-Umspannwerk Oberoderwitz in der Nähe von Zittau, weil ein Ölschalter nicht richtig geöffnet hatte und explodiert war. Das SED-Blatt "Lausitzer Rundschau" machte daraus einen "verbrecherischen Anschlag", den die "anglo-amerikanischen Imperialisten und ihren deutschen Helfershelfer" verübt hätten. Drei leitende Techniker wurden verhaftet. Einer von ihnen - ein junger Ingenieur und Vater von zwei Kindern - nahm sich in der Zelle das Leben.

Die Neugründung von Stadtwerken

Die Elektrizitätswerke Zittau gab es zu diesem Zeitpunkt schon nicht mehr: Sie wurden 1948 aufgelöst und dem "Energiebezirk Ost" zugeschlagen. Seit 1980 firmierten die Zittauer Stromer als Außenstelle des Betriebsteils Energieversorgung Bautzen im VEB-Energiekombinat Dresden. Das ehemals städtische Kraftwerk kam zur Gruppe Kleinkraftwerke der "Kraftwerke Dresden". 1965 wurde es wegen "unrentabler Fahrweise" stillgelegt und vom Textilkombinat Zittau als Heizwerk übernommen.

Erst nach dem Ende der DDR schlug wieder die Stunde für die Neugründung von Stadtwerken. Das Stadtparlament faßte 1991 und 1992 die entsprechenden Beschlüsse. Zittau gehörte auch zu den 164 ostdeutschen Gemeinden, die den 1990 geschlossenen Stromvertrag vor dem Bundesverfassungsgericht anfochten. Man einigte sich aber relativ schnell mit dem Regionalversorger Energieversorgung Sachsen-Ost (ESAG), hinter dem die Energie-Versorgung Schwaben (EVS) und die Hamburgischen Electricitäts-Werke (HEW) stehen. Die ESAG beliefert nicht nur die neuen Stadtwerke mit Strom, sondern hat sich auch über ihre Geschäftsbesorgung GESO mit 49 Prozent an der städtischen Strom- und Wärmeversorgung beteiligt.

(PB 2/97/*leu)