PresseBLICK-Rezensionen | Erneuerbare Energien |
Die Förderung der erneuerbaren Energien gehört zu den erklärten Zielen der neuen Bundesregierung. Wie es im Koalitionsvertrag heißt, will sie "die Hemmnisse beseitigen, die heute noch eine verstärkte Nutzung regenerativer Energien und den breiteren Einsatz der Kraft-Wärme-Kopplung behindern".
Ein Hemmnis, das die Koalitionäre dabei wohl nicht bedacht haben, sind die Naturschützer und die eigene Öko-Anhängerschaft. Denn trotz des sehr geringen Anteils von vier bis fünf Prozent, den die Erneuerbaren bisher am Strom-Mix haben, regt sich schon jetzt Widerstand gegen den weiteren Ausbau der beiden wichtigsten regenerativen Energiequellen Wasser- und Windkraft.
Im Vordergrund steht der Protest gegen die "Verspargelung" der Landschaft. Wie umstritten Windkraftanlagen inzwischen sind, verdeutlicht das Buch "Windkraft: Eine Alternative, die keine ist", das im ökologisch renommierten Verlag Zweitausendeins erschien (PB 11/97). Dabei steuerten Windkraftanlagen im vergangenen Jahr gerade mal 0,65 Prozent zur öffentlichen Stromversorgung bei.
Aber auch um die Wasserkraft, die im vergangenen Jahr immerhin 3,37 Prozent des Stromverbrauchs aus dem öffentlichen Netz deckte, gibt es immer wieder heftige Auseinandersetzungen. Schon zu Anfang dieses Jahrhunderts gab es Proteste gegen den Bau des Wasserkraftwerks Laufenburg am Hochrhein. In seinem Buch über "Grüne Utopien in Deutschland" (PB 12/93) erwähnt Jost Hermand den damaligen Kampf um die Erhaltung der Laufenburger Stromschnellen als erste Kraftprobe der neuentstandenen "Heimatschutz"-Bewegung. Ähnliche Proteste blockieren heute den geplanten Ausbau der Donau zwischen Straubing und Vilshofen, der sowohl die Schiffahrt erleichtern als auch der Stromgewinnung dienen soll.
Welche Argumente dabei ins Feld geführt werden, verdeutlicht das vorliegende Buch. Es stammt aus einem kleinen Verlag, der nur Naturfreunden, Schluchtenwanderern oder Kanuten bekannt sein dürfte. Es wird insofern kaum unmittelbar die Öffentlichkeit bewegen, bei der die "weiße Kohle", wie man die Wasserkraft früher gern nannte, noch immer in recht gutem Ansehen steht. Es ist aber typisch für den Eifer, mit dem sich eine wachsende Minderheit von Naturliebhabern gegen den Bau neuer Wasserkraftanlagen stemmt. Die Schar dieser Naturliebhaber hat in den letzten Jahren im Zuge der Outdoor-Welle stark zugenommen. Vor allem der Kanusport ist relativ populär geworden. Für den passionierten Paddler gibt es aber nichts Schöneres als einen Fluß mit klarem Wasser, flotter Strömung und naturnahen Ufern. Und nichts ärgert ihn mehr als Stauwehre, welche die natürliche Strömung zum Erliegen bringen, nur mühsam zu überwinden sind oder gar das Wasser durch einen betonierten Kanal zum Kraftwerk ausleiten, so daß sich im natürlichen Flußbett hinter dem Wehr kilometerweit nur kümmerliches Restwasser befindet.
Fast kultische Verehrung genießen bei diesen Outdoor-Aktivisten naturbelassene Flüsse wie Dordogne, Ardèche und Tarn in Frankreich, die obere Loisach in Bayern oder ein springlebendiges Karstflüßchen wie die Lauchert auf der Schwäbischen Alb. Voll Wehmut erzählt man sich von den Zeiten, als die Mosel noch nicht kanalisiert war oder als die Rhône von Lyon bis zum Mittelmeer noch eine kräftige Strömung hatte. Schier fassungslos empört man sich über die Absicht der Electricité de France (EdF), dem Verdon das Wasser abzugraben, um es am Ende der Schlucht einem Kraftwerk zuzuführen. Aber es geht nicht nur um die Erhaltung von einmaligen Naturschönheiten. Das Herz des Kanuten schlägt ebenso für alle anderen Gewässer. Es gibt spezielle Kanu-Führer für praktisch alle Flüsse und Bäche in Deutschland, die sich mit einem robusten Kunststoff-Kajak befahren lassen - und sei es nur für die kurze Zeit des Hochwassers im Frühjahr. Diese Kanu-Führer beschreiben unter anderem jedes Wehr, das sich dem Paddler in den Weg stellt; ob und wie es passierbar ist, ob man das Boot besser links oder rechts umträgt, ob es Scherereien mit dem Grundstückseigentümer gibt oder wie lang die Flußstrecke ist, die wegen des Wasserentzugs durch Mühle oder Wasserkraftwerk nicht befahren werden kann.
Diese besondere Sichtweise und Sensibilität für unverbaute Flüsse, welche Kanuten, Schluchtenwanderer, Angler und sonstige Outdoor-Aktivisten leicht zu Gegnern der Wasserkraft werden läßt, ist dem vorliegenden Buch deutlich anzumerken. Es beschwört in Text und Bild ein verlorenes Arkadien, das sich zwar kaum wiedergewinnen lasse, das aber doch in seinen Resten erhalten bleiben müsse. So sieht man auf der Titelseite die Schynschlucht des Albulaflusses in der Schweiz vor und nach dem Bau der Staumauer für ein Kraftwerk: Links spritzt das herrlich klare Wasser des Wildflusses noch über die Felsen, rechts riegelt eine düstere Betonmauer die Schlucht ab und läßt zu ihren Füßen nur einen öden Tümpel übrig. Auf der Rückseite zeigen zwei Fotos das Flüßchen Windach, wie es oberhalb der Ausleitstrecke eines Kleinwasserkraftwerks mit kräftigem Schwall munter dahinplätschert, um dann unterhalb des Wehrs zum Rinnsal zu verkümmern.
Entsprechend elegisch sind die Bildtexte abgefaßt: "Werden auch seine Kinder noch durch diesen Zaubergarten mit sprühendem Wasser und bemoosten Felsen gleiten können?", heißt es unter dem Foto eines Kajakfahrers, der sich durchs Wildwasser eines Schweizer Alpenflüßchens kämpft. "In diesen Druckrohren haucht die Durance ihr Leben aus", wird das Schicksal eines provencalischen Flusses bedauert, den die Franzosen komplett umgeleitet und durch Turbinen geschickt haben. "Wieviel Kilowatt ließen sich aus diesem Fall herausquetschen?" fragt sarkastisch der Text unter dem Bild eines herrlichen Wasserfalls in einem Seitental des Grand Canyon.
So richtig zornig werden die Autoren angesichts des Bauschilds für ein Kleinwasserkraftwerk am Rotbach im Höllental, das unter der Überschrift "Aus dem Urquell Wasser - Umweltfreundliche Stromerzeugung" eine Mühle mit oberschlächtigem Wasserrad sowie das Funktionsbild einer Pelton-Turbine nebst technischen Angaben zeigt: "Ein Meisterstück der Propaganda, die Stromerzeugung in gefühlsmäßige Nähe zum Befriedigen eines Urbedürfnisses, dem Stillen des Durstes am Quell, zu rücken! Ebenfalls ein gelungener Trick, den Betonkasten von Kraftwerk mitsamt seiner 3,5 Kilometer langen Ausleitung als Schwarzwaldmühle zu verkaufen." Daß genau dieses Kraftwerk eine der vom BUND angeregten Neubauten sei, mache die Sache nur noch schlimmer.
Die Verfasser wollen aber nicht nur polemisieren und die Erhaltung naturnaher Gewässer als Freizeit-Attraktion und ästhetischen Wert verteidigen. Sie argumentieren auch mit Gefahren für Flora und Fauna: Die Turbinen der Kraftwerke seien regelrechte "Fischhäckselmaschinen". Die Stauwehre würden die Wanderung der Fische verhindern. Soweit es Fischtreppen gebe, erfüllten sie ihren Zweck meistens nicht. Im Restwasser unterhalb der Stauwehre verkümmerten seltene Pflanzen. Bei starker Strömung mangele es den Flüssen infolge der Wehre am notwendigen Geschiebe aus Kies, so daß sie sich immer tiefer in die eigene Sohle eingraben würden.
Hinzu kommen wirtschaftliche Argumente: Der relative Beitrag der Wasserkraft zur Strombedarfsdeckung, der zu Anfang des Jahrhunderts noch von entscheidender Bedeutung war, sei mittlerweile stark zurückgegangen. Selbst bei einem Totalausbau ließen sich aus dieser erneuerbaren Energie in Deutschland allenfalls noch 0,7 Prozent als zusätzlicher Anteil am gesamten Energieangebot herausholen. Und auch das nur, wenn alle denkbaren Standorte an Flüssen und Bächen mit Wasserkraftanlagen bestückt würden. Die damit verbundene Verbauung und Verschandelung von Gewässern - vom idyllischen Wiesenfluß bis hin zum Rheintal an der Loreley - sei aber keinesfalls zu rechtfertigen, zumal diese Wasserkraftanlagen nicht konkurrenzfähig wären und stark subventioniert werden müßten.
Und hier glauben die Autoren erstaunliche Gemeinsamkeiten mit den Stromversorgern zu entdecken, die zwar durchaus große Stücke auf die Wasserkraft halten, sich aber ebenfalls gegen die Subventionierung privater Kleinwasserkraftwerke zu Lasten der Stromverbraucher wehren. Mit unverhohlener Sympathie kommentieren sie die juristischen Schritte der EVU, um das Stromeinspeisungsgesetz zu Fall zu bringen, und bedauern das vorläufige Scheitern dieser Bemühungen: "Damit zerbrach die Hoffnung der Gewässerschützer, mit dem Wegfall der hohen Einspeisungsvergütung verschwände der stärkste Anreiz für die Ausweitung der Wasserkraftnutzung."
Auch glauben die Autoren zu wissen, daß die Wasserkraft sich für die Stromversorger im Grund nur noch bei längst installierten Anlagen lohnt, die mittlerweile abgeschrieben sind, nicht aber bei Neubauten. Im übrigen wären sie gern bereit, den Bau neuer Wärmekraftwerke zu unterstützen, um den Bau entsprechender Wasserkraftanlagen zu verhindern.
In der Tat gibt es in Deutschland kaum noch Gelegenheit und Anreiz zur Errichtung größerer Wasserkraftwerke. Das wirtschaftlich nutzbare Potential ist weitgehend ausgeschöpft. Zugleich ist die Genehmigungspraxis deutlich restriktiver geworden. In Bayern etwa, dem wichtigsten Standort von Wasserkraftwerken, sollen neue Flußkraftwerke nur noch in Verbindung mit wasserwirtschaftlichen Aufgaben oder beim Ausbau von Wasserstraßen errichtet werden. Das Wasserhaushaltsgesetz begrenzt inzwischen die Genehmigung auf dreißig Jahre, was den Bau neuer Anlagen nicht sonderlich attraktiv macht, denn die erforderlichen Investitionen lohnen sich erst über längere Zeiträume. Hinzu kommt als neuestes Handikap die Liberalisierung des Energiemarktes, die einen starken Druck auf die Strompreise ausübt und damit neuen Wasserkraftwerken in ähnlicher Weise das Wasser abgräbt wie neuen Kernreaktoren. Gerade die beiden wichtigsten CO2-freien Energiequellen sehen sich somit einem doppelten Angriff von der politischen wie von der wirtschaftlichen Flanke her ausgesetzt.
Nach wie vor lohnend bleibt allerdings die Nutzung bestehender Anlagen. Zum Beispiel erzielen die Laufwasser-Kraftwerke der öffentlichen Versorgung im Grundlastbetrieb mit durchschnittlich 6 Pf/kWh äußerst günstige Stromgestehungskosten. Wenn Betreiber von privaten Wasserkraftwerken den erzeugten Strom ins Netz einspeisen, garantiert ihnen das Stromeinspeisungsgesetz eine feste Vergütung, die im neuen Jahr 14,67 Pfennig pro Kilowattstunde beträgt und sich erst ab einer Leistung von 500 Kilowatt anteilig auf 11,93 Pf/kWh ermäßigt.
Rein zahlenmäßig gibt es in Deutschland gut sechsmal soviel private Wasserkraftwerke wie entsprechende Anlagen der öffentlichen Versorgung. Die Betreiber dieser über viertausend Kleinwasserkraftwerke erhalten die gesetzlich garantierten Einspeisungsvergütungen in aller Regel für längst bestehende Anlagen. Die Absicht des Stromeinspeisungsgesetzes, die Erschließung regenerativer Energiequellen zu fördern, greift also gar nicht, sondern bewirkt lediglich Mitnahme-Effekte bzw. "waterfall-profits". Der finanzielle Anreiz mag auch noch groß genug sein, um manche Modernisierung oder Reaktivierung von Kleinwasserkraftwerken (Mühlen) durchzuführen, die sonst unterbleiben würde. Neubauten entstehen dadurch aber praktisch nicht.
Deshalb werden sich die Betreiber von Kleinwasserkraftwerken wohl am meisten über das vorliegende Buch ärgern, in dem eine grüne Koalition gegen die Wasserkraft zu Felde zieht - eine Koalition aus Bootsfahrern, Anglern, Schluchtenwanderern, Vogelfreunden und Naturästheten, die sich sonst untereinander oft selber nicht grün sind. Daß sie nun auch die Stromversorger als Verbündete im gemeinsamen Kampf gegen die (Klein-)Wasserkraftwerke sehen, hätte man sich aber so schnell wohl nicht träumen lassen.
(PB 12/98/*leu)