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Jost Hermand

Grüne Utopien in Deutschland / Zur Geschichte des ökologischen Bewußtseins

Frankfurt am Main 1991: Fischer Taschenbuch Verlag, 223 S., DM 16.80


Ökologisches Bewußtsein gibt es nicht erst seit Ende der siebziger Jahre, als sich aus sehr heterogenen Strömungen die Partei der Grünen formierte und die etablierte Parteienlandschaft durcheinanderbrachte. Seine historischen Wurzeln lassen sich auch nicht einer bestimmten Partei oder politischen Richtung zuordnen, sondern sind auf der rechten wie auf der linken Seite zu finden. Dies ist wohl die wichtigste Einsicht, die sich dem vorliegenden Buch entnehmen läßt.

Die Natur als oberste Autorität

Hermand verweist eingangs darauf, daß im 18. Jahrhundert die Natur "fast zur wichtigsten Metapher der frühbürgerlichen Emanzipation schlechthin" wird. Sie wird im pantheistischen Sinne als selbstschöpferisches Prinzip begriffen und rückt in den Rang der obersten Autorität, der bislang der Kirche vorbehalten war. Mit der Ideologie des "Naturrechts" wird ebenso der fürstliche Absolutismus (Hobbes) wie die konstitutionelle Monarchie (Locke) oder die demokratische Gleichheit aller Staatsbürger (Rousseau) begründet. Wie auch immer die Schlußfolgerungen lauten mögen: Die Harmonie der göttlichen Weltordnung wird ersetzt durch den Einklang mit der Natur.

Eine Besorgtheit um die Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen gibt es allerdings noch nicht. Im Gegenteil: Die Natur gilt als Vorbild und Maßstab für die Ordnung und Unversehrtheit der Welt. Defekt ist allenfalls der Mensch, der sich zivilisatorisch der Natur entfremdet hat. Für Rousseau ist diese Entfremdung unheilbar, kann der Mensch nur genesen, wenn er wieder vollkommen in den Naturzustand zurückkehrt. Die Literaten entdecken zu dieser Zeit die Figur des "edlen Wilden", der mit natürlichem Stolz, Anstand und Würde "Europens übertünchte Höflichkeit" beschämt. Einen Nachkommen dieses edlen Wilden kennen wir aus "Winnetou"...

Entfremdung und Naturzerstörung

Obwohl das pantheistische Naturverständnis noch nicht mit Sorge um die Erhaltung der Natur einhergeht, bildet es deren Voraussetzung. Da sich der Mensch nun als Teil des natürlichen Ganzen begreift, kann und muß er nun auch die Zerstörung der Natur, wie sie im Zuge der Industrialisierung immer deutlicher hervortritt, als Angriff auf die eigenen Lebensgrundlagen empfinden. Die Rousseausche Klage über die Entfremdung des Menschen von der Natur bekommt einen neuen Ton. Sie verwandelte sich in die Klage über die zivilisatorische Hybris des Menschen, der mit der Vernichtung von Fauna und Flora seine eigenen Lebensgrundlagen zerstört. Eine interessante Zwischenstellung nimmt hier Goethes "Faust" ein. Üblicherweise wird Faust als die Inkarnation des forschend-tätigen Menschengeistes gesehen, als eine recht positive Gestalt also, der auch das Verhalten gegenüber Gretchen und andere negative Züge nichts anhaben können. Eine solche Interpretation wird aber - wie Hermand sicher zu Recht einwendet - der Ambivalenz von Goethes Hauptwerk nicht gerecht. Faust läßt sich mindestens ebenso als der entfremdete Mensch sehen, der in seinem Wahn, über gottähnliche Kräfte zu verfügen, am Ende sich selbst und die Natur zerstört.

Agrarromantiker, Wandervögel, Lebensreformer

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts werden die destruktiven Seiten des industriell-technischen Fortschritts unübersehbar. Die Natur wird zum psychischen und realen Topos von Protest- und Fluchtbewegungen. Wilhelm Heinrich Riehl beschwört die angeblich noch heile Welt der Landbevölkerung im Kontrast zu Ruß, Lärm, Laster, Tinnef und Elend der Großstädte. "Aus grauer Städte Mauern" ziehen die Wandervögel hinaus in die freie Natur. Eine breite Lebensreform-Bewegung entsteht, die sich am "Natürlichen" orientiert. Das bunte Spektrum dieser Reformgeisterei erstreckt sich von rechts bis links. Es reicht von der konservativ-reaktionären Agrarromantik über Nacktkultur und Vegetarismus bis hin zum materialistisch-atheistischen "Monismus", der das alte Kraft-und-Stoff-Credo mit neugeistiger Schwärmerei für die "Lebenswunder" (Haeckel) oder "Das Liebesleben in der Natur" (Boelsche) verquickt.

Grüne Tupfer auf roten Utopien

Zunächst ein Blick nach links: Hier überrascht, wie schon der Sozialdemokrat August Bebel auf die erneuerbaren Energien setzt. In seinem Buch "Die Frau und der Sozialismus", das erstmals 1879 erscheint, erweitert Bebel in späteren Auflagen besonders jene Passagen, die sich auf Energie- und Rohstoffprobleme beziehen. Mit Blick auf die neue Technik der Elektrizität prophezeit er: "Unsere Wasserläufe, Ebbe und Flut des Meeres, der Wind, das Sonnenlicht liefern ungezählte Pferdekräfte, sobald wir erst ihre volle und zweckmäßige Ausnützung verstehen." Und es klingt noch heute wie eine aktuelle Zukunftsvision, wenn er Prognosen von Wissenschaftlern der Jahrhundertwende zitiert, wonach die solarthermische Nutzung von "einigen Quadratmeilen in Nordafrika" reichen würde, um den Energiebedarf von ganz Deutschland zu decken.

Um die Jahrhundertwende entstehen die ersten Gruppen der "Naturfreunde", die bürgerliche Natur- und Wanderlust mit einem proletarischen Akzent versehen. Es wird auch schon gegen die Verschandelung der Natur durch "kapitalistische Profitgier" protestiert. Die Naturfreunde sind allerdings nicht repräsentativ für die Arbeiterbewegung. Der Führung von Partei und Gewerkschaften gelten sie eher als Schwärmer und Sektierer.

Die Befreiung von Rauch und Ruß des kapitalistischen Wirtschaftens - etwa durch die "saubere" Elektrizität, die damals noch überwiegend aus Wasserkraft gewonnen wurde - gehört um die Jahrhundertwende zu den Standardmotiven der sozialistischen Verheißung. In Edward Bellamys Roman "Ein Rückblick aus dem Jahr 2000" findet diese Utopie exemplarischen Ausdruck. Alle diese Träume von weißen, durchgrünten Städten und gesunden, hellen, sauberen Arbeitsplätzen bleiben aber einem ungebrochenen Wachstumsdenken verhaftet. Sie sind Travestien des bürgerlichen Fortschrittsglaubens im sozialdemokratischen Reformkleid.

Selbst dem Begriff der "Ökologie" haftet anfänglich noch keine Besorgnis um die Erhaltung der Natur an. Er stammt von Ernst Haeckel, der ihn erstmals 1866 einzuführen versucht und erneut in seinen um die Jahrhundertwende erschienenen "Lebenswundern" propagiert. Haeckel versteht darunter eine Art "Haushaltslehre" oder "biologische Ökonomie". Der Begriff umfaßt für ihn - ganz neutral - die "Beziehungen des Organismus zur Umgebung und zu den Wesen, mit denen er zusammenlebt".

Das satteste Grün am rechten Rand

Der Gedanke, daß die Natur vor einem uferlosen industriellen Wachstum schlechthin geschützt werden müsse - egal ob unter kapitalistischen oder sozialistischen Vorzeichen - gedeiht noch am ehesten am rechten Rand des geistig-politischen Spektrums. Dort, wo Wilhelm Heinrich Riehl die Glorifizierung von Volks- und Brauchtum betreibt, schlägt bei Autoren wie Adolf Bartels die nostalgische Rückwärtsgewandtheit in militant-utopischen Gestaltungsdrang um. Sie wird zur radikalen, mit völkischen und antisemitischen Untertönen gespickten Kampfansage an die moderne Welt des Kapitals. Es melden sich zunehmend auch besorgte Stimmen wie die von Ernst Rudorff, der nicht tatenlos hinnehmen will, daß die deutsche Landschaft Stück für Stück der industriellen "Barbarei" zum Opfer fällt. Auf Rudorffs Betreiben wird 1904 in Dresden der "Bund für Heimatschutz" gegründet. Eine der ersten Kraftproben entwickelt sich um den Bau des Wasserkraftwerks bei Laufenburg am Rhein, das die Heimatschützer verhindern wollen, um den malerischen Charakter der Stromschnellen zu erhalten. Der "Bund der Industriellen" bildet daraufhin 1911 eine "Kommission zur Beseitigung der Auswüchse der Heimatschutzbestrebungen".

Der Gedanke eines "nachhaltigen" Wirtschaftens, wie er traditionell die Forstwirtschaft mit ihren auf Generationen angelegten Umtrieb der Wälder bestimmt, läßt sich am frühesten in diesem Umfeld finden. Hermand zieht daraus den Schluß, "daß ein konsequent ökologisches Denken letztlich nur aus einem heimatlichen oder regionalistischen Verantwortungsbewußtsein hervorgehen kann, während subjektivistische oder internationalistische Ideologien in dieser Hinsicht oft einen blinden Fleck aufweisen". Es müsse zu denken geben, daß die grünsten Äußerungen der Jahrhundertwende ausgerechnet von solchen Autoren stammen, die "bisher als reaktionär oder präfaschistisch eingestuft" wurden.

Jost Hermand kann nicht als Sympathisant von rechten oder gar faschistoiden Strömungen gelten. Er gehört vielmehr zur linksintellektuellen Szene, die ihr Rüstzeug bei Marx, Bloch oder Max Weber findet. Um so bemerkenswerter scheint diese Feststellung. Sie fügt sich in die neuerdings zu beobachtende Tendenz, stärker zu differenzieren, wenn es um Vorläufer und Ingredienzien der Nazi-Ideologie geht. Diese Tendenz hat anscheinend damit zu tun, daß sich heute unter ökologischen Auspizien manches zusammenfindet, was früher als unvereinbar gegolten hätte.

Aus grün wird braun: Heimatschutz und Artamanen

Etlich braune Seiten weist auch die Geschichte des "Bundes für Heimatschutz" auf, der sich bei seiner Gründung vornimmt, die "deutsche Heimat in ihrer natürlichen und geschichtlich gewordenen Eigenart zu schützen und neben der "Erhaltung der ländlichen und bäuerlichen Bauweise" vor allem für den "Schutz des Landschaftsbildes" und die "Rettung der einheimischen Tier und Pflanzenwelt" einzutreten. Sein Vorsitzender Paul Schultze-Naumburg kreiert als Architekt eine bodenständig-idyllische Wohnkultur, die unbestreitbar ästhetische Qualitäten besitzt und in den fünfziger Jahren eine Renaissance erlebt. Politisch verirrt er sich aber tief ins braune Unterholz. Während die Heimatschutzbewegung Anfang der dreißiger Jahre über den "Kampfbund für deutsche Kultur" in die Nazi-Ideologie mündet, spielt sich Schultze-Naumburg als Großinquisitor gegenüber dem Bauhaus-Stil und sonstiger "entarteter Kunst" auf. Schon bald nach der Machtergreifung wird es dann aber ziemlich still um die Heimatschützer. Es scheint, als habe ihr Heimat- und Naturverständnis nur in untergeordneten Punkten mit dem Nationalsozialismus korreliert, der nunmehr auch andere verblendete Bundesgenossen aus der "Kampfzeit" aufs Abstellgleis schiebt und sich als menschen- und naturverachtende Ideologie ohnegleichen erweist.

Noch krasser ist die Verfärbung von Grün zu Braun bei der "Artamanen"-Bewegung, deren Mitglieder zunächst die völkisch geprägte Gesinnung ehemaliger Wandervögel kultivieren, aber schon 1927 zu achtzig Prozent der NSDAP angehören. Aus den Reihen der Artamanen kommen der NS-Landwirtschaftsminister Darré, der SS-Führer Himmler und der Auschwitz-Kommandant Rudolf Höß. Am Ende bleibt von der Naturverbundenheit nur noch das "Bauernschwarz" der Artamanen, das Himmler zur Farbe der SS-Uniformen macht...

Soweit einige Streiflichter aus dem historisch interessantesten Teil des Buches. Lesenswert ist es aber auch, wie Hermand die weitere Entwicklung schildert: Von der Nachkriegs-Parole "Wohlstand für alle" bis zum Bericht des Club of Rome, die Folgen des Ölpreis-Schocks, die neue Begeisterung für den Rückzug aufs Land, die Anti-Atomkraft- und Friedensbewegung, die Entstehung der Partei der Grünen oder die Reaktionen auf das Waldsterben.

Grün ist das Prinzip Hoffnung

Hermand nähert sich seinem Thema, wie immer, mit dem Blick des Kunsthistorikers, Germanisten, Philosophen und Ästheten zugleich. Er sieht sich nie als bloßer Chronist, der es auf Daten und Fakten abgesehen hat. Es geht ihm um die atmosphärischen, geistesgeschichtlichen Zusammenhänge. Auch ein gehöriger Schuß Subjektivität fehlt nicht. Die bisherige Geschichte des ökologischen Protests deutet er eher tragisch: Sie sei keine Geschichte von Siegern, sondern von Unterlegenen. Diese Unterlegenen hätten es "seit langem verdient, daß man ihnen an den Rändern jener Sackgasse, die zu unserer heutigen Misere geführt hat, endlich die ihnen gebührenden Denkmäler setzt".

Trotz allen Wissens um die mit Utopien verbundenen Illusionen, Irr- und Abwege ist Hermand überzeugt davon, daß grüne Utopien heute notwendiger denn je seien. Nur wer den "Mut zum Träumen" habe, finde die Kraft zum Kämpfen - in diesem Fall zum Kampf um die Rettung der natürlichen Lebensgrundlagen der Menschheit vor einem uferlosen Wachstum und der Verschleuderung unersetzlicher Ressourcen. "Weder ein zynischer Realismus noch ein wohlmeinender Reformismus kann uns vor der Gefahr der Irreversibilität retten", schreibt er am Ende seines Buches. "Was uns fehlt, sind detaillierte und zugleich hoffnungsstiftende Szenarien einer Welt, in der wir überleben können."

Ein materialreiches und intelligent geschriebenes Buch. Man braucht bestimmten Sichtweisen des Autors nicht unbedingt beizupflichten, um es mit Gewinn lesen zu können.

(PB 12/93/*leu)