Udo Leuschner / Medien-Theorie |
Mit der Industrialisierung der Presse verschwindet auch die vormärzliche Personalunion von Verleger und Redakteur. Der lohnabhängige Redakteur wird zur Regel. Bald hat jedes Ressort seinen eigenen Redakteur. Größere Blätter beschäftigen innerhalb eines Ressorts sogar mehrere Redakteure. Ein Rest der vormärzlichen Personalunion bleibt mitunter in der Institution des Chefredakteurs erhalten, sofern er zugleich Verleger ist. Die große Mehrzahl der geistigen Zuarbeiter der Presse ist aber nicht identisch mit den Kapitaleignern. Sie entstammen vorzugsweise der Schicht des Klein- und Bildungsbürgertums. Sie erwerben und sichern sich ihre Stellung als geistige Gehilfen des Verlegers, der sie bezahlt. Dies verleiht dem "Zeitungsschreiber" eine anrüchige Note. Bismarck bezeichnet ihn als "Mensch, der seinen Beruf verfehlt hat".
Dem Zeitungsschreiber selber verbietet sich eine solche Sichtweise schon aus Gründen der Selbstachtung. Er identifiziert sich weitgehend mit dem Verleger und hält sich am Ende gar für den eigentlichen Lehensträger der "Pressefreiheit". Bereits aus ihrer sozialen Stellung wächst der Mehrzahl der Journalisten so ein falsches Bewußtsein zu, das sie befähigt, auch andere objektive Interessengegensätze in falsches Bewußtsein aufzulösen.
Dieses falsche Bewußtsein zeigen bereits "Die Journalisten" (1) , die Gustav Freytag 1854 als Lustspiel auf die Bühne bringt. "In wunderlicher Verkennung ihrer sozialen Struktur" - so Franz Mehring - feiert Freytag darin die Presse als genial, heiter und liebenswürdig. In den tapferen Redakteuren der "Union" glorifiziert Freytag das eigene nationalliberale Lager, dem er als Journalist und Schriftsteller dient. Die Widersacher vom "Coriolan" sind weniger schmeichelhaft gezeichnet, aber doch versöhnlich genug, um die Konservativen als satisfaktionsfähige Partner erscheinen zu lassen. Einzig der "Coriolan"-Mitarbeiter Schmock fällt aus dem Rahmen dieser bürgerlichen Ehrbarkeit. Inmitten all der hehren, streitbaren Geister ist er der einzige, der mit jeder Zeile, die er zu Papier bringt, an das Geld denken muß, das er dafür erhält. Er ist bereit und spricht es offen aus, erforderlichenfalls auch der "Union" zu dienen, um seine materielle Existenz fristen zu können: "Ich habe geschrieben links, und wieder rechts. Ich kann schreiben nach jeder Richtung" (Schmock zu Bolz in der 2. Szene).
Franz Mehring hielt Schmock für "die einzige prophetische Figur des Stücks" (2). Inmitten all der hehren journalistischen Gestalten, die Gustav Freytags Redaktionsstuben bevölkern, ist er zugleich die einzige, bei der Sein und Bewußtsein übereinstimmen. Schmock sieht seine Lohnabhängigkeit als Zeilenschinder ohne Illusionen. Daß er dies auch noch offen sagt, stempelt ihn nach der Absicht seines Erfinders zu einer tragikomischen, lächerlichen Gestalt.
Der "Schmock" wurde zum Synonym für gesinnungslose, korrupte Journalisten. Im Unterschied zu dem kreuzbraven Namensgeber aus Freytags Lustspiel sind die heutigen Schmocks freilich weit entfernt davon, ihre Käuflichkeit oder auch nur ihre Lohnabhängigkeit illusionslos einzugestehen. Sie geben sich vielmehr genauso geistig unabhängig und unbestechlich wie die Redakteure in Gustav Freytags Stück, zu deren höheren Ehre die Gestalt des Schmocks erfunden wurde . . .