Udo Leuschner / Medien-Theorie |
Schon im Vormärz lassen die Verleger regierungsfrommer Blätter ihrem unrentablen Geschäft mit Zuwendungen aus fürstlichen Regierungsschatullen aufhelfen. In Frankreich nimmt die Käuflichkeit von Verlegern und Redakteuren unter Napoleon III. solche Ausmaße an, daß die Presse grundsätzlich als korrupt gilt. In Deutschland sind es vor allem die Regierungen Preußens und Österreichs, die in großem Umfang Gelder zur Beeinflussung der Presse einsetzen. Zum Beispiel wird im Streit um die politische Vorherrschaft in Deutschland sogar ein radikalliberales Blatt wie die "Mannheimer Abendzeitung" von der österreichischen Regierung als förderungswürdig angesehen, da ihr zwar nicht dessen republikanische Haltung, wohl aber seine Preußenfeindlichkeit und sein Eintreten für eine großdeutsche Lösung bei der nationalen Einigung nützlich erscheint. Selbst in Paris verausgabt ein preußischer Agent erhebliche Summen zur Beeinflussung der französischen Presse. (1)
Nach der Annexion Hannovers nimmt Bismarck den Widerstand des abgesetzten Königs Georg V. zum Anlaß, um dessen Privatvermögen zu beschlagnahmen und unter dem Vorwand der Bekämpfung welfischer Umtriebe für seine politischen Ziele einzusetzen. Als ihm Anfang 1869 vorgehalten wird, diese und andere Gelder zur Korrumpierung der Presse verwenden zu wollen, bekennt er sich durchaus zu dieser Absicht:
"...ich glaube, wir verdienen Ihren Dank, wenn wir uns dazu hergeben, bösartige Reptilien zu verfolgen bis in ihre Höhlen hinein, um zu beobachten, was sie treiben."
Bismarck verhöhnt seine Kritiker sogar mit den Worten:
"...aber machen Sie uns aus dem bedauerlichen Zwang, daß wir Gelder zu solchen Zwecken verwenden müssen, keinen Vorwurf; probieren sie erst, ob Sie Pech anfassen können, ohne sich zu besudeln."
Aufgrund dieser Äußerung wird Bismarcks Geheimfonds als "Reptilienfonds" bekannt. Dabei erfährt das Wort "Reptil" allerdings einen Bedeutungswandel: Die liberalen Kritiker Bismarcks verwenden es als Synonym für kriecherische, regierungshörige Journalisten. Bismarck beklagte sich darüber 1876 im Reichstag mit den Worten:
"Wie entstand das Wort Reptil? Ich nannte Reptile die Leute, die im Verborgenen gegen unsere Politik, gegen die Politik des Staates intriguieren. Und nun hat man das Wort umgewendet und nennt Reptile gerade diejenigen, die das aussprechen, was die Regierung will." (2)
Aus den Mitteln dieses "Reptilienfonds" wird zum Beispiel die Zustimmung des verschwendungssüchtigen bayerischen Königs Ludwig II. zur Reichsgründung unter preußischer Vorherrschaft erkauft. Auch der korrupte Vorsitzende des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins, Johann Baptist von Schweitzer, wird aus Mitteln des Reptilienfonds bezahlt. Nicht zuletzt aber dient er der Schmierung zahlreicher Zeitungen und der Entfesselung von Pressekampagnen zur Unterstützung der Bismarckschen Politik. Schon 1869 sichert sich die preußische Regierung die Einflußnahme auf "Wolffs Telegraphisches Büro" (W.T.B.), die wichtigste deutsche Nachrichtenagentur, die bis in das "Dritte Reich " den jeweiligen Regierungen verbunden bleibt. (3)
Mit diesem Instrumentarium gelingt Bismarck im Juli 1870 die Auslösung des deutsch-französischen Krieges. Als vordergründiger Anlaß dient die von beiden Seiten hochgespielte Frage der spanischen Thronfolge. Schon am 10. Juli gibt Bismarck Anweisung, "daß die offiziöse Presse den Ton sittlicher Entrüstung anschlägt". Auch die süddeutschen Blätter schließen sich nach anfänglichem Zögern der von Bismarck inszenierten Kampagne an. In die so erzeugte Hochspannung läßt Bismarck die "Emser Depesche" platzen. Dabei handelt es sich um einen ursprünglich nicht für die Öffentlichkeit bestimmten Bericht über eine Begegnung König Wilhelms I. mit dem französischen Botschafter in Bad Ems. Bismarck präpariert diesen regierungsinternen Bericht für die Veröffentlichung in der Presse. Durch Kürzungen verleiht er dem Text eine verletzende Schärfe, die dem tatsächlichen Verlauf des Gesprächs nicht gerecht wird. In der manipulierten Fassung wird die Depesche am 13. Juli in einem Extra-Blatt der "Norddeutschen Allgemeinen Zeitung" veröffentlicht, die Bismarcks bevorzugtes Sprachrohr ist und aus Mitteln des Reptilienfonds gespeist wird. Zugleich wird sie anderen Presseorganen zugeleitet. Bismarcks Rechnung geht auf: Fast noch mehr als die Verschärfung des Berichts über die Abweisung des französischen Botschafters durch den preußischen König wird in Frankreich die Veröffentlichung des regierungsamtlichen Textes als Provokation empfunden. Die Erregung auf beiden Seiten überschlägt sich. Am 19. Juli kommt die französische Kriegserklärung. (4)
Diese Beispiele verdeutlichen, daß die Presse schon im liberalen Zeitalter der freien Konkurrenz keineswegs eine unabhängige "vierte Gewalt" oder das Sprachrohr freischwebender Geister ist. Sie dient mit ihrer Nachrichtengebung zugleich politischen Interessen und der ideologischen Beeinflussung. Mit bilderbuchhafter Deutlichkeit kommt dies unter den geschilderten Verhältnissen deshalb zum Ausdruck, weil die jeweiligen Regierungen mit beträchtlichen Summen die Machtbalance publizistisch zu ihren Gunsten zu verändern versuchen. Allerdings folgt schon damals ein wesentlicher Teil der Presse der Regierungspolitik auch ohne Bezahlung, weil sie überzeugt ist, daß dies zu ihrem Vorteil geschieht. Eines "Reptilienfonds" bedarf es im Grunde nur in der kritischen Phase der Konkurrenz ebenbürtiger politischer und sozialer Kräfte. Solche annähernde Ebenbürtigkeit herrscht zwischen den Großmächten Preußen und Österreich sowie zwischen den bürgerlichen Kräften und der halbfeudalen despotischen Staatsmacht. Mit der Reichsgründung kann Bismarck beide Auseinandersetzungen zu seinen Gunsten entscheiden. Nach dem Einschwenken des tonangebenden Teils des Bürgertums auf seine Politik braucht er weder eine bestochene Presse mehr noch einen korrupten Arbeiterführer wie Schweitzer, um die Arbeiterschaft gegen das liberale Bürgertum auszuspielen.