Udo Leuschner / Medien-Theorie
Inhaltsübersicht


"Metropolis"

und "M"



Faschistoide Tendenzen in zwei Filmen Fritz Langs


 

Die Rechtslastigkeit von Justiz, Militär, Hochschulen und sonstigen Institutionen bedeutete eine erdrückende Hypothek für die Republik von Weimar. Aber auch der Großteil der Massenmedien fügte sich dieser politischen Landschaft ein, war bei der DVP und noch weiter rechts angesiedelt. Die propagandistische Speerspitze der übermächtigen Rechten bildete der deutschnationale Hugenberg-Konzern, der sich 1927 mit dem Erwerb der UFA auch das marktbeherrschende Unternehmen im Bereich des Films sicherte.

Die finanziellen Schwierigkeiten, die zur Übernahme der UFA durch Hugenberg führten, wurden unter anderem durch den Großfilm "Metropolis" verursacht. Dieser (Stumm-)Film war mit einem für damalige Verhältnisse immensen Aufwand gedreht worden. Auf dem Höhepunkt der "goldenen zwanziger" sollte er einem Millionenpublikum die Versöhnung von Kapital und Arbeit schmackhaft machen. Der Film war plumpe soziale Parabel und beeindruckendes Kunstwerk zugleich. Heute genießt er unter Cinéasten weltweit Kultstatus. Damals hatte er aber nicht den erwarteten geschäftlichen Erfolg.

Im Unterschied zu den üblichen, "unpolitischen" Produkten der Traumfabrik UFA schien in diesem Film "das gelähmte Kollektivbewußtsein mit ungewöhnlicher Klarheit im Schlaf zu reden" (Kracauer). Die Super-Stadt "Metropolis" dient als Gleichnis für das kapitalistische System. Ihre lichtdurchflutete Oberwelt funktioniert nur dank einer grauen Unterwelt, in deren Räderwerk sich Heerscharen von Arbeitern malträtieren. Ein Ausgleich ist in Sicht: Freder, der Sohn des großindustriellen Herrschers von Metropolis, verliebt sich in Maria, eine erlöserähnliche Gestalt, auf die sich die ganze Hoffnung der Arbeitssklaven der Unterwelt richtet. Freders Vater sucht jedoch einen Vorwand, um den rebellischen Geist der Arbeiter zu zerschlagen. Er läßt die sanftmütige Maria gefangennehmen und durch eine künstliche Figur ersetzen. Von dem Roboter aufgehetzte Arbeiter zerstören die Maschinen und führen so eine Überschwemmung herbei, die ganz Metropolis gefährdet. Nur dank des Eingreifen Freders und der echten Maria wird die Katastrophe abgewendet. Zum Schluß reichen sich auf Drängen Freders die Herrscher der Oberwelt und ein Vertreter der Arbeiter die Hand . . .

Der Film wiederholt im Grunde die alte Parabel vom Magen und den Gliedern, mit der schon der römische Aristokrat die Plebejer beeindruckt hat. Der Herrscher von Metropolis steht für das schwerindustrielle Machtspektrum von der DVP bis zu den Deutschnationalen. Sein Sohn Freder vertritt die liberalere Variante aus dem Umfeld der DDP. Die sanftmütige Maria könnte als Inkarnation der reformistischen Sozialdemokratie angesehen werden. Als klassenübergreifende Gestalt des sozialen Ausgleichs trägt sie aber ebenso, wie Freder, gewisse Züge des Zentrums und der nationalsozialistischen Demagogie in sich. Nach Kracauers Feststellung könnte "Marias Forderung, daß das Herz zwischen Hand und Hirn vermitteln muß, ohne weiteres von Goebbels stammen". Die falsche Maria ist dagegen unschwer als die revolutionäre Arbeiterbewegung zu erkennen. Sie wird als Homunkulus vorgeführt, der auf Veranlassung der Herrschenden zu künstlichem Leben erwacht, um die Beherrschten aufzuhetzen. (1)

Die "echte Maria" (links) trägt als Trösterin der Arbeitssklaven gewisse Züge der Sozialdemokratie und des Zentrums, verweist aber auch schon auf die nationalsozialistische Volksgemeinschafts-Demagogie. Die "falsche Maria" dagegen (rechts), die in Wirklichkeit ein ferngesteuerter Roboter ist (Mitte), läßt sich unschwer als die revolutionäre Arbeiterbewegung erkennen.

Der Film ist somit eine Apotheose des "dritten Wegs" irgendwo zwischen Kapitalismus und Sozialismus, wobei er offenläßt, ob die "Versöhnung" zwischen Kapitalisten und Arbeitern auf reformistische oder terroristische Weise vor sich gehen soll. Die reformistische Variante ist der Liebesgeschichte zwischen Freder und Maria immanent. Die Ankündigung der terroristischen Variante liegt in der Spannung zwischen echter und falscher Maria, wobei gerade die Verhüllung der eigentlichen Demagogie in der Gestalt der "echten" Maria, die der Film vornimmt, eine höhere, sozusagen meta-filmische Wahrheit zum Ausdruck bringt. Die Doppelbödigkeit des Drehbuchs wird noch gesteigert durch die künstlerische Vielschichtigkeit der Inszenierung.

So sicher ein solcher Film nur unter den Rahmenbedingungen des kapitalistischen Systems der Stabilisierungsphase entstehen konnte, so sicher wären die Eigner der UFA oder andere Vertreter des Großkapitals nicht zur Konzipierung oder gar Realisierung eines solchen Films in der Lage gewesen. Hierzu bedurfte es vielmehr einer vermittelnden Schicht von Ideologie-Produzenten, in deren Köpfen sich - genauso individuell wie paradigmatisch - das entsprechende Bewußtsein herausbildete.

Die beiden wichtigsten dieser Köpfe beim Zustandekommen von "Metropolis" waren die Drehbuchautorin Thea von Harbou und ihr Mann Fritz Lang als Regisseur. Beide waren die erfolgreichsten Vertreter ihrer Zunft in der Weimarer Republik. Thea von Harbou schrieb von 1922 bis 1933 alle Drehbücher für Fritz Lang, wobei sie meist ihre eigenen Romane als Vorlage nahm. Beide ergänzten sich als Drehbuchautorin und Regisseur wie auch durch eine gewisse Unterschiedlichkeit des Charakters hervorragend. Die schwülstig-pathetischen Romangestalten der Harbou, denen jede individuelle, psychologische Charakterzeichnung fehlte, besaßen von vornherein eine starke Affinität zur faschistischen Ideologie (2). Zugleich eigneten sie sich vorzüglich für das vorläufig noch stumme Medium des Films, das mangels sprachlicher Differenzierungsfähigkeit eine holzschnittartig vereinfachte, pantomimisch übersteigerte und symbolisch aufgeladene Bilderwelt vorführte.

Berufsverbrecher als Ordnungspartei

Von ähnlicher Doppelbödigkeit wie "Metropolis" ist der (Ton-)Film "M", der 1931 in die Kinos kam. Hier ist es ein Kindermörder, der lähmenden Schrecken verbreitet und damit die Zeitstimmung am Ende der Republik zum Ausdruck bringt. Dieser Mörder ist seinerseits ein von dumpfen Trieben gepeinigter, verzweifelter, infantiler Mensch. Er weiß nicht, weshalb es ihn immerzu überkommt. Er ist genauso furchtbar wie von spießiger Harmlosigkeit. Zur Strecke gebracht wird er am Ende vom Syndikat der Unterwelt, das sich durch die polizeiliche Fahndung in seiner Tätigkeit gestört fühlt und mit der Verachtung professioneller Gangster auf einen von seiner Leidenschaft getriebenen Amateur-Verbrecher herabblickt. Die Berufsverbrecher treten als Ordnungspartei gegen das individuelle Psychopathentum auf. Eine Schlüsselszene des Films bildet das Tribunal, bei dem die Berufsverbrecher über den entgleisten Spießer zu Gericht sitzen und ihn zum Tod verurteilen. Nach Gestus und Kleidung erinnern die Mitglieder des Tribunals an den Typ des faschistischen Desperados, wie er sich zur selben Zeit in der gesellschaftlichen Realität breitmacht. - So legt, nach dem Urteil Kracauers, der Film "Zeugnis von der psychischen Situation dieser entscheidenden Jahre ab." Er nimmt vorweg, "was auf so breiter Ebene geschehen sollte, es sei denn, die Leute hätten sich von den Gespenstern, die sie verfolgten, freigemacht" (3).

Trotz dieser im nachhinein prophetisch anmutenden Bezüge ist "M" keine Warnung vor den verbrecherischen Kräften, die sich damals anschickten, die politische Bühne zu beherrschen. Der Film ist eher Ausdruck der Entwicklung zum Faschismus hin und suggeriert deren Unvermeidlichkeit. In seiner ersten Kritik für die "Frankfurter Zeitung" vom 18. Mai 1931 hat Kracauer dem Regisseur Lang deshalb zu Recht vorgeworfen, eine andere Wirklichkeit als die offiziell gültige zu beschwören: "Er hätte seinen Vorwurf in einem Sinne zu Ende führen sollen, der unserer sozialen Wirklichkeit entspricht. Statt dessen biegt er von ihr ab und heroisiert das Verbrechertum." (4)

Symbiotisches Gespann: Fritz Lang und Thea von Harbou

Nach der nationalsozialistischen Machtergreifung hat Goebbels dem Regisseur Fritz Lang das Amt eines Reichs-Filmintendanten angeboten. Lang lehnte ab, da die Nazis sein Oeuvre nicht in vollem Umfang akzeptierten. Dem Lob Goebbels für Filme wie "Metropolis" oder "Die Nibelungen" standen das Verbot von "M" und "Das Testament des Dr. Mabuse" gegenüber; beides Filme, deren verbrecherisch-dämonischen Kräfte allzuleicht mit den neuen Machthabern assoziiert werden konnten. Lang ging nach Frankreich und in die USA. Dort konnte er weiterhin unter sozioökonomischen Bedingungen drehen, die denen der Weimarer Republik glichen und für ihn eine wesentliche Voraussetzung seines Schaffens waren. Thea von Harbou blieb dagegen in Deutschland. Sie war bis Kriegsende eine vielbeschäftigte Drehbuchautorin und stark beteiligt am Filmstil des Faschismus.

Die Beendigung der beruflichen und privaten Beziehung zwischen der Harbou und Lang ermöglichte beiden, ihre Karriere unter den ihnen wesensgemäßen Bedingungen fortzusetzen. Sie war mehr als eine private Trennung. Die nationalsozialistische Machtergreifung bewirkte die Aufhebung der symbiotischen Verbindung faschistoider Tendenzen mit der bürgerlich-demokratischen Fassade der Weimarer Republik. Damit bewirkte sie letzten Endes auch die Trennung des Gespanns Harbou/Lang, das diese Symbiose mit seinem Filmen über ein Jahrzehnt lang repräsentiert hatte. Daß beide von einem spezifischen gesellschaftlichen Umfeld und Klima abhängig waren, zeigt der Umstand, daß weder die Harbou noch Lang in der Bundesrepublik der Nachkriegszeit ihre früheren Erfolge fortzusetzen vermochten, obwohl sie sich darum bemühten. Deshalb wäre es auch kurzsichtig, ihre führende Rolle im Film der Weimarer Zeit primär auf ihre - sicherlich vorhandenen - handwerklichen oder künstlerischen Fähigkeiten zurückzuführen. Entscheidend dürfte vielmehr ihre individuelle und kollektive Fähigkeit gewesen sein, dem falschen Bewußtsein einer konkreten Zeit und Gesellschaft seinen kongenialen Ausdruck im Film zu verleihen.

Fritz Lang, der entschieden der hellere Kopf von beiden war, hat dies 1924 mit den Worten zum Ausdruck gebracht: "Das Wesen des Films ist nur dann überzeugend und eindringlich, wenn es sich mit dem Wesen der Zeit deckt, aus dem dieser geboren wurde."

 

(Aus: "Entfremdung – Neurose – Ideologie", Bund-Verlag, Köln, 1990, S. 269 - 273)