Udo Leuschner / Geschichte der FDP (68)

17. Bundestag 2009 - 2013


Jamaika

Im Saarland scheitert die erste schwarz-gelb-grüne Koalition an der Zerstrittenheit der FDP

Vom Beginn der 17. Legislaturperiode bis zur nächsten regulären Bundestagswahl im September 2013 wären in den 16 Bundesländern insgesamt 11 Wahlen zu den Landesparlamenten fällig gewesen. Im Unterschied zum Bundestag, dessen Neuwahl weiterhin alle vier Jahre anstand, hatte man die Amtsperiode der Landesparlamente inzwischen fast überall auf fünf Jahre verlängert. Nur Bremen und Hamburg bildeten eine Ausnahme.Tatsächlich fanden dann aber 14 Landtagswahlen statt, weil es in Nordrhein-Westfalen, im Saarland und in Schleswig-Holstein zu vorgezogenen Neuwahlen kam. In Düsseldorf und Saarbrücken erfolgte die vorzeitige Auflösung der Landesparlamente, weil die jeweiligen Regierungen sich eine stabile Mehrheit sichern wollten. In Schleswig-Holstein hatte das Landesverfassungsgericht die Neuwahlen angeordnet, weil das das bisher gültige Landeswahlgesetz die Ergebnisse durch Überhangmandate verfälschte, was 2009 die Bildung einer schwarz-gelben Regierungskoalition ermöglicht hatte (siehe 55).

Die vorgezogene Wahl im Saarland war für die FDP ein besonders peinliches Kapitel, weil sie es ausschließlich sich selber zuzuschreiben hatte, daß es überhaupt dazu kam und sie sowohl aus der Regierung als auch aus dem Landtag flog. Mit ungläubigem Staunen verfolgten bundesweit die Parteifreunde und andere politische Beobachter, wie sich die kleine Saar-FDP selber zerlegte und dadurch den Koalitionspartner CDU zur Trennung nötigte. Es ging nicht einmal um politische Konflikte, sondern um innerparteiliche Intrigen, Eifersüchteleien und Machtkämpfe. Die Bundeskanzlerin Angela Merkel vermochte deshalb auch keine Auswirkungen auf ihre Koalition zu erkennen. Sie kommentierte das Ende der Regierung in Saarbrücken und das Ausscheiden der FDP aus dem Landtag mit den Worten: "Wer sich mit den Details des Saarlandes befaßt hat, weiß, daß das Saarland das Saarland ist. Wir arbeiten in Berlin gut zusammen."

Ein betuchter Gönner und Funktionär der FDP spendet auch den Grünen

Im Saarland war 2009 zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik eine Regierungskoalition aus CDU, FDP und Grünen zustandegekommen (siehe 55). Die nächsten Landtagswahlen hätten erst 2014 angestanden. Die "Jamaika-Koalition" – wie das Regierungsbündnis in Anspielung auf die schwarz-gelb-grüne Flagge des karibischen Inselstaats allgemein genannt wurde – war aber alles andere als gefestigt. Erste Risse im Gebälk zeigten sich, als der Landtag auf Verlangen von SPD und Linken einen Untersuchungsausschuß einsetzte, um die Geschäfte des Unternehmers Hartmut Ostermann unter die Lupe zu nehmen. Dieser verdiente sein Geld hauptsächlich mit Altenheimen und verfügte in der Landespolitik über erheblichen Einfluß, da er alle Landtagsparteien außer der Linken mit Spenden bedachte. Besonders spendabel war er gegenüber der FDP, für die er als Kreisvorsitzender in Saarbrücken amtierte. Trotz dieser eher bescheidenen Parteifunktion hatte Ostermann dem Ausschuß angehört, der über die Jamaika-Koalition verhandelte. Außerdem hatte er dem Vorsitzenden der Grünen kurz vor den Wahlen eine Spende von rund 40.000 Euro zukommen lassen. Er galt deshalb vielen als der heimliche Architekt dieses Bündnisses – und zugleich als großer Nutznießer, weil zeitgleich mit den Koalitionsverhandlungen fünf Steuerverfahren gegen ihn eingestellt worden waren.

Die Landesregierung sei von einem "der FDP angehörenden Unternehmer gekauft" worden, empörte sich Oskar Lafontaine, der Vorsitzende der Linke-Fraktion im Landtag. Der Untersuchungsausschuß gelangte allerdings nicht zu diesem Befund, als er im Herbst 2011 seine Arbeit beendete. Sein Vorsitzender formulierte es vielmehr so: "Objektiv konnte eine Käuflichkeit der Landesregierung nicht nachgewiesen werden. Aber wenn man ein Geschmäckle sehen will, dann sieht man's."

Fraktionsvorsitzender tritt zurück, nachdem er acht Parteifreunde angezeigt hat

Noch während die Affäre Ostermann vor sich hin glimmte, entwickelte sich die FDP selber zu einem immer größeren Klotz am Bein der Saarbrückener Koalition. Es fing damit an, daß der Landesvorsitzende Christoph Hartmann, der den Posten des Wirtschaftsministers erhalten hatte, um seine Wiederwahl bangen mußte, weil führende Parteifreunde ihm Alleingänge vorwarfen. Hartmann zeigte sich reumütig und wurde am 20. Juni 2010 auf dem Landesparteitag in Saarlouis im Amt bestätigt.

Aber schon kochte eine wesentlich heißere Affäre hoch: Der Fraktionsvorsitzende Horst Hinschberger erstattete gegen acht Parteifreunde Strafanzeigen wegen Untreue und Betrugs, weil es bei der FDP-nahen Stiftung "Villa Lessing" zu Unregelmäßigkeiten gekommen sei. Unter den Angezeigten befanden sich der frühere Landesvorsitzende Horst Rehberger, der frühere Wirtschaftsminister und Ehren-Landesvorsitzende Werner Klumpp und der Generalsekretär der nordrhein-westfälischen FDP, Joachim Stamp. Die Staatsanwaltschaft sah das freilich anders und stellte die Ermittlungen ein. Der Ehrenvorsitzende Klumpp beantragte Hinschbergers Ausschluß aus der Partei. Dieser behielt aber zunächst den Fraktionsvorsitz. Er bekam lediglich eine förmliche Rüge des Parteivorstands und mußte sich bei den Verdächtigten entschuldigen.

Etwas später – die Koalition regierte nun seit einem Jahr – kündigten sowohl der Landesvorsitzende Hartmann als auch der Fraktionsvorsitzende Hinschberger ihren Rückzug an. Die Parallelität kam nicht von ungefähr, denn Hinschberger hatte seinen Abgang von dem Hartmanns abhängig gemacht. Im November 2010 wählte die fünfköpfige FDP-Fraktion den 29 Jahre alten Abgeordneten Christian Schmitt zum neuen Vorsitzenden ab 2011. Um den freiwerdenden Landesvorsitz bewarben sich der Bundestagsabgeordnete Oliver Luksic, der Gesundheitsminister Georg Weisweiler sowie dessen Staatssekretär Sebastian Pini. Auf einem Sonderparteitag am 8. Januar 2011 setzte sich dann der 31-jährige Luksic klar gegenüber dem 64 Jahre alten Weisweiler durch.

Der neue Fraktionsvorsitzende wechselt zur CDU-Fraktion

Damit kehrte aber noch lange keine Ruhe in der Partei ein. Am 14. Dezember 2011 erklärte der neue Fraktionsvorsitzende Schmitt überraschend seinen Rücktritt. Möglicherweise ließ er sich vom Rücktritt des FDP-Generalsekretärs Christian Lindner inspirieren, der wenige Stunden zuvor in Berlin erfolgt war. Im Unterschied zu Lindner verließ Schmitt allerdings auch die FDP und wechselte als nunmehr parteiloser Abgeordneter in die CDU-Fraktion. Grund für den Abgang soll gewesen sein, daß er sich seit Monaten von Fraktionskollegen und anderen Parteifreunden gemobbt fühlte.

Im nächsten Akt des Dramas, das eher wie eine Slapstick-Komödie anmutete, trat die saarländische Ministerpräsidentin Kramp-Karrenbauer auf den Plan, die dieses Amt im August 2011 von Peter Müller übernommen hatte. Sie machte sich nun ernsthaft Sorgen um den Zustand der FDP und den Fortbestand der Koalition. Bei einem Krisengespräch mit den vier verbliebenen FDP-Abgeordneten mußte sie am 17. Dezember feststellen, daß diese bereits auf die nächste Affäre zusteuerten: Der designierte neue Fraktionschef Christoph Kühn hatte aus Steuergeldern eine Aufwandsentschädigung für Dienstfahrten kassiert, obwohl ihm von der Partei ein protziger BMW-Geländewagen zur dienstlichen und privaten Nutzung zur Verfügung gestellt worden war. Kramp-Karrenbauer riet dringend davon ab, mit einer solchen Belastung Fraktionsvorsitzender zu werden. Am 29. Dezember verzichtete Kühn schließlich auf seine Kandidatur.

CDU-Ministerpräsidentin kündigt das Regierungsbündnis – just am Dreikönigstag

Es war indessen nicht so einfach, unter den drei anderen FDP-Abgeordneten einen neuen Kandidaten für den Fraktionsvorsitz zu finden. Der Wirtschaftsminister Hartmann, der dieses Amt von 2004 bis 2009 bereits einmal innehatte, zierte sich. Die Angelegenheit brauche Zeit, bedeutete der Landesvorsitzende Luksic der Ministerpräsidentin. Diese verlor daraufhin endgültig die Geduld und erklärte am 6. Januar 2012 das Regierungsbündnis für beendet. Für Hartmann entfiel damit das Amt des Wirtschaftsministers. Umgehend ließ er sich daraufhin am 9. Januar zum neuen Fraktionsvorsitzenden wählen – und prompt stellte sich nun heraus, daß auch er bei seiner früheren Tätigkeit in diesem Amt zu Unrecht eine Fahrtkostenpauschale aus Steuergeldern erhalten hatte.

Daß Kramp-Karrenbauer das Regierungsbündnis ausgerechnet am 6. Januar aufkündigte, an dem sich die FDP-Prominenz zum traditionellen Dreikönigstreffen in Stuttgart versammelte, gab sogleich zu Spekulationen Anlaß. Etliche Auguren sahen darin einen gezielten Affront, der sicher nicht ohne Abstimmung mit der CDU-Parteizentrale erfolgt sei. Die Union war aber auch nicht glücklich über dieses zeitliche Zusammentreffen und versicherte, daß sie weder in Saarbrücken noch in Berlin eine Brüskierung des Koalitionspartners beabsichtigt habe.

Bei den Neuwahlen stürzt die FDP von 9,2 auf 1,2 Prozent

Am 18. Januar entließ der saarländische Landtag mit den Stimmen von CDU und SPD die jeweils zwei Minister von FDP und Grünen. Am liebsten wäre die CDU-Ministerpräsidentin sofort eine Große Koalition mit der SPD eingegangen. Diese war dazu bereit, verlangte aber vorzogene Landtagswahlen, die parallel zu den Bundestagswahlen im Herbst 2013 stattfinden sollten. Daraufhin brach Kramp-Karrenbauer die Sondierungsgespräche ab und entschied sich für unverzügliche Neuwahlen. Diese fanden am 25. März 2012 statt. Die CDU legte dabei leicht und die SPD deutlich zu, woraufhin beide Parteien ihr Regierungsbündnis für die kommenden fünf Jahre besiegelten.

Für die FDP war das Wahlergebnis eine einzige Katastrophe. Daß sie nicht wieder in den Landtag einziehen würde – im Unterschied zu den Grünen, die es mit 5,0 Prozent knapp schafften – war vorhersehbar gewesen. Aber der Absturz von 9,2 auf nur noch 1,2 Prozent übertraf die schlimmsten Befürchtungen. Im ganzen Land erhielt sie insgesamt nur 5.871 Stimmen. Wenn man davon die etwa 1.800 Parteimitglieder abzog, blieben noch 4.000 Stimmen. Nach Erkenntnissen der Wahlforscher waren 12.000 Wähler zur CDU abgewandert und 8.000 zur SPD. Den zweitstärksten Verlust bildeten 9.000 Nichtwähler. Kleinere Abwanderungen gab es zu den "Piraten", die neu in den Landtag gelangten (4.000), der Linken (3.000), den Grünen (2.000) und sonstigen (2.000).

Die an sich schon bescheidene Mitgliederzahl der Partei schrumpfte nun ebenfalls um etwa ein Drittel. Prominentester Abgang war der Landes-Generalsekretär Rüdiger Linsler, der Ende Mai 2012 aus der Partei austrat und seine Aufnahme in die SPD beantragte.

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