Udo Leuschner / Geschichte der FDP (54) |
16. Bundestag 2005 - 2009 |
Das Wahlergebnis von Mecklenburg-Vorpommern paßte gut zum Trend, der sich
bereits bei der Bundestagswahl abgezeichnet hatte: Die FDP gewann soviel Stimmen von
der Union, daß sie vor Kraft kaum noch gehen konnte, schwächte damit aber
den unfreiwilligen Spender so sehr, daß es zu einer Koalition nicht mehr reichte.
Auch in Baden-Württemberg hatte die Partei ihre Zugewinne größtenteils
auf Kosten der CDU erzielt. In Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt und Berlin ließ
sich dagegen keine Blutzufuhr seitens der CDU feststellen. In Berlin war der Saldo
der Wählerwanderung sogar leicht negativ gewesen. So erhob sich noch immer die
Frage, ob und wieweit sich der Trend der Bundestagswahl auch bei den Landtagswahlen
während der 16. Legislaturperiode durchsetzen würde.
Hier zunächst eine Übersicht der Landtagswahlen, die in den Jahren 2007
und 2008 stattfanden, wobei wegen des engen Zusammenhangs auch die vorgezogene Neuwahl
des hessischen Landtags im Januar 2009 noch mitaufgenommen wird:
Bundesland | Landtagswahl am | Stimmen in % | vorheriges Ergebnis | Wählerwanderung von der CDU zur FDP und deren prozentualer Anteil am FDP-Stimmenergebnis |
Bremen | 13. Mai 2007 | 6,0 | 4,2 | 2000 (12,1 %) |
Hessen | 27. Januar 2008 | 9,4 | 7,9 | 66000 (25,5 %) |
Niedersachsen | 8,2 | 8,1 | 45000 (16,1 %) | |
Hamburg | 24. Februar 2008 | 4,8 | 2,8 | 11000 (29,8 %) |
Bayern | 28. September 2008 | 8,0 | 2,6 | 180000 (21,2 %) |
Hessen | 18. Januar 2009 | 16,2 | 9,4 | 93000 (22,1 %) |
Die einzige Landtagswahl des Jahres 2007 fand am 13. Mai in Bremen statt. Hier konnte die FDP ihren Stimmenanteil von 4,2 auf 6,0 Prozent erhöhen. Aufgrund einer Besonderheit des Wahlgesetzes, wonach fünf Prozent im Stadgebiet Bremerhaven für den Einzug in das Parlament genügen, war sie schon bisher mit einem Abgeordneten in der Bürgerschaft vertreten. Nunmehr waren es fünf. Sie blieb aber wie bisher die schwächste Kraft im Parlament , wenn man von der neonazistischen DVU und der populistischen Initiative "Bürger in Wut" absieht, die aufgrund der Bremerhaven-Klausel jeweils einen Sitz erringen konnte.
Verlierer der Bremer Wahlen waren die regierende SPD und ihr bisheriger Koalitionspartner CDU, die jeweils sechs Sitze in der Bürgerschaft einbüßten. Die Grünen erhielten zwei Mandate mehr. Am stärksten profitierte die Linkspartei, die von vormals 1,7 Prozent (PDS) auf 8,4 Prozent zulegte. Mit sieben Abgeordneten stellte sie nun nach den Grünen (14) und vor der FDP die viertstärkste Fraktion im Landesparlament. Für die SPD war dies ein deutliches Signal, die seit zwölf Jahren andauernde Koalition mit der CDU zu beenden und sich fortan auf die Grünen zu stützen. Eine Koalition mit der FDP kam schon deshalb nicht in Frage, weil es rechnerisch nicht zur Mehrheit gereicht hätte.
Der Erfolg von Linkspartei und Grünen erklärte das schlechte Abschneiden der SPD. Die Verluste der CDU rührten dagegen größtenteils von Abwanderungen zur FDP, wenn man von der noch erheblich größeren Zahl an Nichtwählern absieht. Sehr deutlich zeigte sich dies in Bremerhaven, wo die FDP wieder besonders emsig geworben hatte, um sich den Einzug ins Parlament zu sichern.Sie steigerte hier ihr Ergebnis von 7,38 auf 9,62 Prozent, während die CDU von 30,96 auf 23,72 Prozent abfiel. Der besonders starke Zuwachs der FDP korrespondierte also mit einem besonders starken Verlust der CDU.
Beim ersten der insgesamt drei Landtagswahltermine des Jahres 2008 ging es um die Neubesetzung der Parlamente in Hessen und Niedersachsen. Besonders chancenreich war die Situation in Hessen, wo die CDU unter Roland Koch seit 1999 mit einer knappen absoluten Mehrheit regieren konnte und deshalb die FDP nicht mehr als Stütze benötigte. Inzwischen sah es aber ganz danach aus, als ob Koch diese absolute Mehrheit verlieren würde. Die FDP war natürlich gern bereit, wieder den Koalitionspartner zu machen. Und nicht nur das: Sie legte sich von vornherein darauf fest, nur mit der CDU und keiner anderen Partei zu koalieren. "Entweder es gibt eine schwarz-gelbe Mehrheit, oder wir sind in der Opposition", bekräftigte der Bundesparteichef Westerwelle kurz vor den Wahlen. Er wies damit Avancen des SPD-Vorsitzenden Kurt Beck zurück, der in Hessen auch eine rot-.gelb-grüne Ampelkoalition für möglich hielt. Beck hatte gemeint: "Die FDP wird sich nicht einfach in Treue fest mit Herrn Koch am Ende in die Opposition begeben und sagen: Ob und wie Hessen regiert wird, das interessiert uns nicht." Im Idealfall werde freilich die SPD-Spitzenkandidatin Andrea Ypsilanti eine Landesregierung allein mit den Grünen bilden können.
Die Wahl am 27. Januar 2008 ergab dann eine Patt-Situation: CDU und FDP verfügten zusammen über 53 Sitze und gleichviel Mandate wie SPD und Grüne. Die Linke, die neu ins Parlament eingezogen war, hätte mit sechs Sitzen dieses Patt zugunsten einer Linkskoalition auflösen können. Aber das verhinderte die SPD-Führung in Berlin, die eine Koalition mit der Linken mindestens so kategorisch ablehnte wie Westerwelle eine Ampelkoalition. Eine Einbeziehung der Grünen in eine schwarz-gelbe Koalition oder die Bildung einer Großen Koalition schieden schon deshalb aus, weil dies den Rückzug von Roland Koch vorausgesetzt hätte, der als erzkonservativ-neoliberaler Machtpolitiker eine Reizfigur ersten Ranges darstellte.
Die FDP hatte ihre unterwürfige Haltung gegenüber Koch mit ziemlichen Verlusten an andere Parteien bezahlen müssen. Sie war dafür aber mehr als reichlich durch einen Stimmenzuwachs von bisherigen CDU-Wählern entschädigt worden. Per Saldo ergab sich ein Zuwachs an Stimmen von 7,9 auf 9,4 Prozent und von neun auf elf Sitzen im Landtag, Die CDU rutschte dagegen von 48,8 auf 36,8 Prozent ab, da sie nicht nur von der FDP zur Ader gelassen wurde, sondern noch mehr Stimmen an die SPD verlor.
Die SPD wollte nach der Wahl noch immer nicht glauben, daß sich die FDP einer Ampelkoalition tatsächlich verschließen werde. Schließlich gab es bei Respektierung der erwähnten Tabus keine andere Möglichkeit, eine neue Regierungsmehrheit herzustellen. Auch für die FDP war es gar nicht so einfach, ihre kategorische Festlegung auf eine Koalition mit der CDU plausibel zu machen. Der Landesvorsitzende Jörg-Uwe Hahn übernahm diese undankbare Aufgabe, indem er geneigten Journalisten erzählte, wie er am Tag nach der Wahl von Frankfurt nach Berlin geflogen sei und sich dabei mit der hessischen SPD-Vorsitzenden Ypsilanti im selben Flugzeug befunden habe. Beide Politiker hätten sogar in derselben Reihe gesessen, ohne daß es die SPD-Politikerin für notwendig erachtet habe, ihn auf den Wahlausgang und mögliche Koalitionen anzusprechen. Anscheinend glaubte Hahn, daß Koalitionsgespräche auch im Beisein wildfremder Passagiere in einem Flugzeug geführt werden könnten. Jedenfalls sah er nun hinreichend Grund, der SPD vorzuwerfen, sie meine es mit ihrem Angebot zu Koalitionsverhandlungen gar nicht ernst. Sie wolle die Verhandlungen mit der FDP gewissermaßen nur als Alibi führen, um sich dann der nur scheinbar ausgegrenzten Linken zuwenden zu können.
Angesichts der Halsstarrigkeit der FDP hatte die SPD-Vorsitzende Ypsilanti nun tatsächlich keine andere Wahl, als auf die bislang ausgegrenzte Linke zu setzen. Sie verletzte damit ein Tabu, das die SPD selbst errichtet hatte, und an dem zumindest die Bundespartei festhalten wollte. Der Kompromiß lief darauf hinaus, die Linke zwar nicht offiziell an der Regierung zu beteiligen, sie aber als parlamentarische Stütze einer rot-grünen Minderheitsregierung einzubeziehen. Rechnerisch ergab sich so eine knappe Mehrheit von vier Abgeordneten im Landtag. Allerdings nur dann, wenn die beteiligten Abgeordneten geschlossen mitmachten. Daran haperte es jedoch bei der SPD. Als erste bekundete die Darmstädter SPD-Abgeordnete Dagmar Metzger ihre Ablehnung. Ypsilanti brach deshalb die Verhandlungen mit der Linken ab und holte sich erstmal Rückendeckung durch einen außerordentlichen Landesparteitag. Als sich am 5. April 2008 der neue hessische Landtag konstituierte, blieb die alte CDU-Regierung von Roland Koch geschäftsführend weiterhin im Amt.
In der zweiten Hälfte des Jahres 2008 unternahm die SPD-Vorsitzende Ypsilanti einen erneuten Anlauf zur Bildung einer rot-grünen Minderheitsregierung unter Duldung durch die Linke. Sie hatte ihr Projekt in den Parteigremien mehrfach absegnen lassen und sogar die Zustimmung des Bundesparteichefs Kurt Beck erhalten. Probeabstimmungen in den Fraktionen von SPD, Grünen und Linken über die Wahl Ypsilantis zur Ministerpräsidentin waren erfolgreich verlaufen. So konnte eigentlich nichts schief gehen bei der Abwahl Kochs und der Inthronisierung Ypsilantis, die für den 4. November vorgesehen war. Aber einen Tag vor der Abstimmung erklärten plötzlich die bereits erwähnte Dagmar Metzger, der Fraktionsvorsitzende Jürgen Walter sowie zwei weitere SPD-Abgeordnete, daß sie nun doch nicht für Ypsilanti stimmen würden. Der Versuch zur Abwahl Kochs fand deshalb erst gar nicht statt, und in den folgenden Tagen sprachen sich alle Parteien für baldige Neuwahlen aus.
So kam es, daß in Hessen am 18. Januar 2009 erneut gewählt werden mußte. Die Verhältnisse waren nun aber ganz anders. Unter dem medialen Trommelfeuer, das Ypsilantis Bemühungen um eine parlamentarische Mehrheit und ihr schließliches Scheitern begleitete, hatte die SPD arg in der Wählergunst gelitten. Umfragen sagten starke Gewinne von CDU, FDP und Grünen bei steilem Absturz der SPD voraus. So kam es dann auch. Die CDU legte allerdings nur sehr geringfügig um 0,4 Prozent zu. Das lag daran, daß sie noch mehr Stimmen als im Vorjahr an die FDP abgeben mußte, die dadurch ihr gutes Ergebnis von 9,4 Prozent nochmals verbessern und auf die Rekordhöhe von 16,2 Prozent steigern konnte. Vom Absturz der SPD um 13 Prozent profitierten hauptsächlich die Grünen, die um 6,2 Prozent zulegten. Den Rest teilten sich im wesentlichen CDU und FDP. Für die Linke fielen aus der Konkursmasse der SPD nur ein paar Krümel ab.
Im Wiesbadener Landtag verfügten nun CDU und FDP zusammen über 65 von 118 Sitzen und damit über eine Mehrheit von sechs Stimmen. Am 5. Februar 2009 wurde Koch vom Wiesbadener Landtag erneut zum Ministerpräsidenten gewählt. Er bekam in geheimer Abstimmung aber nur 62 von 114 gültigen Stimmen. Unter den gegebenen Umständen mußte ihm zumindest einer der Koalitionsabgeordneten die Zustimmung verweigert haben. Koch blieb eben bis in die eigenen Reihen hinein umstritten. Nur wenige verstanden sich mit ihm so gut wie der FDP-Fraktionsvorsitzende Hahn, der mit seinem Duz-Freund sogar gemeinsam Urlaub gemacht hatte.
Im neuen Kabinett Koch durfte die FDP drei von neun Ministerposten besetzen: Landeschef Jörg-Uwe Hahn wurde Justizminister und Stellvertreter des Ministerpräsidenten. Das Kultusministerium übernahm Dorothea Henzler. Den Posten des Wirtschaftsministers erhielt, wie schon 1999, Dieter Posch. Dem eher farblosen Posch mußte der bisherige CDU-Wirtschaftsminisdter Alois Rhiel weichen, der sich auf Bundes- wie auf Landesebene als Energiepolitiker profiliert und eine recht gute Figur gemacht hatte.
Eine der ersten Amtshandlungen des alt-neuen Ministerpräsidenten Koch bestand darin, die Ablösung des ZDF-Chefredakteurs Nikolaus Brender zu betreiben, dessen Vertrag im CDU-dominierten Verwaltungsrat der Fernsehanstalt zur Verlängerung anstand. Er begründete dies mit angeblich ungenügenden Einschaltquoten des ZDF. Die journalistische Unabhängigkeit Brenders wurde von keiner Seite bezweifelt, sondern vielmehr in den höchsten Tönen gerühmt. Aber genau das war wohl der Grund, weshalb ihn Koch weghaben wollte. Bemerkenswerterweise wurde dieser Vorstoß von der hessischen FDP unterstützt. Die Bundes-FDP erkannte dagegen die verheerende Wirkung des Vorgangs für das ohnehin lädierte liberale Image der Partei. Der frühere Bundesvorsitzende Wolfgang Gerhardt und der Ehrenvorsitzende Otto Graf Lambsdorff bezeichneten die von Koch angestoßene Debatte als kontraproduktiv und unklug.
Wie in Hessen wurde am 27. Januar 2008 auch in Niedersachsen gewählt. Seit 2003 regierte in diesem Bundesland die FDP wieder mit. Sie stellte mit Walter Hirche den Wirtschaftsminister und stellvertretenden Ministerpräsidenten sowie mit Hans-Heinrich Sander den Minister für Umwelt und Landwirtschaft. Beide waren eine beliebte Zielscheibe der Opposition. Hirche überstand gerade den zweiten parlamentarischen Untersuchungsausschuß, weil es bei der Vergabe von Bauaufträgen für den Tiefwasserhafen Wilhelmshaven zu Unregelmäßigkeiten gekommen sein soll. Sander war ins Visier von Umweltschützern geraten, nachdem er im November 2006 eine Abholzaktion im Biosphärenreservat "Niedersächsische Elbtalaue" angeordnet und für die Pressefotografen eigenhändig zur Kettensäge gegriffen hatte. Die EU-Kommission leitete deshalb sogar ein förmliches Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland ein und ließ es erst fallen, nachdem Sander die künftige Einhaltung der EU-Umweltbestimmungen zugesichert hatte.
Dennoch durfte sich die Hannoveraner Regierungskoalition unter dem CDU-Ministerpräsidenten Wulff gute Chancen auf eine Wiederwahl ausrechnen. Die FDP hatte zu ihrem Spitzenkandidaten den 34-jährigen Philipp Rösler gewählt, der seit 2003 die Fraktion im Landtag führte und 2006 die Nachfolge Hirches als Landesvorsitzender angetreten hatte. Der in Vietnam geborene Rösler war im Alter von neun Monaten als Kriegswaise von einem deutschen Ehepaar adoptiert worden. Nach der Scheidung wuchs er bei seinem Vater auf, einem Bundeswehroffizier mit SPD-Parteibuch. Er war 1992 in die FDP eingetreten und bereits acht Jahre später Generalsekretär des Landesverbandes geworden. Seit Mai 2005 saß er im Präsidium der Bundespartei. Er galt schon lange als eine der größten Nachwuchs-Hoffnungen der FDP und als politischer Ziehsohn des Landeschefs Walter Hirche.
Bei der Wahl büßte die CDU zwar 5,8 Prozentpunkte ein, behielt aber zusammen mit der FDP weiterhin eine stabile Mehrheit im Landesparlament. Der größte Teil der verlorengegangenen CDU-Stimmen war ohnehin zur FDP abgeflossen und bewahrte so diese vor Verlusten. Mit einer minimalen Verbesserung von 8,1 auf 8,2 Prozent blieb der Stimmenanteil der FDP praktisch unverändert.
Wulff regierte mit seinem Kabinett vorerst in der alten Besetzung weiter. Im Januar 2009 gab dann Hirche auch den Posten des Wirtschaftsministers an seinen politischen Ziehsohn Rösler ab.
Einen Monat nach Hessen und Niedersachsen wurde am 24. Februar 2008 auch in Hamburg das Landesparlament neu gewählt. Sogar hier hob ein kräftiger Zustrom von früheren CDU-Wählern die Partei, die sich seit Jahren in einem kläglichen Zustand befand, von 2,8 auf 4,8 Prozent. Aus der Rückschau betrachtet waren diese 11000 Stimmen allerdings verloren, da die Fünf-Prozent-Hürde knapp verfehlt wurde und mindestens nochmals soviele FDP-Stimmen nötig gewesen wären, um ein schwarz-gelbes Bündnis zu ermöglichen. Die regierende CDU unter Ole von Beust mußte sich deshalb nach einem anderen Koalitionspartner umsehen. Infolge ihrer Stimmenverluste von 4,8 Prozent und des Einzugs der Linken in die Bürgerschaft hatte sie ihre bisherige absolute Mehrheit verloren. Den neuen Koalitionspartner fand sie schließlich in den Grünen (GAL), die mit 12 Sitzen die drittstärkste Fraktion in der Bürgerschaft nach CDU (56) und SPD (45) stellten.
Die FDP war in Hamburg bis 1978 ein fester Bestandteil der Bürgerschaft sowie der Landesregierung gewesen, soweit die damals noch tonangebende SPD nicht allein zu regieren vermochte. Seit dem Rechtsruck der Bundespartei und dem damit korrespondierenden Aufstieg der Grünen war ihr der Sprung in beide Gremien aber nur noch sporadisch gelungen. Zuletzt hatte sie in der Koalition mit CDU und Schill-Partei den Bildungssenator gestellt und keine sonderlich gute Figur gemacht. Nachdem sie im Februar 2004 aus der Bürgerschaft geflogen war, erregte sie nur noch durch innerparteilichen Streit eine gewisse Aufmerksamkeit: Im Mai 2006 trat der Landesvorstand unter dem Vorsitzenden Leif Schrader auf einem chaotisch verlaufenen Landesparteitag geschlossen zurück, nachdem sein Versuch gescheitert war, den Schatzmeister Karl-Wilhelm Koch wegen schlampiger Arbeit zum freiwilligen Rückzug zu bewegen. Einen Monat später wurde auf einem weiteren, außerordentlichen Parteitag der frühere Fraktionsvorsitzende Wieland Schinnenburg zum neuen Vorsitzenden gewählt. Schinnenburg sollte die Partei auch in den bevorstehenden Landtagswahlkampf führen. Im Juli 2008 gab er jedoch überraschend alle Parteiämter auf, was er mit einem "monatelangen Kesseltreiben" begründete. Neuer Landesvorsitzender und Spitzenkandidat wurde nun der 64-jährige Hinnerk Fock, der soeben in Hamburg-Altona von einem schwarz-grünen Bündnis als Chef des Bezirksamtes abgewählt worden war.
"Wir haben an Substanz hinzugewonnen, aber wir haben die Wahl leider verloren", kommentierte der erfolgsgewohnte Westerwelle das Hamburger Wahlergebnis. Es sei schade, daß die CDU sich nicht auf eine Koalition mit der FDP festgelegt habe. Aus dem Blickwinkel der CDU sah das freilich ganz anders aus: Es war zum Großteil ihre eigene Substanz, was Westerwelle als frischgewonnene Substanz der FDP bezeichnete. Eine verbindliche Koalitionsaussage zugunsten der FDP hätte vermutlich diesen Substanzaustausch noch verstärkt und die Westerwelle-Partei tatsächlich über fünf Prozent gehoben. Wegen der gleichzeitigen Schwächung der CDU wären aber die Chancen für eine schwarz-gelbe Koalition nicht gewachsen. Es hätte sich um ein Nullsummenspiel gehandelt.
Eine andere Sichtweise vertrat der ehemalige Spitzenpolitiker Gerhard Baum, der wie andere Linksliberale in der Partei inzwischen eher wie ein Fremdkörper wirkte. Er forderte die Parteiführung auf, das bisherige "Lagerdenken" aufzugeben. Die FDP habe keine angemessene Strategie für das neu sich abzeichnende Fünf-Parteien-System. Während die CDU sich alle Möglichkeiten offenhalte und nun sogar mit den Grünen koaliere, beschränke sich die FDP unter Westerwelle und seinem Generalsekretär Niebel ausschließlich auf schwarz-gelb.
Die Landtagswahl in Bayern, die sieben Monate nach dem eher bescheidenen Ergebnis in Hamburg am 28. September 2008 stattfand, wurde wieder zu einem triumphalen Erfolg. Die FDP verbesserte sich von 2,6 auf 8,0 Prozent und konnte zum ersten Mal seit 14 Jahren wieder in den Landtag einziehen. Noch mehr: Sie wurde von der CSU, die 180000 Stimmen an die FDP verloren hatte, nun als Koalitionspartner benötigt und konnte in der neuen Landesregierung zwei von elf Ministern stellen.
Die CSU hatte in Bayern seit 46 Jahren allein regiert. Die FDP war seit 14 Jahren nicht einmal mehr im Landtag vertreten. Das war der Hintergrund, vor dem die acht Prozent in Bayern einen ähnlichen Rekord darstellten wie die 16,2 Prozent bei der zweiten Hessen-Wahl vier Monate später.
Eine weitere Besonderheit des bayerischen Wahlergebnisses lag darin, daß die Vorsitzende des Landesverbands nicht dem uniformen Troß des Parteivorsitzenden Westerwelle, sondern dem linksliberalen "Freiburger Kreis" angehörte. An der Spitze der bayerischen FDP stand nämlich seit Dezember 2000 die frühere Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, die 1996 unter Tränen vom Amt zurückgetreten war, nachdem sie sich in ihrer standhaften Ablehnung des "Großen Lauschangriffs" durch das Ergebnis einer Mitgliederbefragung desavouiert sah. Auch ihre Wahl zur bayerischen Landesvorsitzenden war in der zunehmend rechtsgerichteten Partei keine Selbstverständlichkeit gewesen. Leutheusser-Schnarrenberger bekam die knappe Mehrheit eigentlich nur deshalb, weil die bayerische FDP mit 1,7 Prozent einen absoluten Tiefpunkt erreicht hatte und kurz vor der Selbstauflösung stand. Seitdem ging es aber mit der Partei wieder aufwärts. Es war nicht nur die bundes- und landespolitische Großwetterlage, die jetzt diesen Erfolg bescherte. Zu einem guten Teil verdankte ihn die Partei auch der Landesvorsitzenden. Trotzdem hatte diese es vorgezogen, beim Wahlkampf in der zweiten Reihe zu bleiben und die Rolle des Spitzenkandidaten dem Generalsekretär Martin Zeil zu überlassen.
Aufgrund von Umfragen war der Verlust der absoluten Mehrheit der CSU ebenso absehbar gewesen wie der Einzug der FDP in den Landtag. Die Regierungspartei hatte indessen keine Koalitionsaussage getroffen und so getan, als ob sie allein weiterregieren könne. Die FDP hatte grundsätzlich ihre Bereitschaft zu einer Koalition mit der CSU bekundet, sich aber nicht ausdrücklich auf diese Partei festgelegt. Unter bayerischen Verhältnissen kam sowieso kein anderer Partner in Frage. Ein Verlöbnis mit der CSU vor der Koalitionsehe hätte nur lächerlich und kontraproduktiv gewirkt.
Die CSU war bei der Wahl von 60,7 auf 43,4 Prozent abgestürzt. Ihre früheren Wähler strebten nach allen Richtungen, am stärksten zu den Freien Wählern (190000), zur FDP (180000) und zu den Nichtwählern (130000). Zum guten Ergebnis der FDP trug neben der CDU vor allem die Aktivierung von Nichtwählern bei (40000). Hinzu kamen jeweils 10000 Stimmen zu Lasten von SPD und Grünen. Negativ war hingegen der Saldo zur neu angetretenen Linken, die der FDP 10000 Stimmen abnehmen konnte, mit 4,3 Prozent aber nicht den Sprung in den Landtag schaffte.
Die fälligen Koalitionsverhandlungen wurden zunächst dadurch verzögert, daß die schwer gebeutelte Regierungspartei erst einmal mit internen Auseinandersetzungen beschäftigt war. Dann kam es zu einer Pause in den Verhandlungen, weil erst einmal der Finanzbedarf zur Rettung der Landesbank ermittelt werden mußte. Praktischerweise übernahm der abgehalfterte CSU-Parteichef und Finanzminister Huber, dem seine Partei neben Ministerpräsident Beckstein die Hauptschuld an der Wahlniederlage gab, auch die Verantwortung für das Debakel der Landesbank, die 5,4 Milliarden Euro aus dem Rettungsfonds des Bundes benötigte.
Theoretisch hätte die CSU mit jeder der vier anderen Landtagsparteien koalieren können. SPD und Grüne schieden aber aus naheliegenden Gründen aus. Die Freien Wähler kamen zwar in die engere Wahl, galten aber in CSU-Kreisen als unberechenbare Populisten und Einzelkämpfer. So blieb letztendlich die FDP übrig. Daß sie mit 16 Abgeordneten die schwächste Fraktion im Landtag war, störte die CSU gar nicht, sondern war ein Vorteil bei der Verteilung der Ministerposten. Am 30. Oktober 2008 war es dann soweit: Im Kabinett des neuen Ministerpräsidenten Horst Seehofer (CSU) übernahm FDP-Generalsekretär Martin Zeil die Ämter des Wirtschaftsministers und des stellvertretenden Ministerpräsidenten. Außerdem durfte die FDP mit Wolfgang Heubisch den "Staatsminister für Wissenschaft, Forschung und Kunst" stellen.
Im Februar 2009 wurde Sabine Leutheusser-Schnarrenberger auf dem Landesparteitag in Fürth mit 86,2 Prozent der Stimmen als Vorsitzende bestätigt. Ihr Stellvertreter wurde Martin Zeil, der gleichzeitig den Posten des Generalsekretärs an die 33-jährige Bundestagsabgeordnete Miriam Gruß abgab.