Udo Leuschner / Geschichte der FDP (19) |
9. Bundestag 1980 - 1983 |
Der Bruch der Koalition und die erneute Hinwendung der FDP nach rechts wurde von den Wählern als Verrat empfunden und entsprechend abgestraft. Bei allen drei Landtagswahlen, die bis Ende des Jahres stattfanden, blieb die FDP unter fünf Prozent: Bei den Wahlen am 26. September 1982 in Hessen - vier Tage vor der Wahl Kohls zum neuen Bundeskanzler - sackte sie von 6,6 auf 3,1 Prozent und flog damit aus dem Landtag. Die bayerischen Wähler stauchten sie am 10. Oktober von 6,2 auf 3,5 Prozent zusammen und verbannten sie ebenfalls aus dem Landtag. Der bayerische Landesvorstand beschloß daraufhin, per Urabstimmung unter den Mitgliedern zu erkunden, ob der Kurs Genschers weiterhin unterstützt werden solle. In Hamburg, wo die FDP schon bei den letzten Wahlen nicht mehr ins Parlament gelangt war, blieb sie am 19. Dezember mit 2,6 Prozent am weitesten unterhalb der Fünf-Prozent-Hürde.
Genscher war auf dem Tiefpunkt seines Ansehens angelangt. Im FDP-Präsidium machte sich Panik breit, wie es wohl weitergehen werde. Es bestand aber Übereinstimmung, daß man da hindurch müsse und ein Kurswechsel nicht in Frage komme. Um etwas glaubwürdiger zu werden und nicht auch noch eine Spaltung der Partei zu riskieren, wurde immerhin überlegt, ob nicht ein Wechsel an der Parteispitze angebracht wäre. Der stellvertretende Parteivorsitzende Uwe Ronneburger warnte vor Austritten von FDP-Politikern, falls Genscher erneut zum Vorsitzenden gewählt werden sollte. So beschloß man, Ronneburger bei dem bevorstehenden Berliner Parteitag als Gegenkandidaten zu Genscher aufzustellen. Als versöhnliche Geste gegenüber den Linksliberalen sollte außerdem Baum zusammen mit Lambsdorff und Martin Bangemann in einer Dreierkommission mitwirken, die eine Standortbeschreibung der FDP für den nächsten Bundestagswahlkampf ausarbeiten sollte. Denn Kohl hatte inzwischen den 6. März 1983 als Termin für Neuwahlen ins Auge gefaßt - gegen den Widerstand des kleinen Koalitionspartners, der sich aus gutem Grund vor Neuwahlen fürchtete und auch innerlich in einer desolaten Verfassung war.
Es kriselte in der Partei. Generalsekretär Günter Verheugen trat aus Protest gegen die "Wende" von seinem Posten zurück und veröffentlichte am 26. Oktober ein "Liberales Manifest" als politische Plattform der Linksliberalen. Die Parteirechten konterten zwei Tage später mit dem "Berliner Manifest der Liberalen", das Lambsdorff und Bangemann inzwischen im Auftrag des Präsidiums erarbeitet hatten (Baum hatte auf die ihm ursprünglich zugedachte Mitwirkung als linksliberales Feigenblatt verzichtet).
Auf dem Berliner Parteitag vom 5. bis 7. November setzte sich Genscher klar durch. Die sozialliberale Koalition sei an den inneren Widersprüchen der SPD gescheitert, erklärte er vor den 400 Delegierten. Das Gerede vom Verrat der FDP sei eine "Legende". Bei der Wahl des Vorsitzenden stimmten 222 Delegierte für Genscher und 169 für Ronneburger. Der Koalitionswechsel wurde mit 210 gegen 181 Stimmen bei 7 Enthaltungen gebilligt. Nachdem Lambsdorff seine Kandidatur zurückzogen hatte, konnte Gerhart Rudolf Baum neben Wolfgang Mischnick und Jürgen Morlock zu einem der drei Stellvertreter Genschers gewählt werden. Als weiteres kleines Trostpflaster durfte die linksliberale Minderheit wenigstens der Stimmenzahl nach die Liste des 24köpfigen Parteivorstands anführen: Die meisten Stimmen erhielt Uwe Ronneburger (300), gefolgt von Burkhard Hirsch (270), Hinrich Enderlein (243), Heinrich Jürgens (237) und Lieselotte Funcke (236). Nachfolgerin des zurückgetretenen Generalsekretärs Günter Verheugen wurde Irmgard Adam-Schwaetzer, die von Genscher protegiert wurde (während Ronneburger für Andreas von Schoeler plädiert hatte).
Damit war aber die Krise noch lange nicht ausgestanden. In den Landesverbänden hagelte es Austritte. Insgesamt dürften von den rund 68000 Mitgliedern etwa 20000 die Partei verlassen haben. Zu den prominentesten Abgängen gehörten Ingrid Matthäus-Maier und Andreas von Schoeler, die beide zur SPD wechselten. Günter Verheugen, der ehemalige Bundesgeschäftsführer (1977-1978) und Generalsekretär (1978 - 1982) der FDP, trat ebenfalls zur SPD über und konnte dort eine zweite politische Karriere starten (unter anderem wurde er Bundesgeschäftsführer der SPD, Staatsminister im Auswärtigen Amt und EU-Kommissar). Ferner traten die Bundestagsabgeordneten Helga Schuchardt und Friedrich Hölscher aus der Partei aus.
Am 27. November 1982 vollzogen die Jungdemokraten die endgültige Trennung von der Mutterpartei, der sie seit Jahren nur noch in einer Art Haßliebe verbunden gewesen waren. Die "Deutschen Jungdemokraten" (DJD) bildeten eine eigenständige Organisation, deren Mitglieder der FDP nicht unmittelbar angehörten, sondern ihr allenfalls durch Doppelmitgliedschaft verbunden waren. Sie unterlagen also nicht der Parteidisziplin. Das unterschied sie von den "Jungsozialisten" der SPD, die innerhalb der Partei lediglich eine Arbeitsgemeinschaft bildeten und damals ebenfalls heftige Auseinandersetzungen mit ihrer Mutterpartei hatten.
Ursprünglich waren die Jungdemokraten wie die Junge Union der CDU und die Jungsozialisten der SPD ein parteifrommer Jugendverband. In den sechziger Jahren entwickelten sie sich aber zunehmend nach links. Sie antizipierten damit die außerparlamentarische Opposition und hatten starken Anteil an der sozialliberalen Wandlung der FDP. Ehemalige DJD-Bundesvorsitzende wie Wolfgang Mischnick (1954-1957), Wolfgang Lüder (1962-1963), Gerhart Rudolf Baum (1966 - 1968) und Ingrid Matthäus-Maier (ab 1972) vertraten auch als FDP-Politiker eher das Mitte-Links-Spektrum der Partei.
Unter dem Einfluß der außerparlamentarischen Opposition überholten die Jungdemokraten die sozialliberal geläuterte FDP ein weiteres Mal links. Anstatt die rebellische junge Generation auf der Grundlage der "Freiburger Thesen" an die FDP heranzuführen, wie dies gedacht gewesen war, fanden die Jungdemokraten ihrerseits Geschmack an der Rebellion und verbanden den Linksliberalismus der Freiburger Thesen teils mit neo-marxistischen, teils mit anarcho-libertären Ideen. Sie verstanden sich ausdrücklich als Teil der APO und sahen ihre Bindung an die FDP erklärtermaßen als Mittel zum Zweck, die radikaldemokratische Bewegung auch mit parlamentarischen Mitteln voranzubringen.
Schon 1969 faßten die Jungdemokraten einen Beschluß, sich von der FDP zu trennen, falls diese wieder mit der CDU koalieren sollte. Im "Leverkusener Manifest" von 1972 bezeichneten sie die FDP sehr ungalant als "eine Agentur jener Kräfte, denen wir in dieser Gesellschaft die Macht abnehmen wollen". Und schon zu Zeiten der sozialliberalen Koalition war ihr Verhältnis zur Mutterpartei so zerrüttet, daß sie 1979 bei den Wahlen zum ersten Europäischen Parlament sogar dazu aufriefen, keinesfalls für die FDP zu stimmen. Nur wegen der Kanzlerkandidatur von Strauß erklärten sie sich im Wahlkampf 1980 ein letztes Mal bereit, die FDP zu unterstützen - "nicht wegen, sondern trotz ihrer Politik".
Als fröhlich-bunter Haufen mit gelegentlich mangelnder politischer Bodenhaftung nahmen die Jungdemokraten einige Züge der späteren "Grünen" vorweg. In der Zeitschrift "liberal" beschrieb 1971 der damalige Bundesvorsitzende Heiner Bremer ihr Selbstverständnis unter anderem so: "Was die Jungdemokraten quält, ist die Entfremdung, das Ausgeliefertsein an die Herrschaft anonymer Gruppen, die weder legitimiert sind noch wirksamer Kontrolle unterliegen, an die Verlogenheit einer Gesellschaft, deren politisch-moralische Maximen zu Klischees geworden sind."
Das FDP-Establishment fühlte sich seinerseits von den Jungdemokraten gequält. "Man könnte meinen, man habe es bei den Jungdemokraten mit einem außerparlamentarischen Kampfverband und nicht mit der Nachwuchsorganisation der F.D.P zu tun", schimpfte 1971 der ehemalige "Jungtürke" Willy Weyer im FDP-Pressedienst.
Um wieder einen fügsamen Parteinachwuchs zu haben, protegierte der Parteivorstand 1979 die Gründung der "Jungen Liberalen", die im November 1980 ihren ersten Bundeskongreß abhielten. Vorläufig wurden die "Julis" aber nur von einzelnen Landesverbänden als Arbeitsgemeinschaft innerhalb der FDP anerkannt und damit den Jungdemokraten gleichgestellt. Erst nach dem Bruch der sozialliberalen Koalition konnten sie offiziell die Nachfolge der Jungdemokraten antreten. Im November 1982 wählte der Berliner Parteitag den Juli-Vorsitzenden Hans-Joachim Otto in den Bundesvorstand. Im November 1983 wurde Otto von Guido Westerwelle abgelöst, der bis 1988 amtierte.
Die Jungdemokraten beließen es nicht dabei, die letzten Bindungen zur FDP zu kappen. Sie waren auch die treibende Kraft bei der Gründung einer linksliberalen Konkurrenz-Partei: Am 28. November 1982 fand in Bochum eine Konferenz zum Thema "Die Zukunft der Liberalen" statt. Die rund tausend Teilnehmer gründeten dabei die "Liberalen Demokraten" und wählten den früheren hessischen Landtagsabgeordneten Ulrich Krüger zum ersten Vorsitzenden. Die neue Partei wollte das "von anderen ausgeschlagene Erbe von 1789 und 1848" aufnehmen und berief sich dabei ausdrücklich auf die Freiburger Thesen der FDP von 1971. Der FDP-Bundesvorstand reagierte unverzüglich mit einem Unvereinbarkeitsbeschluß: "Wer Mitglied dieser Splitterpartei wird, arbeitet gegen die Partei des politischen Liberalismus."
In der Tat haben es die "Liberalen Demokraten" nie geschafft, über eine Splitterpartei hinauszukommen. Sie blieben ein bedeutungsloses Grüppchen mit ein paar Mandaten in Kommunalparlamenten. Die Jungdemokraten schlossen sich nach dem Zusammenbruch der DDR mit Reform-Marxisten aus der ehemaligen FDJ zum Verband "JungdemokratInnen/Junge Linke" zusammen. Sie sahen ihre bevorzugten parlamentarischen Ansprechpartner nun in den Grünen und in der PDS.