Udo Leuschner / Geschichte der FDP (13) |
7. Bundestag 1972 - 1976 |
Zu Beginn der siebten Legislaturperiode gab es auch auf Landesebene keine einzige CDU/FDP-Koalition mehr. Sechs der insgesamt elf Bundesländer wurden von der SPD oder sozialliberalen Koalitionen regiert. Dabei handelte es sich um Nordrhein-Westfalen, Hessen und Niedersachsen sowie die Stadtstaaten Hamburg, Bremen und Berlin. Die Union regierte in Bayern, Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein und Saarland. Da diesen Flächenstaaten mehr Stimmen in der Länderkammer zustanden, verfügte die Union im Bundesrat über eine knappe Mehrheit, die sie Anfang 1976, nach dem Sturz der sozialliberalen Koalition in Hannover, noch ausbauen konnte.
Im Unterschied zum Bundestag ist der Bundesrat kein Parlament. Seine Mitglieder sind weisungsgebundene Repräsentanten der jeweiligen Landesregierungen. Die Institution geht historisch auf die bundesstaatliche Verfassung des preußisch dominierten Kaiserreichs zurück. Sie soll den Föderalismus garantieren und den Ländern eine direkte Einflußnahme auf Bundesgesetze ermöglichen, soweit diese länderspezifische Interessen berühren.
Die Union bediente sich nun dieser Länderkammer, um solche bundespolitischen Ziele zu verfolgen, für die eigentlich der Bundestag zuständig war. Aufgrund ihrer Mehrheit im Bundesrat konnte sie alle Reformvorhaben der sozialliberalen Koalition, die in irgendeiner Weise die Länder tangierten, zumindest behindern.
Bei den Landtagswahlen von 1972 bis 1976 konnten die Unionsparteien ihre Positionen festigen und ihre absoluten Mehrheiten in den Landtagen von München, Stuttgart, Mainz und Kiel sogar noch ausbauen. Die FDP erzielte teils Gewinne, teils Verluste. Per Saldo durfte sie zufrieden sein. Für die SPD waren die Landtagswahlergebnisse dagegen eher enttäuschend - was aber nur die alte Beobachtung bestätigte, daß die jeweils in Bonn regierenden Parteien bei Landtagswahlen schlechter abschneiden.
Die ersten Landtagswahlen nach der Bundestagswahl fanden am 3. März 1974 in Hamburg statt. Die FDP konnte sich dabei von 7,1 auf 10,9 Prozent verbessern und drei Senatorenposten besetzen. Einen deutlichen Stimmenzuwachs erzielte sie auch bei den Wahlen am 9. Juni 1974 in Niedersachsen (von 4,4 auf 7,1 Prozent). Sie konnte nun nach vierjähriger Pause wieder in den Hannoveraner Landtag einziehen, bekam zwei Ministerposten und stand der SPD als echter Koalitionspartner zur Verfügung (nach den letzten Wahlen hatte ihr die SPD das Justizministerium angeboten, obwohl sie nicht mehr im Landtag vertreten war, was sie aber ablehnte).
Weniger erfolgreich verliefen die Landtagswahlen, die am 27. Oktober 1974 in Hessen und Bayern stattfanden. In Hessen schrumpfte der Stimmenanteil der FDP von 10,1 auf 7,4 Prozent. Offenbar waren ihr viele "Leihstimmen" von SPD-Anhängern wieder abhanden gekommen. Sie profilierte sich denn auch gleich als Partei der bürgerlichen Mitte, indem sie darauf bestand, daß der wegen seiner Schulreformpläne umstrittene Kultusminister Ludwig von Friedeburg (SPD) nicht mehr ins Kabinett aufgenommen wurde. In der neuen Wiesbadener Regierung von Albert Osswald (SPD) übernahm Hans-Heinz Bielefeld das Innen- und Heinz Herbert Karry das Wirtschaftsministerium.
In Bayern sank der Stimmenanteil der FDP von 5,5 auf 5,2 Prozent. Eine Koalition stand hier wie immer nicht zur Debatte, da die CSU mit absoluter Mehrheit das Feld beherrschte. Die Sperrklausel, die bisher den Einzug in den Landtag von mindestens zehn Prozent der Stimmen in einem der sieben Regierungsbezirke abhängig machte, brauchte die Partei trotz des knappen Wahlergebnisses nicht mehr zu fürchten: Durch einen Volksentscheid war am 1. Juli 1973 die Halbierung auf fünf Prozent durchgesetzt worden. Die landesspezifische Benachteiligung kleiner Parteien hatte sich damit in einen Vorteil verwandelt, denn normalerweise mußte die Mindestquote von fünf Prozent im Landesdurchschnitt erfüllt sein.
Stimmeneinbußen erlitt die FDP auch bei den Wahlen am 2. März 1975 in Berlin (von 8,5 auf 7,2 Prozent). Hier wurde sie nun aber als Koalitionspartner unersetzlich, da die SPD ihre absolute Mehrheit verlor und die CDU erstmals die stärkste Fraktion im Abgeordnetenhaus stellte. Die Alternative einer Großen Koalition aus SPD und CDU, wie sie sowohl der Regierende Bürgermeister Klaus Schütz als auch der CDU-Landesvorsitzende Peter Lorenz in Erwägung zogen, stieß bei den Bundesvorständen beider Parteien auf Ablehnung. So kam es nach vierjähriger Unterbrechung wieder zu einem SPD/FDP-Senat, in dem Hermann Oxfort für Justiz, Walter Rasch für Schulwesen und Wolfgang Lüder für Wirtschaft zuständig wurde.
In Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein und Baden-Württemberg regierte die CDU mit absoluter Mehrheit, so daß sich hier wie in Bayern die Koalitionsfrage erst gar nicht stellte. Bei der Landtagswahl am 9. März 1975 in Rheinland-Pfalz verlor die FDP leicht von 5,9 auf 5,6 Prozent. In Schleswig-Holstein erzielte sie 1975 respektable 7,1 Prozent und konnte so nach vierjähriger Unterbrechung wieder in den Landtag einziehen. In Baden-Württemberg verschlechterte sie sich bei den Wahlen am 4. April 1976 von 8,9 auf 7,8 Prozent.
In Nordrhein-Westfalen verbesserte sich die FDP bei den Landtagswahlen am 4. Mai 1975 von 5,5 auf 6,7 Prozent. Sie gewann drei Mandate hinzu, während ihr Koalitionspartner SPD genausoviel einbüßte und die CDU unverändert blieb. In dem neuen Kabinett von Ministerpräsident Heinz Kühn (SPD) übernahm Burkhard Hirsch das Innenministerium, das bisher Willy Weyer innegehabt hatte. Horst-Ludwig Riemer blieb für Wirtschaft und Verkehr zuständig.
Im Saarland konnte die FDP bei den Landtagswahlen am 4. Mai 1975 die Fünf-Prozent-Hürde wieder überwinden und mit 7,4 Prozent der Stimmen drei Sitze im Landtag erringen. Im Wahlkampf hatte sie sich auf eine Koalition mit der SPD festgelegt, die 22 Abgeordnete in den Landtag entsandte. Die CDU verfügte jedoch mit 25 Sitzen über dieselbe Stärke wie eine mögliche SPD/FDP-Koalition. Nur eine CDU/FDP-Koalition hätte diese Patt-Situation überwinden können. Sie hätte sogar der sozialliberalen Koalition in Bonn nützlich sein können, sofern das Saarland dadurch im Bundesrat neutralisiert worden wäre. Ein Regierungsbündnis mit der CDU verbot sich aber für die FDP, um nicht den Vorwurf des "Umfallens" und der Charakterlosigkeit zu riskieren. Zumindest mußte sie eine gehörige Schamfrist einhalten, bis sie es sich erlauben konnte, von der Tolerierung des CDU-Kabinetts unter Franz-Josef Röder zur Kooperation überzugehen. Deshalb kam es im Saarland vorerst zu keiner CDU/FDP-Koalition.
Eine ähnliche Patt-Situation entwickelte sich in Niedersachsen. Hier stand die im Juli 1974 beschlossene SPD/FDP-Koalition von Anfang an auf wackligen Beinen. Bis zu den Landtagswahlen, die der FDP wieder zum Einzug ins Parlament verhalfen, hatte die SPD mit nur einer Stimme Vorsprung vor der CDU regiert. Durch den Wahlausgang war sie indessen so geschwächt worden, daß sie trotz des Bündnisses mit der FDP weiterhin nur über eine hauchdünne Mehrheit verfügte. Zunächst sah es so aus, als würde der Vorsprung gegenüber der CDU wenigstens drei Sitze betragen. Durch eine spätere Korrektur des Wahlergebnisses reduzierte er sich aber auf nur noch eine Stimme. Gegenüber der vorherigen Situation, als die SPD allein regierte, hatte sich die Lage der Regierung von Alfred Kubel sogar verschlechtert, da auf die Geschlossenheit der FDP-Fraktion nur bedingt Verlaß war. Dies wurde ihr zum Verhängnis, als Kubel im Januar 1976 aus Altersgründen zurücktrat. Eigentlich sollte der bisherige Finanzminister Helmut Kasimier (SPD) mit der Mehrheit von 78 Stimmen der Koalition gegen 77 Stimmen der CDU zum Nachfolger gewählt werden. Mit Hilfe eines Überläufers aus den Reihen der Koalitionsparteien gelang es der CDU aber, anstelle von Kasimier ihren Gegenkandidaten Ernst Albrecht durchzusetzen.
Zunächst lehnten es sowohl die SPD als auch die FDP ab, die Regierung Albrecht aus der Rolle eines Minderheits-Kabinetts zu erlösen. Die FDP ließ aber schon in ihrer Absage anklingen, daß sie keine grundsätzliche Opposition üben, sondern Albrecht von Fall zu Fall unterstützen würde.