Februar 1997

970202

ENERGIE-CHRONIK


Serie von Anschlägen auf Bahnstrecken erreicht neuen Höhepunkt

Im Vorfeld des geplanten Castor-Transports (970201) erreichte die seit 1995 andauernde Serie von Anschlägen auf Bahnstrom-Oberleitungen im Februar einen neuen Höhepunkt: So erfolgte am 13.2. ein Anschlag auf die Schnellbahntrasse Stuttgart-Mannheim, am 23.2. auf die Strecke Berlin-Dessau und am 25.2. kam es fast zeitgleich zu acht Anschlägen auf Bahnstrecken in verschiedenen Bundesländern. Die unbekannten Täter wählten jeweils die Nachtstunden bzw. den frühen Morgen zur Befestigung sogenannter Hakenkrallen an den Oberleitungen, die dann von den Stromabnehmern der Züge erfaßt wurden. Infolge der Oberleitungsschäden hatten zahlreiche Züge teils stundenlange Verspätungen (Stuttgarter Zeitung, 13.2.; FAZ, 24.2.; FAZ, 26.2.).

Die Bundesbahn verteilte in den Zügen Flugblätter, in denen sie die Reisenden um Verständnis für die zahlreichen Behinderungen im Fern- und Nahverkehr bat: "Hintergrund dieser Anschläge ist der geplante Castor-Transport mit Atommüll in das Zwischenlager Gorleben. Die Deutsche Bahn AG hat diese Transporte übernommen, nicht aus wirtschaftlichen Gründen, sondern weil der Transport auf der Schiene der sicherste Weg ist. Im übrigen gibt es keine unmittelbare Gefährdung für die Reisenden."

Ampeln auf Dauer-Rot geschaltet

In der Nacht zum 18.2. verübten Unbekannte drei Anschläge in Hamburg, indem sie mit Steinwürfen und Farbbeuteln ein Kundenzentrum der HEW, ein Schulungszentrum der Deutschen Bank und ein Gebäude der Deutschen Bahn beschädigten. Am 27.2. manipulierten Kernkraftgegner in Hamburg die Schaltkästen von Verkehrssignalanlagen, wodurch die Ampeln dauernd Rot zeigten und erhebliche Verkehrsstörungen entstanden. In Schleswig-Holstein steckten Unbekannte Schaltkästen an Bahnübergängen in Brand (Hamburger Abendblatt, 19.2.; FR, 28.2.).

Praktisch unter den Augen der Polizei liefen zwei Aktionen ab, die als "ziviler Ungehorsam" deklariert waren: Am 2.2. besetzten militante Kernkraftgegner ein Gleis zum Castor-Verladekran in Dannenberg, wobei sie das Gleis ansägten und Schotter abtrugen. Am 15.2. beschädigten rund tausend Kernkraftgegner bei einem "Schienenspaziergang" die Strecke Uelzen-Danneberg, indem sie Schienen zersägten, Schwellen entfernten oder Barrikaden errichteten (SZ, 17.2.).

"Die Anschläge erschlagen die berechtigten Argumente der Atomgegner"

Die Medien verurteilten die Anschläge auf Bahnstrecken einhellig, legten aber unterschiedlichen Akzent auf deren kriminellen Gehalt. Oft stand für die Kommentatoren eher das Argument im Vordergrund, daß die Täter auch der Sache der Kernkraftgegner schaden, wenn sie sich ins kriminelle Abseits stellen. So sieht die Frankfurter Rundschau (26.2.) in den Anschlägen auf Oberleitungen eine "Sabotage am Widerstand". Für die tageszeitung (26.2.) bieten die Täter bestimmten Politikern "den willkommenen Anlaß, die Anti-Atomkraft-Szene pauschal zu kriminalisieren". Die Süddeutsche Zeitung (26.2.) meinte: "Die Anschläge erschlagen die seriösen und berechtigten Argumente der Atomgegner, sie lenken ab von dem berechtigt harten und engagierten, aber friedlichen Protest gegen eine völlig verkorkste Energiepolitik."