Januar 1996

960101

ENERGIE-CHRONIK


Vorerst kein verfassungsgerichtliches Urteil zum Stromeinspeisungsgesetz

Der Streit um die Zulässigkeit des Stromeinspeisungsgesetzes (siehe 950901 u. 950501) wird sich noch länger hinziehen. Das Bundesverfassungsgericht wies am 16.1. einen Vorlagebeschluß des Landgerichts Karlsruhe vom 29.9.95 zurück, in dem dieses Gericht von der Verfassungswidrigkeit des Gesetzes ausging und deshalb um höchstinstanzliche Klärung dieser Frage bat. Die Zurückweisung erfolgte aus formalen Gründen: Nach Ansicht der Verfassungsrichter hat das Landgericht seine Überzeugung, daß das Stromeinspeisungsgesetz auf eine unzulässige Sonderabgabe hinausläuft, nicht detailliert genug dargelegt. Das Landgericht kann nun entweder einen zweiten Vorlagebeschluß mit ausführlicherer Begründung einreichen oder in dem anhängigen Rechtsstreit zwischen dem Badenwerk und dem Betreiber eines Wasserkraftwerks ein Urteil sprechen (FAZ, 18.1.; SZ, 18.1.; Handelsblatt, 18.1.).

"Die Verfassungsmäßigkeit des Stromeinspeisungsgesetzes ist weiterhin offen", stellte dazu die Vereinigung Deutscher Elektrizitätswerke (VDEW) fest. Es gehe im Interesse aller Beteiligten weiterhin darum, diese Frage so schnell wie möglich zu klären, sagte der VDEW-Vorsitzende Horst Magerl.

Obwohl die Zurückweisung des Vorlagebeschlusses aus formalen Gründen erfolgte, wurde die Karlsruher Entscheidung in der Presse zum großen Teil als "Sieg für alternative Stromerzeuger" (Handelsblatt) gedeutet. Auch Überschriften wie "Stromkonzerne abgeblitzt" (Die Rheinpfalz) waren nicht selten. Die Bundestagsfraktion der Bündnisgrünen verkündete in einer Presseerklärung, damit sei "die Anfang vergangenen Jahres von den großen Stromversorgern angezettelte Kampagne gegen die erneuerbaren Energien gescheitert". Die FDP-Bundestagsfraktion sah nach der Karlsruher Entscheidung "politischen Handlungsbedarf" und beantragte für den 6. März eine parlamentarische Anhörung zum Stromeinspeisungsgesetz.

Die Frankfurter Rundschau (18.1.) schrieb: "Nach der Zurückweisung der Vorlage des Landgerichts Karlsruhe durch das Bundesverfassungsgericht ist jedem klar, daß sich der Streit länger hinziehen wird als die Energiekonzerne gedacht und mehrheitlich gehofft hatten."

Die Stuttgarter Nachrichten (18.1.) meinten: "Mit dem für verfassungswidrig erklärten Kohlepfennig, der auf jeder Stromrechnung auftauchte, hat die höhere Vergütung für Alternativ-Strom wenig gemein. Vielmehr geht sie in die allgemeine Preiskalkulation ein. So bleibt offen, ob es zu einer neuen Beschlußvorlage an das Verfassungsgericht kommt - eine Hängepartie für die Betroffenen."

Die tageszeitung (18.1.) freute sich: "Das wirtschaftlich elegante Modell, das die Stromkunden statt der Steuerzahler für die allmähliche ökologische Umorientierung der Stromwirtschaft aufkommen läßt, hat wichtige Rückendeckung bekommen. Ein Sieg für eine ökologischere Ökonomie."

Das Handelsblatt (19.1.) stellte fest: "Das Bundesverfassungsgericht hat sich bei der Urteilsfindung über den 'Kohlepfennig' viele Jahre Zeit gelassen; bei einem damals öffentlich sehr kontroversen Thema wurde Zeit gewonnen. Es spricht einiges dafür, daß gleichfalls die populäre Unterstützung der erneuerbaren Energien rechtspolitisch zunächst offenbleiben wird. Sollten aber die Energiemonopole beseitigt werden, dann würden auch staatliche Sonderlasten erneut in Frage gestellt; im Wettbewerb wären sie nämlich auf keinen Fall zumutbar."