Februar 1995 |
950201 |
ENERGIE-CHRONIK |
Die Bonner Regierungsparteien wollen eine Neuregelung der Kohlefinanzierung im Rahmen der Energiekonsens-Gespräche erreichen, sind sich aber selber noch uneins, wie diese aussehen könnte. Bei ihrem zweiten Gespräch am 14.2. verständigten sich die Spitzen von CDU/CSU und FDP darauf, am 16.3. eine Verhandlungsrunde mit der SPD zu eröffnen. Nach den Worten von Kanzleramtsminister Friedrich Bohl (CDU) sollen die Gespräche ohne die von der SPD geforderten Garantien für die Kohle beginnen. Die SPD erklärte ihre Bereitschaft zur Teilnahme, lehnte jedoch eine Verknüpfung der Themen Kohle und Kernkraft weiterhin ab. Koalition und SPD werden jeweils acht Teilnehmer stellen. Die Delegation der SPD leitetet der niedersächsische Ministerpräsidenten Gerhard Schröder. Verhandlungsführer der Koalition sind Wirtschaftsminister Günter Rexrodt und Umweltministerin Angela Merkel (FAZ, 15.2. u. 20.2.; Handelsblatt, 24.2.; siehe auch 950101).
An den bevorstehenden Gesprächen sollen zunächst weder die Grünen noch die Vertreter gesellschaftlicher Gruppen beteiligt werden. Bundesumweltministerin Angela Merkel (CDU) begründete die Nichtberücksichtigung von Bündnis 90/Die Grünen mit dem Desinteresse, das deren Fraktionschef Joschka Fischer gezeigt habe. Was die PDS angehe, so sei deren Teilnahme überflüssig. In einer späteren Mitteilung des Bundeswirtschaftsministeriums hieß es abschwächend, daß eine Einladung von Bündnis 90/Die Grünen zu dem Gespräch am 16.3. "noch nicht feststehe". Verbände würden in jedem Falle "erst später hinzugezogen" (FR, 17.2.; SZ, 1.3.).
Die Umweltorganisationen Greenpeace und BUND reagierten auf ihre "Ausladung" durch Frau Merkel mit dem Vorwurf, die Bundesregierung setze in der Energiepolitik "auf eine große Parteien-Kumpanei statt auf einen breiten gesellschaftlichen Konsens". Sie forderten die SPD auf, sich an diesem "Kuhhandel um Kohle und Atom" nicht zu beteiligen. Die Greenpeace-Sprecherin Claudia Sieg erklärte: "Nun wird die Auseinandersetzung über den Atomausstieg zurück auf die Straße verlegt" (taz, 18.2.).
Einen Tag vor dem Koalitionsgespräch protestierten Bergleute im Saarland und Nordrhein-Westfalen mit Mahnfeuern und anderen Aktionen gegen die Bonner Sparpläne. Auf Transparenten forderten sie "Heimische Kohle, Sichere Energie, Arbeitsplätze für alle" (Handelsblatt, 14.2.).
Auch bei ihrem zweiten Gespräch am 14.2. erzielten die Koalitionsparteien keine Einigkeit darüber, wie eine Ersatzlösung für den Kohlepfennig aussehen soll, nachdem dieser aufgrund des Urteils des Bundesverfassungsgerichts für 1996 nicht mehr erhoben werden darf. Die FDP und ein Teil der Unionspolitiker lehnen eine Ersatzsteuer weiterhin ab. Stattdessen wollen sie die Subventionen für die Verstromung deutscher Steinkohle aus dem regulären Haushalt bestreiten. Die FDP sieht sich vom Ergebnis der Landtagswahlen in Hessen am 19.2. bestätigt, auf Eigenständigkeit in der Koalition zu setzen und den Konflikt mit der CDU/CSU nicht zu scheuen. Sie will es dabei anscheinend sogar auf den Bruch der Koalition ankommen lassen. "Wenn wir da umfallen, sind wir tot", erklärte der frühere FDP-Vorsitzende Graf Lambsdorff gegenüber der Frankfurter Allgemeinen (24.2.). Demgegenüber will Bundesfinanzminister Theo Waigel (CSU) nicht länger hinnehmen, "daß die FDP ohne Unterlaß Steuersenkungen und zusätzliche Ausgaben vorschlägt, ohne zugleich zu erklären, wo das Geld herkommen soll". Die durch den Wegfall des Kohlepfennigs erforderlichen 7,5 Milliarden Mark könnten nur durch eine Steuer oder "weitere massive Streichungen bei den Subventionen und den Leistungsgesetzen" beigebracht werden (SZ, 14.2.; FAZ, 21.2.; VWD, 21.2.).
Neben der Subventionierung der Steinkohleverstromung muß als besonders dringliches Problem die Kokskohle-Subventionierung neu geregelt werden. Die Bundesregierung will ihren Anteil bereits in diesem Jahr von bisher 66 auf 50 Prozent verringern und dadurch in den Jahren bis einschließlich 1997 rund 1,7 Milliarden Mark einsparen. Die SPD-regierten Kohleländer Nordrhein-Westfalen und Saarland wehren sich jedoch entschieden gegen eine entsprechende Mehrbelastung. Sie drohen mit der Blockierung des Bundeshaushalts 1995 im Bundesrat, falls es im Zuge der Haushaltsberatungen, die im März abgeschlossen werden sollen, nicht doch noch zu einer Einigung kommt (FAZ, 10.2. u. 14.2.; Handelsblatt, 23.2.; siehe auch 940904).
Innerhalb der SPD gibt es erhebliche Differenzen
über die Marschroute bei den bevorstehenden Energiekonsens-Gesprächen
mit der Koalition. Als Hauptkontrahenten profilierten sich der
niedersächsische Ministerpräsident Gerhard Schröder
und der baden-württembergische Umweltminister Harald B. Schäfer.
In den Augen von Schäfer erweckt Schröder den Anschein,
als könnten "Grundsätze sozialdemokratischer Energiepolitik
zur Dispositionen gestellt werden". In einem Interview mit
der Illustrierten stern (9.2.) betonte Schäfer, daß
für die SPD weder Zu- oder Ersatzbauten für die bestehenden
Kernkraftwerke noch "Restlaufzeiten von 40 Jahren" in
Frage kämen. Schröder hielt seinerseits dem "größten
aller Atomgegner" vor, daß unter seiner Verantwortung
1992 das baden-württembergische Kernkraftwerk Obrigheim wieder
in Betrieb gegangen sei. Schäfers Radikalität wachse
proportional mit der Entfernung (FR, 9.2.).
Der SPD-Europaabgeordnete Rolf Linkohr hat die sozialdemokratische Fraktion im Europa-Parlament aufgefordert, ihren 1988 gefaßten Beschluß zum Ausstieg aus der Kernenergie zu überdenken. Der Diplomphysiker war an diesem Beschluß selbst maßgeblich beteiligt gewesen. Er begründet seinen Sinneswandel in einem ausführlichen Papier vor allem mit der Entwicklung in anderen Teilen der Welt: "Wir stehen vor der Wahl, schlechte Technik in anderen Ländern hinzunehmen oder anderen Ländern zu helfen, sichere Kernkraftwerke zu bauen." Gebaut würden sie sowieso, wie die entsprechenden Pläne in Rußland und Asien zeigten (FR, 2.2.; Hannoversche Allgemeine, 18.2.).
Nach Darstellung der Zeit (17.2.) denkt derzeit keiner der deutschen Stromversorger an den Bau neuer Kernkraftwerke. Allerdings seien die süddeutschen EVU wegen ihrer Entfernung zur Kohle stärker als die norddeutschen am möglichst langfristigen Betrieb der bestehenden Anlagen interessiert. "Der Konsensbedarf liegt also zunächst in der Branche selbst. Kann sie sich intern auf Laufzeitbegrenzungen einigen, sollte einem politischen Kompromiß nichts im Wege stehen."
Nach Meinung desselben Blattes (Die Zeit, 24.2.) wäre eine Stromsteuer das kleinere Übel gegenüber der von der FDP geforderten Haushaltslösung, weil sich diese nur mit Streichungen an anderen Stellen und dem Abbau sozialer Leistungen erreichen ließe: "Dann schlucken wir doch lieber eine Kröte mit Namen Stromsteuer. Sie beließe alles beim alten und könnte befristet werden, um einen heilsamen Zwang zum Abbau der Kohlesubventionen auszuüben".
Für die Frankfurter Allgemeine (14.2.) wirkt die bisherige deutsche Energiepolitik "wie ein Stück aus dem Tollhaus". Infolge der Kohle-Subventionierung und der Blockade der Kernenergie würden "Milliarden in derartiger Höhe verschleudert, daß der normale steuerzahlende Bürger längst den Überblick verloren haben dürfte".