Dezember 1993

931212

ENERGIE-CHRONIK


Mainzer Landesregierung legt sich wegen Mülheim-Kärlich mit Töpfer an

Die rheinland-pfälzische Umweltministerin Klaudia Martini (SPD) hat am 8.12. mitgeteilt, daß sie den Antrag der RWE Energie AG auf Erteilung einer Dauerbetriebsgenehmigung für das Kernkraftwerk Mülheim-Kärlich abgelehnt habe, weil weiterhin ein Endlager für hochradioaktive Abfälle fehle. Bundesumweltminister Töpfer (CDU) bezeichnete die Entscheidung noch am selben Tag als rechtswidrig und wies seine Mainzer Kollegin an, den ablehnenden Bescheid aufzuheben. Am 20.12. erhielt Töpfer vom Kabinett die Zustimmung zur Anrufung des Bundesverfassungsgerichts, falls die Landesregierung in Mainz der erteilten bundesaufsichtlichen Weisung nicht nachkomme. Die Mainzer Ministerin beugte sich Töpfers Weisung erst kurz vor Ablauf der auf 23.12. gesetzten Frist.

Ebenfalls mit Rückendeckung durch das Kabinett erließ Töpfer zwei weitere atomrechtliche Weisungen gegen die SPD-geführten Länder Niedersachsen und Hessen: Die niedersächsische Umweltministerin Monika Griefahn wurde angewiesen, die Akten zur Pilotkonditionierungsanlage in Gorleben nach Bonn zu schicken. Den hessischen Umweltminister Joschka Fischer wies Töpfer an, die Zustimmung zu weiteren 30 Umbaumaßnahmen für die geplanten Neuanlagen zur Plutoniumverarbeitung im Hanauer Siemens-Brennelementewerk zuzulassen (SZ, 9.12.; Handelsblatt 22.12. u. 23.12.; FAZ 27.12.).

Am 11.3.93 hatte das Bundesverwaltungsgericht den Prozeß um das seit 1988 abgeschaltete Kernkraftwerk Mülheim-Kärlich an das Oberverwaltungsgericht in Koblenz zurückverwiesen. Die RWE Energie AG hatte aufgrund dieses Urteils erneut die Genehmigung zur Wiederinbetriebnahme beantragt. Ein Antrag auf Sofortvollzug wurde von der Mainzer Umweltministerin bereits im Mai 93 abgelehnt. Im Juni 92 hatte das Mainzer Landgericht die rheinland-pfälzische Landesregierung für Fehler im Genehmigungsverfahren verantwortlich gemacht, die bis heute eine dauerhafte Inbetriebnahme des Kernkraftwerks verhindern. Diesem Urteil zufolge müßte das Land der RWE die Hälfte des Schadens zahlen, der durch die Stillegung entstanden ist (siehe 930511).

"SPD will Kernenergie zum Wahlkampfthema machen"

Nach Ansicht der Süddeutschen Zeitung (11.12.) lassen sich für die "Mainzer Atomshow" keine sachlichen Argumente finden, zumal die Umweltministerin damit der im Frühjahr anstehenden Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Koblenz vorgreife. "Das Mainzer Spielchen ist denn vermutlich nur der mißlungene Auftakt für die Strategie der SPD-Opposition, die Kernenergie zum Wahlkampfthema zu machen. Die Partei ist freilich gut beraten, dies künftig auf einem deutlich höheren Niveau zu tun. Ansonsten macht sie sich erneut so unglaubwürdig wie beim internen Gerangel um den Energiekonsens."

Ähnlich sieht das Handelsblatt (10.12.) das Verhalten der beiden sozialdemokratischen Umweltministerinnen Klaudia Martini und Monika Griefahn: "Im Vorfeld des Superwahljahres 1994 sind die Sozialdemokraten in der Kernenergiefrage auf Konfrontationskurs gegangen ... Die Genossinnen spielen sich den Ball geschickt zu: Genehmigungsstillstand bei Endlagern für radioaktive Abfälle auf der einen Seite und Genehmigungsverweigerung für Reaktoren mit der Begründung der ungelösten Entsorgung auf der anderen Seite. Da die beiden Kabinettsmitglieder in Hannover und Mainz wohl kaum ohne wohlwollende Unterstützung ihrer beiden Ministerpräsidenten agieren dürften, ist davon auszugehen, daß sowohl Rudolf Scharping als auch Gerhard Schröder mit der populistischen Kernenergieausstiegsformel auf Wählerstimmenfang gehen wollen."