September 1991 |
910901 |
ENERGIE-CHRONIK |
Die Sanierung der ostdeutschen Stromwirtschaft verzögert sich weiter. Mit Rücksicht auf das Bundesverfassungsgericht, das über die Klage von mittlerweile 146 Kommunen gegen die Stromverträge entscheiden muß, haben die westdeutschen Verbundunternehmen die ursprünglich für diesen Herbst geplante Beteiligung an den ostdeutschen Stromversorgern zurückgestellt. Wie das Handelsblatt (11.9.) berichtete, würden nach den Worten des RWE-Vorstandsvorsitzenden Friedhelm Gieske zugleich "alle größeren Investitionen" in Ostdeutschland zurückgestellt und bis zur Verkündung des Karlsruher Urteils nur die vertraglich fixierte Geschäftsbesorgung durchgeführt, die sich auf das Nötigste beschränkt. Demgegenüber betonte der Vorstandsvorsitzende von PreussenElektra, Hermann Krämer, daß bei der ostdeutschen VEAG wegen der Verfassungsklage der Kommunen "nicht eine einzige Arbeit storniert" werde. Gieske stellte wenig später seinerseits klar, daß er nie einen "Investitionsstopp" angekündigt habe. Ein Aufschub der Beteiligungserwerbe müsse aber zwangsläufig zu einer Verlangsamung des Investitionstempos führen (SZ, 11.9.; dpa, 22.9.; SZ, 25.9.; siehe auch 910703 u. 910801).
Für die Frankfurter Rundschau (11.9.) war die RWE-Ankündigung, ab sofort keine größeren Investitionen im Osten mehr zu tätigen, ein "überflüssiger Seitenhieb". Die anhängige Klage berühre vor allem die Modernisierung der Verteilnetze. "Auf der Ebene des Verbundnetzes (Großkraftwerke und überregionale Hochspannungsleitungen) stellt niemand den Zugriff von RWE, PreussenElektra und Bayernwerk in Frage. Also gibt es hier auch keine Investitionen zu überdenken."
"Der Stromvertrag wackelt, die Stromkonzerne beginnen ein lautstarkes Rückzugsgefecht", meinte die Wirtschaftswoche (20.9.). Ein Scheitern des Stromvertrags vor dem Bundesverfassungsgericht sei "eher wahrscheinlich". Doch jenseits der großen gerichtlichen Auseinandersetzung suchten Kommunen und Versorger Wege der Zusammenarbeit wie über die vereinbarte Clearingstelle oder Investitionsschutzabkommen.
Das Handelsblatt (12.9.) gab zu bedenken: "Die westdeutschen Elektrizitätsversorger werden sich nur dann mit den notwendigen Kapitalbeträgen bei der ostdeutschen Erzeugung und Verteilung von Strom enagieren, wenn sie die Absatzwege bis zum Letztverbraucher in gewissem Umfang kontrollieren können ... Auch in Ostdeutschland sollte versucht werden, die positiven Erfahrungen in den alten Ländern zu nutzen und die strukturellen Verhältnisse weitgehend zu kopieren ... Schnelles Geld ist in diesem Bereich kaum zu verdienen. Mit einseitigen Vorleistungen würden die westdeutschen Energieunternehmen auf den großen Widerstand ihrer Aktionäre stoßen. ... Es wäre sehr traurig, wenn eine Strukturkrise der ostdeutschen Elektrizitätswirtschaft nur dadurch gelöst werden kann, daß eine konjunkturelle Absatzdurststrecke anhält."
Nach Ansicht der Berliner Zeitung (3.9.) war es "unverantwortlich, trotz der unklaren Eigentumsverhältnisse einen Generalvertrag abzuschließen". Auch ökonomisch sei die Übergabe des Ost-Netzes an die westlichen Verbundunternehmen fragwürdig, "denn der Strommarkt ist so lukrativ, daß es an Interessenten nicht fehlt". Die Lösung des jetzigen Dilemmas müsse lauten: "Der Stromvertrag gehört gekippt - und das Energiewirtschaftsgesetz gleich mit."
Dagegen stellte der Berliner Tagesspiegel
(15.9.) fest: "Die streitbaren Stadt- und Gemeindeväter
im Osten übersehen dabei allerdings, daß zunächst
mal gewaltige Beträge investiert werden müssen, bevor
überhaupt eine einzige DM als Gewinn zurückfließt.
Und es ist eine völlig abwegige Vorstellung, die westdeutschen
Stromversorger wären, wenn sie gewissermaßen ausgebootet
würden, etwa zu einer ëArbeitsteilungí in der
Weise bereit, daß sie -etwas vergröbert ausgedrückt
- das Geld und das Know-how für die Modernisierung der Kraftwerke
im Osten bereitstellen und die kommunalen Partner sich aufs Verkaufen
und Kassieren beschränken ... Den Partnern aus dem Westen
tut der Schwebezustand nicht allzu weh, denn selbst wenn das ganze
Vertragswerk platzen würde, könnten sie damit noch gut
leben. Die Leidtragenden wären (und sind) aber eindeutig
die Bewohner in den neuen Bundesländern, denn für sie
stünde die Sicherheit der Stromversorgung noch auf Jahre
hinaus auf wackligen Beinen."