August 1991

910801

ENERGIE-CHRONIK


Streit um Stadtwerke behindert notwendige Energie-Investitionen

Die dringend notwendige Sanierung der Stromversorgung in den neuen Bundesländern wird durch die Klage behindert, die mittlerweile 124 Kommunen vor dem Bundesverfassungsgericht erhoben haben. Die Karlsruher Richter sollen den im August 1990 vereinbarten Stromvertrag für ungültig erklären, der acht westdeutschen Energieversorgungsunternehmen die Kapitalmehrheit an den 15 ehemaligen Bezirks-Energiekombinaten einräumt. Bis 28. August hatten die Prozeßparteien Gelegenheit, ihre Stellungnahmen abzugeben. Im Oktober sollen Sachverständige gehört werden. Eine erste Entscheidung wird Anfang kommenden Jahres erwartet (dpa, 15.8. u. 16.8.).

"Der seit Monaten schwelende Streit um die Gründung von Stadtwerken in Ostdeutschland lähmt die notwendigen Investitionen", stellte dazu die Süddeutsche Zeitung (22.8.) fest. Die klagenden Kommunen erhofften sich vom Stromgeschäft auf eigene Rechnung satte Einnahmen. "Die Frage, woher das Geld für Investitionen kommen soll, bleibt dagegen oft unbeantwortet."

Die Wirtschaftswoche (9.8.) befürchtet einen Anstieg der Strompreise, falls die Kläger Erfolg haben sollten: "Setzen sich die Kommunen mit der Gründung eigener Stadtwerke durch, wird der Stromvertrag ausgehöhlt. Den Energieversorgern brächen ganze Landstriche ihres Absatzmarktes weg. Die Strompreise müßten neu kalkuliert werden. Schon jetzt klagen Unternehmer und Privatverbraucher in den neuen Ländern über weit höhere Energiepreise als im Westen."

Clearing-Stelle soll vermitteln

Der Verband kommunaler Unternehmen (VKU) und der Deutsche Städtetag halten den Stromvertrag für nichtig, weil die Städte der ehemaligen DDR dabei total übergangen worden seien. Dies erklärte Manfred Rommel, der Präsident beider Organisationen ist, am 26. August in Bonn. Nach Auffassung des Stuttgarter Oberbürgermeisters wäre es allerdings verhängnisvoll, wenn mit Blick auf Karlsruhe die notwendigen Investitionen unterblieben. Die Kommunen seien auch nicht allein in der Lage, die Energieversorgung in den neuen Bundesländern zu garantieren. Beim VKU werde deshalb unter Beteiligung der Stromkonzerne, der Treuhandanstalt und der ostdeutschen Kommunen eine Clearing-Stelle eingerichtet, um bisher strittige Fragen bei der Stromversorgung einvernehmlich zu regeln (FR, 27.8.; FAZ, 27.8.).

Grüne voll auf Seiten der Kläger

Beifall und Unterstützung erhielten die klagenden Kommunen von den Grünen. Bundesvorstandsmitglied Friedrich Heilmann nannte den Stromvertrag einen "Jahrhundertdeal", mit dem die ostdeutschen Kommunen "geknebelt" würden. Nach Meinung Norbert Barths von der Bundesgeschäftsstelle würden eigene Kraftwerke den Kommunen nicht nur "auf Dauer eine wichtige Einnahmequelle" sichern, sondern auch eine dezentrale und umweltfreundliche Energieversorgung sowie die "Unabhängigkeit von Großkraftwerken" ermöglichen (dpa, 15. u. 16.8.).

Die ostdeutsche Wochenpost (14.8.) kritisierte das "handstreichartige Vorpreschen" der westdeutschen Stromkonzerne unter Führung der RWE Energie AG, das ganz die Handschrift des RWE-Gründers Hugo Stinnes trage, und bezeichnete den Stromvertrag als "Super-GAU der Marktwirtschaft".

Auch Rechtsansprüche der Länder?

Nach Ansicht des ARD-Fernsehmagazins Panorama wurden beim Abschluß des Stromvertrags auch Rechtsansprüche der neuen Bundesländer übergangen, deren Vorläufern zwei Drittel des ostdeutschen Stromnetzes gehört hätten. Die neuen Bundesländer stellten sich bereits darauf ein, "von den westdeutschen Stromkonzernen die Herausgabe der Leitungsrechte, Beteiligungen oder finanzielle Entschädigungen zu verlangen". RWE Energie und Bayernwerk haben diese Darstellung als juristisch unzutreffend zurückgewiesen (SZ, 28. 8.; VWD, 28. 8.).

Französische Beteiligung möglich

Der Vorstandsvorsitzende des Bayernwerks, Jochen Holzer, rechnet damit, daß die Eléctricité de France (EdF) noch in diesem Jahr ihre Option wahrnimmt und mit 15% beim Stromvertrag in die Verbundebene für die neuen Bundesländer einsteigt. Damit eröffne sich die Möglichkeit eines engeren Stromverbunds sowie einer anteiligen Entlastung bei den notwendigen Investitionen im Osten. Der EdF-Anteil an der noch zur Treuhand gehörenden Vereinigten Energiewerke AG (VEAG) würde von PreussenElektra, RWE Energie und Bayernwerk abgegeben, die nach bisheriger Planung 75% der VEAG halten sollen und dafür eine "gleichwertige Position in Frankreich" bekämen (dpa/VWD, 14.8.).

Lecke Kabel verseuchen Erdreich

Wie dringlich unverzügliche Investitionen zur Sanierung der ostdeutschen Stromversorgung sind, unterstreicht die Nachricht, daß aus defekten 110-Kilovolt-Kabeln der Energieversorgung Berlin AG (EBAG) ständig Öl ins Erdreich fließt. Wie die Berliner Zeitung (6. 8.) erfuhr, "wurden in den vergangenen Jahren Tausende Liter Öl in die Kabel gepumpt, um den notwendigen Betriebsdruck aufrechtzuerhalten".