Juni 2024

240608

ENERGIE-CHRONIK




Diese Infotafel steht am Eingang einer der 65 chinesischen Anlagen, die in Deutschland als Klimaschutzprojekte anerkannt wurden. Ein deutsches Prüfinstitut hat sich angeblich vor Ort überzeugt, dass das Projekt 2021 neu errichtet wurde und damit alle Anforderungen der UER-Verordnung erfüllt. Dabei muss der Prüfer allerdings kein Chinesisch verstanden oder geflissentlich übersehen haben, was auf der Tafel steht: "Die Anlage nahm offiziell im Dezember 2015 den Betrieb und die Produktion auf." Die Jahreszahl 2015 und der Monat Dezember (heller Fleck) sind mit arabischen Ziffern statt chinesischen Zahlzeichen geschrieben und dadurch auch für Nicht-Chinesen zu erkennen.

Regierung streicht Zertifikate für angebliche Treibhausgas-Einsparungen in China

Die Bundesregierung hat das vorzeitige Ende der sogenannten "Upstream Emission Reduction"-Projekte (UER) beschlossen, mit denen Mineralölkonzerne seit 2018 ihre gesetzlichen Klimaschutzvorgaben durch Unterstützung von Klimaschutzprojekten im EU-Ausland erfüllen können. Die Zertifizierung solcher Projekte soll es nun ab dem kommenden Jahr nicht mehr geben. Der Grund dafür sind Betrügereien mit den Zertifikaten, die bisher meistens Treibhausgasminderungen bei der Ölförderung in China bescheinigten und von Ölmultis wie Shell, Rosneft oder TotalEnergies erworben wurden, um damit ihre Verpflichtungen zur Treibhausgasminderung in Deutschland zu senken. Schon im Februar wurde deshalb eine Novellierung der Verordnung eingeleitet, die seinerzeit die schwarz-rote Koalition erlassen hat. Dies Novellierung sollte zunächst am 11. März vom Bundeskabinett beschlossen werden, wurde dann aber auf den 22. Mai verschoben. Ein Anfang Mai gesendeter Bericht des ZDF-Magazins "frontal" dürfte wesentlich dazu beigetragen, dass dann bei diesem neuen Termin statt einer Novellierung die völlig Abschaffung der UER-Verordnung beschlossen wurde. Denn nun wurde klar, dass mindestens ein Viertel der bisherigen UER-Projekte vom Bundesumweltamt nicht hätte genehmigt werden dürfen, weil sie auf falschen Angaben beruhten.

Zum Teil wussten die Betreiber der Anlagen nicht einmal, dass diese in Deutschland als Klimaschutzprojekte honoriert wurden

"Frontal" hatte zahlreiche Satellitenbilder, Dokumente und Drohnenaufnahmen zu UER-Klimaschutzprojekten in China ausgewertet und konnte Angaben vor Ort überprüfen. Demnach wurden viele bereits bestehende Anlagen in China als angeblich neu gebaute UER-Projekte ausgegeben und in Deutschland anerkannt. Zum Teil geschah das ohne Wissen und Genehmigung der chinesischen Eigentümer. Den Recherchen zufolge befinden sich fast alle UER-Projekte in China. Nach überschlägigen Berechnungen ist der Gesamtwert der auf diese Anlagen ausgestellten Zertifikate, den die Mineralölkonzerne durch Abstriche an ihren CO2-Minderungsverpflichtungen realisieren können, mit ungefähr 1,7 Milliarden Euro zu veranschlagen. Die Projekte unter Betrugsverdacht haben daran einen Anteil von insgesamt mehr als 600 Millionen Euro. In krassen Fällen wurden die Zertifikate sogar für einen verlassenen Hühnerstall oder ein Stück Land ausgestellt, auf dem sich gar nichts befand.

Seit 2020 hat das Umweltbundesamt insgesamt 65 solcher Klimaschutzprojekte in China registriert, die vor ihrer Anerkennung angeblich auch überprüft wurden. Mit dieser Überprüfung war es allerdings nicht weit her. So gehörten fünf davon einem Öl- und Gastechnologiekonzern, der gar nicht wusste, dass diese Anlagen in Deutschland als Beitrag zum Umweltschutz eingestuft wurden. Als ihm dies bekannt wurde, protestierte er deshalb In einem Schreiben an das Bundesumweltamt: "Wir vermuten, dass es eine hohe Wahrscheinlichkeit gibt, dass Dokumente gefälscht wurden, und wir bitten dringend, dass Ihre Behörde dazu ermittelt."

Die UER-Verordnung war vielleicht gut gemeint, aber von grenzenloser Naivität

Die von der schwarz-roten Bundesregierung 2018 erlassene UER-Verordnung gründete auf der sicher richtigen Überlegung, dass es für das Weltklima keine Rolle spielt, an welcher Stelle der Erde Treibhausgase eingespart werden. Im übrigen war sie aber von einer buchstäblich grenzenlosen Naivität, wenn sie davon ausging, dass es dem Bundesumweltamt oder einer anderen Stelle möglich wäre, die behauptete Treibhausgaseinsparung bei einem Projekt außerhalb der EU mit Sicherheit überprüfen zu können. Das zeigte zum Beispiel das Projekt unter dem Kürzel NNZF, für das ein deutsches Prüfinstitut bestätigte, dass es 2021 neu errichtet wurde und damit die Voraussetzungen erfüllte. Zuvor soll sich ein Prüfer tatsächlich an Ort und Stelle von der Richtigkeit der Angaben überzeugt haben. Dabei muss ihm aber die Infotafel am Eingang der Anlage entgangen sein, auf der in chinesischer Schrift stand: "Die Anlage nahm offiziell im Dezember 2015 den Betrieb und die Produktion auf." (Siehe Foto)

AfD versuchte, aus der Affäre Honig zu saugen

Die AfD nutzte die Affäre, um für den 14. Juni eine Aktuelle Stunde im Bundestag zu beantragen, in der sie dem Bundesumweltministerium und dem Bundesumweltamt vorwarf, zu spät auf die Aufdeckung des Betrugs reagiert zu haben. Deutsche Autofahrer hätten so beim Tanken Klimaprojekte im Ausland finanziert, die gar nicht existierten. Die Rechtsextremisten erweckten auf diese Weise den Eindruck, als ob ein Schaden von 4,5 Milliarden Euro –­ diese vermutlich überhöhte Schätzung übernahmen sie vom Verband der Biokraftstoff-Produzenten – zu Lasten der Autofahrer entstanden sei. Das stimmte so aber nicht, denn die Mineralölkonzerne erhöhten in diesem Fall ihre Gewinne nicht durch Aufschläge an der Tankstelle, sondern durch vom Staat gewährte Abstriche an ihren Verpflichtungen zur Treibhausgasreduzierung. Der Geschädigte ist deshalb der Staat, der für die gewährte Minderung von THG-Verpflichtungen keine entsprechende Gegenleistung erhält. Die Betrügereien schaden aber letztlich vor allem dem Klima bzw. der vom Klimawandel bedrohten Menschheit. Da die deutschen Autofahrer zweifellos ein Teil der Menschheit sind, dürfen sie sich insoweit doch zu den Geschädigten zählen – mit Ausnahme der AfD-Wähler natürlich, deren politischer Favorit den Klimawandel für eine Erfindung hält und deshalb im Bundestag schon 2019 den besonders irrwitzigen Antrag stellte, "die Aufgabe aller Klimaschutz- und Energiewendeziele" zu beschließen, und zwar "mit sofortiger Wirkung" (191015).

Anstatt zum Klimaschutz beizutragen, beschleunigte die UER-Verordnung den rapiden Verfall der THG-Quotenpreise

Die "Verordnung zur Anrechnung von Upstream-Emissionsminderungen auf die Treibhausgasquote" (UERV) war Anfang 2018 in Kraft getreten und diente der Umsetzung der im April 2015 erlassenen EU-Richtlinie zur Festlegung von Berechnungsverfahren und Berichterstattungspflichten über die Qualität von Otto- und Dieselkraftstoffen. Sie bietet den Mineralölkonzernen eine zusätzliche Möglichkeit, die gesetzlichen Klimaschutzziele im Verkehrssektor zu erfüllen. Bei den meisten Projekten geschieht dies durch Reduzierung der CO2-Emissionen bei der Ölförderung in China, indem dabei anfallende Begleitgase nicht mehr abgefackelt, sondern durch Umbau der Anlage anderweitig genutzt werden. Für die so eingesparten Emissionen erhalten die Unternehmen UER-Zertifikate, die sie einsetzen können, um die im Bundesimmissionsschutzgesetz (BImSchG) festgeschriebene Treibhausgasminderungs-Quote (THG-Quote) zu erfüllen. Für jedes Kilogramm CO2, das so eingespart wird, gibt es ein UER-Zertifikat.

Anfangs war so ein UER-Zertifikat mehr als 40 Cent wert – entsprechend der sogenannten Treibhausgasminderungs-Quote, die in § 37a Abs. 4 des Bundesimmissionsschutzgesetzes die Mineralölkonzerne verpflichtet, die Treibhausgasemissionen der von ihnen in Verkehr gebrachten fossilen Otto- und Dieselkraftstoffe um einen bestimmten Prozentsatz zu senken, der seinerseits dann mit den UER-Zertifikaten um bis zu 1,2 Prozentpunkte reduziert werden konnte. Als die UER-Verordnung in Kraft trat, lag die THG-Quote erst bei 6 Prozent. Sie konnte also mit den Zertifikaten auf 4,8 Prozent verringert werden. Seit 2022 steigt sie jedoch in jährlichen Schritten von damals 7 Prozent bis auf 25 Prozent ab 2030. In diesem Jahr beträgt sie 9,25 Prozent. Mit den UER-Zertifikaten lässt sich also ein immer geringer werdender Anteil der vorgeschriebenen Treibhausgasminderung vermeiden. Dies dürfte der Hauptgrund sein, weshalb der Preis für ein UER-Zertifikat, der Anfang 2023 noch 43 Cent pro Kilo bzw. 430 Euro pro Tonne CO2-Äquivalent betrug (siehe Grafik), bis April dieses Jahres auf 100 Euro gesunken ist. Aber auch die leichte Erfüllbarkeit der teilweise nur auf Betrug beruhenden Zertifikate hat wohl dazu beigetragen, denn seit dem Beschluss der Bundesregierung hat der Preis wieder um zehn Euro pro Tonne zugelegt. Da die Prämien aus den THG-Quoten von verschiedenen Faktoren abhängig sind, gerieten durch den rapiden Preisverfall beispielsweise auch Stadtwerke in Schwierigkeiten, die bei der Anschaffung von Elektrobussen mit einer dauerhaften Prämie aus der THG-Quote in der alten Höhe gerechnet hatten. Die Hersteller von Biokraftstoffen sahen sich nicht nur durch die fossile Schmutzkonkurrenz der Mineralölindustrie mit den UER-Zertifikaten bedrängt, sondern zusätzlich durch immer mehr billige Biokraftstoffe von zweifelhafter Herkunft (vermutlich aus "Frittenfett"), die von China nach Europa exportiert werden.

 

Links (intern)