Mai 2024

240502

ENERGIE-CHRONIK


EU-Verordnung zur "Verbesserung des Elektrizitätsmarktdesigns" tritt in Kraft

Die Energieminister der EU billigten am 21. Mai die Einigung über eine Reform des europäischen Strommarkts, auf die sie sich am 17. Oktober 2023 in Grundzügen verständigten (231006). Zuvor hatte am 11. April das Europäische Parlament den ausformulierten Änderungen zugestimmt. Die Verordnung zur "Verbesserung des Elektrizitätsmarktdesigns in der Union" kann damit nach der Veröffentlichung im EU-Amtsblatt als unmittelbar geltendes EU-Recht in Kraft treten.

Schwerpunkte sind PPA, Differenzverträge und Flexibilitätsbedarf

Wie bei EU-Rechtsakten üblich, besteht die 94 Seiten umfassende Verordnung zunächst aus 58 "Erwägungsgründen", die 39 Seiten beanspruchen. Neben umfangreichen Erweiterungen und Änderungen der seit 2019 geltenden Verordnung über den Elektrizitätsbinnenmarkt (2019/944) enthält sie auch Änderungen der 2009 erlassenen Verordnung zu den Aufgaben der Europäischen Regulierungsbehörde ACER (2019/942). Die umfangreichste und wichtigste Erweiterung ist die Einfügung eines neuen Kapitels III a über "Spezifische Investitionsanreize zur Erreichung der Dekarbonisierungsziele der Union". Unter anderem umfasst es die Förderung von Strombezugsverträgen durch PPA (Art. Art. 19a), die Einführung "zweiseitiger Differenzverträge" (Art. 19d) und die "Bewertung des Flexibilitätsbedarfs" (Art. 19e).

Teile der Änderungen wurden in Form einer Richtlinie verabschiedet

Außerdem wurden weitere Maßnahmen zur "Verbesserung des Elektrizitätsmarktdesigns" in der Form einer Richtlinie verabschiedet, mit der die Richtlinie zur Förderung der Nutzung von Energie aus erneuerbaren Quellen (2018/2001) sowie die Richtlinie zum Elektrizitätsbinnenmarkt (2019/944) entsprechend modifiziert werden. Diese Bestimmungen treten nicht unmittelbar in Kraft, sondern müssen als Rahmenvorschriften erst in nationales Recht umgesetzt werden.

Erklärtes Ziel der Reformen ist es, künftig derart krasse Preisanstiege für Strom zu verhindern, wie sie im zweiten Halbjahr 2021 und dann besonders als Folge des Ende Februar 2022 begonnenen russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine (220201) entstanden sind (220302). Zumindest sollen die sozialen Folgen besser abgefedert werden. Beides dürfte allerdings nur bedingt gelingen, da weiterhin nichts an der eigentlichen Achillesferse des bisherigen Strommarktdesigns geändert wird, die sich aus der börsentechnischen Kopplung der Strom-Großhandelspreise an die Gaspreise ergibt.

Differenzverträge ermöglichen Abschöpfung von Übergewinnen nur sehr bedingt

Das gilt auch für die neu eingeführten Differenzverträge in Artikel 19d der Verordnung, bei denen neben einer Einnahmengarantie zugleich eine Obergrenze für die Markteinnahmen der betreffenden Erzeugungsanlagen festgelegt wird. Der Staat garantiert so dem Investor einen bestimmten Marktpreis, den er bei Unterschreitung dieses Werts subventionieren muss, bei Überschreitung jedoch als Mehrerlös zur Umverteilung an die Stromverbraucher einbehalten darf. Solche "zweiseitigen Differenzverträge" könnten ab 2027 für Erneuerbare-Anlagen (Windkraft, Photovoltaik, Geothermie und Wasserkraft) sowie für Kernkraftwerke vereinbart werden und damit in Deutschland die bisherige Auschreibungspraxis bei der Förderung von Windkraft und Photovoltaik ablösen. Sie würden zugleich die Abschöpfung extremer Übergewinne erleichtern, die mit der vom 1.12.2022 bis zum 30.6.2023 eingeführten Regelung weitgehend mißglückt ist bzw.von vornherein nicht beabsichtigt war (230804, 230304). Nicht erfasst würde jedoch die große Mehrheit der Bestandsanlagen, mit denen die Energiekonzerne in der jüngsten Krise Milliarden an Zufallsgewinnen einstreichen konnten. Außerdem sollen solche Differenzverträge nur auf freiwilliger Basis zustande kommen.

ACER soll "Produkte zur Lastspitzenreduktion" prüfen

Nur ein Notbehelf wären ferner die "Produkte zur Lastspitzenreduktion" in Artikel 7a, mit denen bei einer "regionalen oder unionsweiten Strompreiskrise" der fatale Börsenmechanismus etwas abgebremst werden soll. Faktisch geht es um vertraglich vereinbarte und im Ernstfall aktivierte Lastabschaltungen durch Großverbraucher, mit denen "das Marktergebnis nach Börsenschluss korrigiert werden" soll, wie der BDEW kritisierte. Nach Ansicht des Branchenverbands würden dadurch die Spotmärkte und insbesondere der Intraday-Markt "beschädigt". Fürs erste wird es wohl bei einer Marktkonsultation bleiben, die von der Europäischen Regulierungsbehörde ACER bis Ende Juni 2025 durchgeführt wird. Weitere Berichtspflichten werden der Regulierungsbehörde in Artikel 19e zur "Bewertung des Flexibilitätsbedarfs" auferlegt.

Am Grundfehler des Börsenmechanismus wird weiterhin nicht gerüttelt

Schon im Jahre 2021 zeigte ein starker Anstieg der Gaspreise – der im Rückblick aber noch vergleichsweise moderat anmutet – , dass der EU-Strommarkt stark reformbedürftig ist. Das Hauptproblem war und ist bis heute die Ermittlung des Großhandelspreises für Strom mit einem Börsenmechanismus, der diesen faktisch vom Gaspreis abhängig macht, indem er die "Grenzkosten" zugrunde legt, die aus der Abarbeitung einer "Merit Order" bei den täglichen Auktionen an der Börse entstehen. Diese Grenzkosten entsprechen in aller Regel den Einsatzkosten der Gaskraftwerke, die am teuersten sind und deshalb bei der Abarbeitung der "Merit Order" als letzte zum Zuge kommen. Als Folge bekommen dann aber nicht nur deren Betreiber einen angemessenen Gewinn in der Höhe ihres Gebots. Vielmehr erhalten sämtliche Bieter eine Vergütung in der Höhe dieser Grenzkosten. Da ihre Stromerzeugungskosten niedriger sind, erzielen sie also mehr oder weniger große Übergewinne (siehe Hintergrund, Oktober 2021, und Hintergrund, Januar 2023).

Frankreich und andere EU-Staaten forderten deshalb schon im Herbst 2021 die Entkopplung dieses rein börsentechnisch begründeten Zusammenhangs zwischen Gas- und Strompreisen, der nicht der tatsächlichen Bedeutung von Erdgas für die Stromerzeugung entspricht (211003). Die EU-Kommission wagte indessen schon damals nicht, an dieses Grundproblem zu rühren, das in der seit 2010 bestehenden Marktkopplung (101103, 140206) latent angelegt war. Es hatte nur keine Rolle gespielt, solange die Megawattstunde am Spotmarkt im monatlichen Durchschnitt lediglich etwa 38 Euro kostete (siehe Phelix base). Erst ab der zweiten Jahreshälfte 2021 schoss dann mit dem Gaspreis auch der Börsen-Strompreis in historisch beispielloser Weise nach oben und war zum Jahresende ungefähr sechsmal so hoch wie im langjährigen Durchschnitt. Und auch das war nur ein Vorgeschmack auf den Preisanstieg, der im folgenden Jahr mit dem russischen Überfall auf die Ukraine einsetzte und den Börsen-Strompreis bis August 2022 verzwölffachte. Wenn heute üblicherweise davon die Rede ist, dass die Gas- und Strompreise sich wieder normalisiert hätten, darf das nicht davon ablenken, dass der mittlere Spotmarkt-Strompreis noch immer ungefähr doppelt so hoch ist wie vor dem Jahr 2021.

 

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