März 2022 |
220302 |
ENERGIE-CHRONIK |
Der Referenzpreis Dutch TTF Natural Gas Futures überschritt Anfang September 2021 die Schwelle von 50 Euro/MWh. In den folgenden sechs Monaten erreichte er drei sich jeweils übertreffende Rekordhöhen bis zu 227,20 Euro/MWh, um dann bis 21. März wieder auf 96,30 Euro abzusinken. |
Infolge des russischen Überfalls auf die Ukraine sind die Gaspreise an den Börsen Ende Februar ein weiteres Mal und noch heftiger explodiert als im Dezember. So lag der in der obigen Grafik dargestellte niederländische Referenzpreis TTF für Gas-Futures noch bei 71,72 Euro/MWh, als am 21. Februar der Kreml die beiden selbsternannten "Volksrepubliken" Lugansk und Donezk annektierte (220201). Nach dieser Aufkündigung des Minsker Abkommens schoss der Preis am folgenden Tag um 10 Euro in die Höhe. Als dann am 24. Februar die russische Invasion gegen die gesamte Ukraine begann, erreichte er mit 134,315 Euro einen ersten Höhepunkt. Schon am folgenden Tag sank er dann aber wieder auf 94,422. Das lag wohl an dem vorherrschenden Eindruck, dass Russland die eingegangenen Lieferverpflichtungen trotz der Sanktionen gegen Nord Stream 2 weiter erfüllen werde.
Diese relative Beruhigung hielt indessen nur drei Tage an: Ab 1. März brach an der Börse geradezu Panik aus. Unter anderem hatte das anscheinend mit Befürchtungen zu tun, dass durch die russischen Bombardements auch die Gastransite durch die Ukraine unterbrochen werden könnten. Am 7. März erreichte die Panik mit 227,20 Euro für TTF ihren Höhepunkt. Am Spotmarkt wurde die Megawattstunde zeitweise für rund 335 Euro gehandelt.
Parallel dazu mehrten sich auf politischer Ebene die Stimmen, die dem Schrecken ohne Ende ein Ende mit Schrecken vorziehen wollten. So widersprach der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen am 4. März nach einer geheimen Sitzung des Auswärtigen Ausschusses der von der Bundesregierung verfolgten Linie, indem er ein sofortiges Import-Embargo für Gas und Öl aus Russland forderte. An einer solchen Zuspitzung konnte selbst der Kreml nicht interessiert sein, weil er damit seine wichtigste Einnahmequelle verlieren würde. Putin schickte deshalb am 7. März den für Energiefragen zuständigen russischen Vizepremier Alexander Nowak vor die Kamera des Staatsfernsehens. Dieser gab den EU-Politikern die Schuld an der Überhitzung der Gaspreise und vertrat die Ansicht, dass der Kreml eigentlich zu einer "spiegelgerechten" Vergeltungsmaßnahme für die Nichtgenehmigung von Nord Stream 2 berechtigt sei, indem er die Gaslieferungen über Nord Stream 1 stoppt. "Aber noch treffen wir diese Entscheidung nicht", fügte er hinzu. "Niemand gewinnt dabei."
Diese doppelbödige Botschaft konnte als Drohung wie als Entwarnung verstanden werden. In der aktuellen Situation trug sie offenbar dazu bei, dass der Gaspreis am nächsten Tag wieder sank. Und während nun auch rund hundert Abgeordnete aus allen Fraktionen des EU-Parlaments ein Embargo für russische Gas- und Öleinfuhren verlangten, sank er kontinuierlich weiter, bis er am 21. März mit 96,30 Euro/MWh wieder zweistellig war.
Der Anstieg der Gaspreise begann bereits im Frühjahr 2021 mit vergleichsweise bescheidenen, aber kontinuierlichen Steigerungen, die Anfang September die Schwelle von 50 Euro/MWh überschritten. Die Ursache war – zumindest teilweise – ein erhöhter Bedarf, den die Gazprom trotz der höheren Preise nicht mit zusätzlichen Lieferungen decken wollte. Stattdessen unterließ sie sogar die saisonübliche Wiederauffüllung ihrer großen Gasspeicher in Deutschland (210804). Hinzu kamen die Auseinandersetzungen um die Pipeline Nord Stream 2 und Unsicherheiten wegen der durch Polen führenden Jamal-Pipeline, die der belorussische Diktator Lukaschenko zu sperren drohte (wobei allerdings schnell klar wurde, dass ihm dies nur mit Erlaubnis aus Moskau möglich wäre). Auch der bereits andauernde russische Truppenaufmarsch an der Grenze zur Ukraine warf seine Schatten voraus.
Als dann am 5. Oktober mit 116,02 Euro ein erstes Rekordhoch erreicht wurde, düfte das mit der noch ungeklärten Betriebserlaubnis für die inzwischen technisch fertiggestellt Pipeline Nord Stream 2 zu tun gehabt haben (210902). Der noch deutlich höhere Rekord von 180,267 Euro am 21. Dezember war dagegen auf die Jamal-Pipeline zurückzuführen, auf der Russland drei Tage lang die Gasflüsse verringert und schließlich sogar ganz gestoppt hatte. Polen wurde deshalb tagelang von Westen her versorgt. Angeblich hatte dieser aufwendige "Reverse-Betrieb" keine politischen Ursachen. Eine einleuchtende Erklärung war aber weder von den beteiligten Unternehmen noch von involvierten Regierungen zu hören.