März 2020

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ENERGIE-CHRONIK




Der steile Absturz des Ölpreises begann am 6. März, als Russland und Saudi-Arabien ihre Förderung ausweiteten. Sie unternehmen damit erneut den Versuch, das "Fracking" unrentabel zu machen, dem die USA seit 2014 ihre weltweite Spitzenstellung bei der Ölförderung verdanken.

Ölpreis sank binnen 15 Tagen um mehr als die Hälfte

Die Preise für Rohöl sind im März rapide gesunken. Zu Jahresbeginn hatte das Barrel Brent-Öl bis zu 69 US-Dollar gekostet. Auch im Februar lag der Preis noch zwischen 50 und knapp 60 Dollar. Anfang März folgte dann ein steiler, fast linearer Absturz auf 22,75 US-Dollar, der das vorherige Preisniveau binnen 15 Tagen mehr als halbierte. So billig war Rohöl seit 18 Jahren nicht mehr.

Auslöser war der erneut aufgeflammte Kampf um Marktanteile zwischen den führenden Förderstaaten Saudi-Arabien, USA und Russland, der schon vor vier Jahren einen ähnlichen Preisverfall herbeiführte (160103). Dieses Mal wurde die Talfahrt allerdings noch durch die zunehmende Furcht vor den weltweiten Folgen der Corona-Epidemie beschleunigt. Die Notmaßnahmen der Europäischen Zentralbank und anderer führender Notenbanken zur Bekämpfung der wirtschaftlichen Folgen der Epidemie verhinderten deshalb ab 19. März einen noch weiteren Absturz des Ölpreises und sorgten für seine vorläufige Stabilisierung auf niedrigem Niveau.

Trump schimpfte über Preisanstieg, den er selber angestoßen hatte

Im Verlauf des Jahres 2018 hatte der Brent-Preis, der im Januar 2016 bis auf 29 Dollar pro Barrel gefallen war und noch 2017 zeitweilig bis auf 40 Dollar absank, ein neues Vier-Jahres-Hoch erreicht und war bis auf 80 Dollar gestiegen. Das war selbst dem US-Präsidenten Trump zu viel, der im Mai 2018 mit neuen US-Sanktionen gegen das Ölförderland Iran die Angebotsrisiken verschärft und so den Preisanstieg angestoßen hatte. Den Hintergrund bildete dabei, das Trump bei einem zu hohen Ölpreis um seine noch immer vorhandene Popularität bei einem großen Teil der US-Wählerschaft bangen musste. Zudem waren die USA nicht in der Lage, ihre voll ausgelasteten "Fracking"-Kapazitäten noch mehr auszuweiten, um selber für einen Preisrückgang zu sorgen. Zunächst schienen Russland und Saudi-Arabien diesen Part zu übernehmen. Jedenfalls ging der Brent-Preis bis August bis auf 70 Euro zurück. Als er dann aber wieder anzog, lehnten die Opec-Staaten und Russland bei einem Treffen am 22./23. September in Wien weitere Erhöhungen der Förderung ab. Wesentlich dazu beigetragen hat wohl auch Trump, der kurz vor der Wiener Konferenz eine seiner berüchtigten Twitter-Botschaften mit heftigen Schuldzuweisungen an die Opec losließ: "Wir schützen die Länder des Nahen Ostens, ohne uns wären sie nicht sehr lange sicher. Und trotzdem machen sie damit weiter, die Ölpreise höher und höher zu treiben. Das werden wir nicht vergessen! Das Opec-Kartell muss die Preise jetzt senken!"

Vor dem Preisverfall kostete das Barrel durchschnittlich 64 Dollar

Die Opec ist freilich auch nicht mehr das, was sie mal war. Nach dem Wiener Beschluss zog der Brent-Preis zwar bis auf 86 Dollar an, ging dann aber im Oktober und November bis auf unter 60 Dollar zurück. Trump begleitete diesen Sinkflug am 12. November 2018 mit einem weiteren Preissenkungs-Appell via Twitter: "Hoffentlich kürzen Saudi-Arabien und die Opec nicht die Ölförderung. Der Ölpreis sollte wegen des Angebots viel niedriger sein." Anscheinend wollte er den Eindruck erwecken, die Talfahrt sei auf seine Interventionen zurückzuführen. Sein tatsächlicher Einfluß auf das Geschehen blieb indessen gering. Vielmehr war es die Uneinigkeit innerhalb der Opec, die eine konsequente Umsetzung des in Wien gefassten Beschlusses verhinderte. Möglicherweise gab diese Erfolglosigkeit auch den letzten Anstoß für die am 3. Dezember erfolgte Ankündigung des Emirats Quatar, das Bündnis der erdölexportierenden Länder mit Beginn des neuen Jahres zu verlassen. Daraufhin sank der Preis bis auf 50 Dollar. Erst ab Januar 2019 fassten die Förderländer wieder besser Tritt und konnten den Preis – bei einer Schwankungsbreite bis zu zwanzig Dollar – dreizehn Monate lang auf einem mittleren Niveau von etwa 64 Dollar halten.

Russland und Saudi-Arabien weiteten Förderung aus, um US-Fracking unrentabel zu machen

Anfang März 2019 ergab sich eine neue Situation, weil der Ölpreis nun aufgrund der Corona-Krise und eines dadurch verursachten Rückgangs der Nachfrage – vor allem aus China – zu schwächeln begann. Die Opec-Länder sprachen sich deshalb am 5. März für eine Kürzung der Förderung aus, um den Preis zu stützen. Für die Wirksamkeit der geplanten Förderbeschränkungen benötigten sie jedoch die Unterstützung jener 14 Staaten, die vor drei Jahren ein loses Bündnis mit der Opec eingegangen waren, ohne ihr beizutreten (170512). Vor allem galt dies für Russland, das auf der Weltrangliste der Ölförderer den zweiten Platz nach den USA besetzt und noch vor Saudi-Arabien rangiert. Im Unterschied zur Führungsmacht der Opec war Russland aber nicht bereit, die geplante Förderbeschränkung mitzutragen. Darauf änderte auch Saudi-Arabien seine Haltung: Gemeinsam erhöhten nun Russen und Araber die Förderung, um über einen absichtlich herbeigeführten Preisverfall die führende Rolle der USA auf dem Ölmarkt zu erschüttern.

Die als "Fracking" bezeichnete Technik, mit der es den USA seit 2014 gelang, noch vor Russland zum weltgrößten Ölförderer aufzusteigen, setzt nämlich eine bestimmte Höhe des Ölpreises voraus. Die Grenze der Rentabilität ist im Einzelfall unterschiedlich, wobei auch zwischen Investitions- und laufenden Förderkosten unterschieden werden muss. Sie ist aber in jedem Fall höher als bei der herkömmlichen Förderung, wo das Öl ohne aufwendige technische Nachhilfe aus der Erde kommt. Deshalb bleibt für Russland und Saudi-Arabien die Förderung bei einem sinkenden Ölpreis auch dann noch rentabel, wenn die US-Fracker bereits in die roten Zahlen geraten. Allerdings müssen die Angreifer ihre Gewinneinbußen zumindest zeitweilig verschmerzen können. Saudi-Arabien soll auf Dauer einen Ölpreis von 70 bis 80 Dollar benötigen, um seine Staatsausgaben zu decken. Russland scheint mit 40 bis 50 Dollar in einer besseren Position zu sein. Wieweit es gelingt, mit einem absichtlich herbeigeführten Preisverfall die weltweiten Marktanteile nachhaltig zu verschieben, hängt deshalb auch stark vom langen Atem der Akteure ab. Der Ende März erreichte Stand von etwas über zwanzig Dollar pro Barrel Brent wäre sicher für alle Beteiligen nicht auf Dauer durchzuhalten.