Januar 2020 |
200104 |
ENERGIE-CHRONIK |
Die britische Gas- und Strommarktaufsicht Ofgem hat den beiden Stromerzeugern RWE und Oersted eine Entschädigung von insgesamt neun Millionen Pfund (ca. 10,6 Millionen Euro) abverlangt, weil ihre Kraftwerke am 9. August 2019 infolge eines Blitzschlags ausfielen und nicht sofort wieder ans Netz gingen. Dieser plötzliche Erzeugungsverlust von bis zu 1.691 Megawatt hatte die Regelkapazitäten überfordert, die dem Systemverantwortlichen National Grid ESO zur Verfügung standen. Als Folge war die Frequenz im britischen Übertragungsnetz auf 48,8 Hertz abgesunken, was die automatische Abschaltung eines Teils der Verteilnetze bewirkte, um einen landesweiten Zusammenbruch des Übertragungsnetzes zu verhindern (190801). Wie Ofgem am 3. Januar mitteilte, haben beide Stromerzeuger "sich bereit erklärt, eine freiwillige Zahlung von jeweils 4,5 Millionen Euro in den Entschädigungsfonds von Ofgem zu leisten". Im Klartext heißt das, dass beide Unternehmen die abverlangte Summe akzeptiert haben, ohne dass es zu rechtlichen Auseinandersetzungen kommt.
Außerdem zahlt der Verteilnetzbetreiber UK Power Networks – ebenfalls "freiwillig" – 1,5 Millionen Pfund, weil er nach der automatischen Abschaltung von rund 300.000 Kunden in London und im Südosten Englands von sich aus die Verbindung zum Übertragungsnetz wieder hergestellt hatte, ohne dazu von National Grid ESO aufgefordert worden zu sein. Die Aufsichtsbehörde sah darin einen Regelverstoß, der die Wiederherstellung des Systems zwar nicht gefährdet habe, aber möglicherweise habe gefährden können.
Die Untersuchung erstreckte sich noch auf vier weitere Verteilnetzbetreiber, den Transportnetzbetreiber National Grid Electricity Transmission (NGET) sowie dessen Tochter National Grid Electricity Systems Operator (ESO). In diesen Fällen hatte die Aufsichtsbehörde keine Beanstandungen. Insbesondere monierte sie nicht, dass die systemverantwortliche ESO zu wenig Regelkapazitäten besaß, um den Erzeugungsverlust ohne flächendeckende Stromabschaltungen auszugleichen. "Wir haben keinen direkten Kausalzusammenhang festgestellt, der darauf schließen ließe, dass etwaige Versäumnisse der ESO bei der Erfüllung ihrer Anforderungen für den Stromausfall verantwortlich waren", heisst es in dem Bericht. Nach den geltenden Regeln für die Versorgungssicherheit sei die ESO "nicht verpflichtet, das System gegen den nahezu gleichzeitigen Ausfall der beiden großen Stromerzeuger zu sichern, die am 9. August ihre Leistung verloren haben".
Dem formalen Freispruch der ESO von dem Vorwurf, eine Pflichtverletzung begangen zu haben, folgt dann allerdings die Feststellung, dass die geltenden Regeln überprüft werden müssten: "Wir haben jedoch eine Reihe von Problemen mit den Prozessen und Verfahren festgestellt, die ESO zur Steuerung des Systembetriebs einsetzt und die angegangen werden müssen, um die Risiken künftiger Ereignise zu verringern." Dabei gehe es um die Art, wie die ESO das durch den Security and Quality of Supply Standard (SQSS) auferlegte Gebot der Versorgungssicherheit auslege und anwende. Vor allem müsse die ESO eine ausreichende Systemträgheit sicherstellen, um die Frequenzschwankungen gemäß den SQSS-Verpflichtungen zu bewältigen und einen Dominoeffekt durch die Abschaltung nachgelagerter Stromerzeuger zu vermeiden.
Die Untersuchung ergab nämlich, dass nicht nur das GuD-Kraftwerk Little Barford von RWE und der Offshore-Windpark Hornsea 1 von Oersted vom Netz gegangen waren, wodurch binnen einer Sekunde die Einspeisung einer Leistung von mehr als 1.130 Megawatt entfiel. Außerdem kam es zum Ausfall von dezentralen Stromerzeugern im Verteilnetz, deren Schutzmechanismen auf den plötzlichen Frequenzabfall mit Abschaltung reagierten. Insgesamt entstand so nach Ofgem-Angaben ein kumulierter Erzeugungsverlust von mindestens 1.990 MW. Die ESO verfügte demgegenüber nur über rund 1.000 MW an automatischer Regelleistung, um das Defizit ebenso schnell auszugleichen wie es entstand. Ersatzweise trat deshalb ein weiterer Automatismus in Kraft, der die Teilabschaltung von Verteilnetzen mit allen daran angeschlossenen Verbrauchern bewirkte. Andernfalls wäre der Zusammenbruch des gesamten britischen Übertragungsnetzes mit einem landesweiten Stromausfall nicht mehr zu verhindern gewesen.
Die von Ofgem betonte Notwendigkeit einer ausreichenden Systemträgheit kommt nicht von ungefähr, denn deren Fehlen hat letztendlich die Stromausfälle am 9. August verursacht. National Grid hat in den vergangenen Jahren die klassische Primärregelung, die über die rotierende Masse der Generatoren von Großkraftwerken erfolgt, durch ein neues Verfahren namens "Enhanced Frequency Response" ersetzt, das sich im wesentlichen auf Batteriespeicher stützt. Es reagiert bereits in Sekundenbruchteilen auf Frequenzänderungen und ermöglicht es so, dichter an der Normfrequenz von 50 Hertz zu bleiben, die im britischen Übertragungssystem höchstens um ein Prozent nach oben oder unten schwanken darf. Der erforderliche Aufwand an Regelenergie wird dadurch im Normalfall geringer und auch kostengünstiger.
Die Kehrseite dieses "verbesserten" Verfahrens zur Frequenzhaltung ist jedoch, dass ein plötzlicher Erzeugungsverlust schon binnen einer Sekunde voll auf die Netzfrequenz durchschlagen und diese unter die Abschaltgrenze drücken kann, wenn nicht genauso schnell genügend positive Regelenergie zur Verfügung steht. Bei der klassischen Primärregelung verläuft dieser Prozess viel träger, weil die in den rotierenden Massen gespeicherte kinetische Energie dafür sorgt, dass die Drehzahl der Generatoren und damit die Frequenz weitaus langsamer sinkt: Im kontinentaleuropäischen Verbundsystem haben die an der Primärregelung beteiligten Kraftwerke bis zu dreißig Sekunden Zeit, um einer Änderung des Leistungsreglers in vollem Umfang zu folgen, indem sie die Stromabgabe ins Netz um zwei Prozent ihrer Nennwirkleistung erhöhen oder verringern. Hinzu werden hier plötzliche Einspeisungsverluste von einer vielfach größeren Anzahl von Kraftwerken aufgefangen als in Großbritannien.
Die ESO ist sich dieses wunden Punktes inzwischen bewusster geworden. Am 2. Dezember kündigte sie ein neues und schneller wirkendes Verfahren zur Frequenzhaltung an, das im neuen Jahr eingeführt werde. Kern der Neuerung sei die "Dynamische Eindämmung" (dynamic containment) zur Weiterentwicklung der "Enhanced Frequency Response". Gemeint ist damit ein neues Beschaffungsverfahren, um mehr Regelenergie für jene kritische Phase zu gewinnen, in der größere Abweichungen von der Normalfrequenz binnen einer Sekunde bzw. in Echtzeit ausgeglichen werden müssen. Diese besonders schnell einsetzbare Regelenergie wird als LFS (Low Frequency Static) bezeichnet. Sie wird nur aktiviert, falls der normale Regelmechanismus nicht ausreicht und die Netzfrequenz bis auf 49,6 Hertz absinkt. Dann muss sie binnen einer Sekunde voll zur Verfügung stehen und bis zu 30 Minuten lang vorgehalten werden. Die Mindestgröße des Angebots beträgt 1 MW. Faktisch handelt es sich um ein spezielles Ausschreibungs-Segment für Batteriespeicher. Die ESO hat dazu gemeinsam mit der EEX-Tochter Epex Spot eine neue Auktionsplattform gegründet. Die erste dieser wöchentlichen Auktionen fand am 29. November statt.