Dezember 2019

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ENERGIE-CHRONIK


 


Das Gasmotorenkraftwerk kurz vor der Fertiggstellung: Im Vordergrund ist der 60 Meter hohe Wärmespeicher zu sehen. Rechts davon besorgt die Pumpenhalle den Transport der Wärme zwischen Gasmotoren, Speicher und Fernwärmenetz. In den folgenden vier Gebäuden mit 72 Meter hohen Schornsteinen sind jeweils fünf Kraftwerks-Blöcke untergebracht. Der Schornstein hinter dem Wärmespeicher gehört nicht zur Anlage, sondern zum alten Steinkohle-Heizkraftwerk, das bereits im Frühjahr stillgelegt wurde.
Foto: Stadtwerke Kiel

Kieler Gasmotorenkraftwerk setzt neue Maßstäbe für Kraft-Wärme-Kopplung

Das neue Gasmotorenkraftwerk der Stadtwerke Kiel hat Anfang Dezember den Probebetrieb erfolgreich abgeschlossen. Am 6. Januar findet die offizielle Einweihung statt. Mit einer elektrischen Leistung bis zu 190 MW bei einer gleichzeitigen Wärmeleistung von 192 MW setzt die Anlage neue Maßstäbe in einem Bereich der Kraft-Wärme-Kopplung, der bisher kohlebefeuerten Dampfkraftwerken oder Gasturbinenkraftwerken mit nachgeschalteter Dampfturbine (GuD) vorbehalten war.

Besonders hohe Flexibilität durch modularen Aufbau und Zusatzeinrichtungen

Gasmotorenkraftwerke funktionieren wie die bekannten Blockheizkraftwerke, bei denen Verbrennungsmotoren – in der Regel sind das ebenfalls Gasmotoren – einen Generator antreiben und neben Strom nutzbare Abwärme erzeugen. Sie unterscheiden sich aber durch die besonders hohe Flexibilität, die sich aus der Zusammenfassung mehrerer solcher Anlagen sowie durch Zusatzeinrichtungen ergibt. Zum Beispiel besteht das Kieler Kraftwerk aus zwanzig Blöcken mit einer elektrischen Leistung von jeweils 9,5 MW bzw. einer Wärmeleistung von 9,5 MW. Durch diesen modularen Aufbau verfügt die Gesamtanlage von vornherein über eine enorme Flexibilität für den strom- oder wärmegeführten Einsatz, die mit GuD-Heizkraftwerken derselben Leistungsklasse nicht zu erreichen ist.

Brennstoff Gas wird zu neunzig Prozent ausgenutzt

Die Anpassungsfähigkeit an wechselnde Markt- und Netzbedingungen wird noch gesteigert durch einen 60 Meter hohen Behälter mit 30.000 Kubikmeter Wasser, der mehr als 1.500 Megawattstunden Wärme speichern kann. Zusätzlich kann ein Elektrodenkessel mit einer Leistung von 35 MW je nach Börsenpreis dazu verwendet werden, Billigstrom in Fernwärme zu verwandeln. Mit einem elektrischen und thermischen Wirkungsgrad von jeweils 45 Prozent wird der Brennstoff Gas zu neunzig Prozent ausgenutzt.

Hochfahren verkürzt sich von vier Stunden auf weniger als fünf Minuten

Das "Küstenkraftwerk", wie die Namensgebung lautet, löst das alte "Gemeinschaftskraftwerk Kiel" ab, das die Stadtwerke zusammen mit E.ON bzw. Uniper betrieben haben und bereits in diesem Frühjahr stillgelegt wurde. Dieses Steinkohlekraftwerk verfügte über eine elektrische Netto-Leistung von 323 MW und eine Wärmeauskopplung bis zu 295 MW. Der elektrische Wirkungsgrad lag zuletzt bei knapp 40 Prozent, die gesamte Brennstoffausnutzung erreichte aber nur etwas über 50 Prozent. Für das Hochfahren bis zur vollen Leistung brauchte dieses Kraftwerk mindestens vier Stunden. Bei dem neuen Gasmotorenkraftwerk sind es weniger als fünf Minuten.

Zerwürfnis zwischen Aktionären der Stadtwerke Kiel konnte beigelegt werden

Der Neubau hat rund 290 Millionen Euro gekostet und ist das größte Investitionsprojekt in der Geschichte der Stadtwerke. "Es hat uns alle gefordert und viel Kraft, Zeit und Energie gekostet", bekannte der Stadtwerke-Vorstandsvorsitzende Frank Meier. Er spielte damit auf das zeitweilige Zerwürfnis zwischen der Stadt Kiel und der Mannheimer MVV Energie an, die seit 2004 die Mehrheit an den Kieler Stadtwerken besitzt (040505). Der Mannheimer Kommunalkonzern hielt das seit 2013 geplante Projekt für zu teuer. Anstatt sich finanziell zu beteiligen, bot er der Stadt Kiel die Übernahme seiner Mehrheitsbeteiligung für 197 Millionen Euro an. Im Mai 2015 kam es aber doch noch zu einer Einigung (150506). Zur Neustrukturierung der gesamten Unternehmensfinanzierung trug vor allem ein Kredit der Europäischen Investitionsbank (EIB) der EU bei. Im November 2016 beschloss daraufhin der Aufsichtsrat der Stadtwerke die Inangriffnahme des Kraftwerks. Eigentlich sollte es schon im Herbst 2018 Strom und Wärme erzeugen. Die Fertigstellung hat sich aber um gut ein Jahr verzögert.

Es gibt eine ganze Reihe weiterer Projekte

Das Kieler "Küstenkraftwerk" ist in Deutschland nicht die erste, aber sicher die größte Anlage dieser Art. Zum Beispiel nahm 2018 die Nürnberger N-Ergie in ihrem Heizkraftwerk Klingenhof zwei Gasmotoren in Betrieb, die jeweils eine elektrische Leistung von 4,4 MW und eine Wärmeleistung von 4,8 MW erbringen. In ähnlicher Weise hat die Energie Baden-Württemberg ihr Heizkraftwerk Stuttgart-Gaisburg mit drei Gasmotoren modernisiert, die seit Februar 2019 jeweils 10 MW Strom und Wärme erzeugen. Inzwischen sind etliche weitere Gasmotorenkraftwerke im Bau oder in der Planung, wobei sich im unteren Leistungsbereich ein fließender Übergang zu den herkömmlichen Blockheizkraftwerken ergibt. Am größten ist das Projekt "Ingelheimer Aue", mit dessen Errichtung die Kraftwerke Mainz-Wiesbaden AG (KMW) 2017 begonnen haben und das eigentlich schon 2018 fertiggestellt sein sollte. Hier werden zehn Gasmotoren eine elektrische und thermische Leistung von jeweils insgesamt rund 100 MW erzeugen. Weitere Projekte gibt es an den Standorten Chemnitz (80 MW), Cottbus (50 MW), Dresden (90 MW), Frankfurt/Oder (50 MW), Jena (60 MW) und Heidelberg (20 MW).

 

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