Januar 2019 |
190104 |
ENERGIE-CHRONIK |
Mit dem üblichen Gelaber über die Unumgänglichkeit einer "Preisanpassung" verlangte die BEV von der hier angeschriebenen Kundin eine absolut unübliche Erhöhung der monatlichen Grundgebühr um mehr als das Dreifache und eine Erhöhung des Arbeitspreises um 15 Prozent. |
Die Bundesnetzagentur hat am 16. Januar ein Aufsichtsverfahren gegen den Strom- und Gasanbieter Bayerische Energieversorgungsgesellschaft mbH (BEV) eröffnet, der seine finanziellen Probleme mit einem dreisten Griff in die Taschen seiner Kunden lösen wollte. Offiziell begründete die Beschlusskammer 6 die Einleitung des Verfahrens gemäß § 65 des Energiewirtschaftsgesetzes (EnWG) mit "intransparenten Zwischenabrechnungen und Nichteinhaltung der Anforderungen nach § 40 EnWG an Rechnungen für Energielieferungen". Wenige Tage später stellte die BEV selber Antrag auf Insolvenz. Das Amtsgericht München ordnete daraufhin am 29. Januar die vorläufige Insolvenzverwaltung "zur Sicherung des Schuldnervermögens vor nachteiligen Veränderungen" an.
Bei den Verbraucherzentralen hatten sich massenhaft BEV-Kunden beschwert, denen das Unternehmen noch innerhalb der Preisgarantie drastische Preiserhöhungen angekündigt hatte. Zum Beispiel sollte einem Verbraucher der monatliche Grundpreis für Strom von 6,23 Euro auf 50,16 Euro erhöht werden. Bei einem anderen hätte sich der Grundpreis von vier Euro verzehnfacht. Als Grund wurden "dramatisch steigende Kosten" für die Strombeschaffung und CO2-Emissionszertifikate genannt. Zugleich legte das Unternehmen den Kunden eine "einvernehmliche Preisanpassung" nahe, die noch vor Ablauf der zugesicherten Preisgarantie bereits ab 1. Februar gelten sollte, falls sie der "vorzeitigen freiwilligen Erhöhung" nicht ausdrücklich widersprechen sollten.
Anscheinend spekulierte BEV darauf, dass die Kunden entweder die enormen Preiserhöhungen akzeptieren oder kündigen würden. Im zweiten Fall hätte das Unternehmen ebenfalls einen finanziellen Vorteil, da dann vielfach Bonus-Zahlungen entfallen, mit denen die Kunden für den Abschluss eines einjährigen Liefervertrags geködert wurden. Zur Geschäftsstrategie gehörte anscheinend auch, für Beschwerden der Kunden nur schwer erreichbar zu sein oder nach einer Kündigung die Auszahlung von Restguthaben zu verzögern.
Bei den anfangs versandten Schreiben wurden die Kunden kurzerhand mit einer enormen "Preisanpassung" konfrontiert, wobei durch eine verunklarende Formulierung der Eindruck erweckt wurde, als ob ihnen nur die Wahl bleibe, dies als Änderung des Liefervertrags zu akzeptieren oder von der Möglichkeit der fristlosen Kündigung Gebrauch zu machen: "Die vertragliche Grundlage zur Anpassung ihrer Tarifbestandteile finden Sie in unseren AGB unter dem Punkt Preisänderungen. Aufgrund der veränderten Vertragsbedingungen kann dieser Vertrag zum Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Änderung ohne Einhaltung der Kündigungsfrist mindestens in Textform gekündigt werden." Erst wenn Kunden sich beschwerten und auf die Preisgarantie pochen, bekamen sie ihren alten Preis bestätigt.
Die BEV lockte ihre Kunden mit günstigen Preisen und hohen Boni für Strom- und Gasbelieferung, wodurch sie bei den Vergleichsrechnern Check24 und Verivox häufig an erster Stelle rangierte. Laut ihrem Jahresbericht 2016 verfolgte sie das Ziel, "der führende unabhängige Stromanbieter in Deutschland zu sein und in den nächsten Jahren weiter überproportional zum Wettbewerb zu wachsen". Durch ihre Strategie, den Stromeinkauf ausschließlich über den Spotmarkt auszuführen, habe sie von den fallenden Strompreisen profitieren können. Dadurch sei sie freilich "Preisänderungsrisiken ausgesetzt" und stark von der weiteren Entwicklung der Stromerzeugung in Deutschland abhängig. Außerdem ergäben sich Risiken für den Kundenbestand dadurch, "dass Kunden nach der Mindest-Vertragslaufzeit wieder kündigen, um die Bonus-Angebote eine Mitbewerbers wahrzunehmen". Dieses Risiko sei aber Bestandteil des Geschäftsmodells und werde durch Einplanung einer bestimmten Kündigungsquote berücksichtigt.
Offenbar hat der Wiederanstieg der Strombeschaffungskosten an der Börse das beschriebene Geschäftsmodell vermasselt: Im zweiten Halbjahr 2018 lagen diese im Monatsmittel bei 53 Euro, während sie im zweiten Halbjahr 2016 nur 32 Euro betragen hatten (siehe Phelix). Die Bonusverpflichtungen und sonstiger Werbeaufwand überforderten damit das Unternehmen. Kein Wunder, dass es nicht nur die Preise in illegaler Weise erhöhte, sondern ersatzweise sogar Kunden mit günstigeren Verträgen loszuwerden versuchte. Als Ausdruck akuter Finanznöte ist auch zu werten, dass der Anbieter seit Dezember nicht mehr bei Verivox und Check24 gelistet wurde, obwohl er dort an vorderster Stelle lag und von beiden Portalen gute Bewertungen erhielt. Dieser Rückzug erfolgte auf eigenen Wunsch. Offensichtlich konnte er es sich nicht mehr leisten, mit einem durch Boni aufgehübschten Strompreis auf die vordersten Plätze zu gelangen und dann auch noch die hohen Provisionen an die Vergleichsportale zu zahlen, die bei der Vermittlung von Neukunden fällig wurden.
Die BEV ist seit 2014 als bundesweiter Anbieter von Strom und Gas für Privat- und Gewerbekunden im Standardlastprofil tätig. Der Schwerpunkt liegt auf Haushaltskunden. Seit dem Geschäftsjahr 2016 besteht ein Ergebnisabführungsvertrag mit der damals gegründeten Tochtergesellschaft KubeOne GmbH mit Sitz in Ortenberg als sogenannter Organgesellschaft. Diese verfügt lediglich über ein Stammkapital von 25.000 Euro. Laut Jahresabschluss 2016 hatte sie keine Mitarbeiter, aber "Forderungen gegenüber verbundenen Unternehmen" in Höhe von über 22 Millionen Euro. Die BEV selber ist seit 2016 eine Tochter der Genie Holding AG, Tägerwilen (Schweiz). Als Mitglieder des Verwaltungsrats dieser Holding nennt das Handelsregister Thurgau die deutschen Staatsangehörigen Boris Claus Wehlauer und Stefan Rolf Nägele. Wehlauer war bis 2012 Vorstand der "ESD Energie-Service Deutschland AG" (080909). Nägele ist als Anwalt tätig.