Juli 2018

180711

ENERGIE-CHRONIK


Brüssel darf hohe Subventionen für neue Kernkraftwerke genehmigen

Das Gericht der Europäischen Union in Luxemburg hat am 12. Juli die Klage Österreichs gegen die Genehmigung hoher Subventionen für den Bau des britischen Kernkraftwerks Hinkley Point C in allen Punkten zurückgewiesen. Zwei Jahre nach dem Volksentscheid über den Austritt Großbritanniens aus der EU scheint diese Entscheidung nur noch von historischer Bedeutung zu sein, was vielleicht erklärt, weshalb sie in den Medien kaum zur Kenntnis genommen wurde. Tatsächlich bedeutet sie aber für die EU-Kommission einen Freibrief zur Absegnung ähnlicher Subventionen für neue Kernkraftwerke in Tschechien, Frankreich, Ungarn, Polen, Rumänien oder der Slowakei. Nicht zufällig waren es diese EU-Staaten, die in dem Verfahren als "Streithelfer" für Großbritannien auftraten. Dagegen wurde Österreich nur von Luxemburg unterstützt. Die schwarz-rote Bundesregierung in Berlin hatte 2015 einen Beitritt zu der Klage von vornherein mit der Begründung abgelehnt, dass sie keine hinreichenden Erfolgsaussichten sehe. Der wirkliche Grund dürfte gewesen sein, dass sie sich in dieser Frage weder mit Großbritannien noch mit Frankreich anlegen wollte (150705).

Klage von Stadtwerken und Öko-Stromanbietern wurde schon 2016 zurückgewiesen

Zuvor hatte das Gericht im September 2016 die Klage von zehn Stadtwerken und Ökostromanbietern zurückgewiesen, die in den Subventionen für das britische Kernkraftwerke eine unzulässige Betriebsbeihilfe sahen. Die zehn klagenden Unternehmen befürchteten Einbußen und Wettbewerbsnachteile, da Hinkley Point C aufgrund der hohen staatlichen Subventionen unabhängig vom Marktpreis Strom erzeugen und verkaufen könne (150705). Das Gericht hielt diese Wettbewerbsklage für unzulässig. Die dagegen eingelegte Berufung beim Europäischen Gerichtshof (zweite Instanz) blieb erfolglos. Es bleibt nun abzuwarten, ob Österreich gegen das jetzt ergangene Urteil ebenfalls Berufung einlegen wird und ob es damit mehr Erfolg hat.

Nach Ansicht des Gerichts gebührt dem Euratom-Vertrag der Vorrang

Österreich stützte seine Klage unter anderem auf Artikel 107 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV), der alle Beihilfen untersagt, "die durch die Begünstigung bestimmter Unternehmen oder Produktionszweige den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen, soweit sie den Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigen". Das Gericht wertete die genehmigten Subventionen jedoch als eine jener Beihilfen "zur Förderung der Entwicklung gewisser Wirtschaftszweige oder Wirtschaftsgebiete", die nach Absatz 3 Punkt 2 zulässig seien. Außerdem ergebe sich aus dem AEUV, dass jeder Mitgliedstaat das Recht habe, zwischen verschiedenen Energiequellen zu wählen.

Zugleich sei allerdings der Artikel 107 AEUV in diesem Fall gar nicht anzuwenden, da der 1957 geschlossene Euratom-Vertrag, der ausdrücklich die Förderung der Kernenergie zum Ziel hat, nach wie vor gültig sei und als "lex specialis" den Vorrang habe. An der weiterhin vollen und zeitlich unbegrenzten Geltung des Euratom-Vertrags ändere auch der Umstand nichts, dass die fünf Mitgliedsstaaten Deutschland, Irland, Ungarn, Österreich und Schweden anlässlich der Unterzeichnung des Vertrags von Lissabon im Jahr 2007 erklärt haben, dass die zentralen Bestimmungen des Euratom-Vertrags geändert werden müssten.

Es genügt, was eine Regierung als öffentliches Interesse definiert

Für erfüllt hält das Gericht auch die Bedingung, dass eine Beihilfe im öffentlichen Interesse liegen muss. Dabei müsse es sich nicht unbedingt um das Interesse aller oder der Mehrheit der Mitgliedstaaten handeln. Es genüge, dass die britische Regierung die Entwicklung der Kernenergie als Ziel von gemeinsamem Interesse definiert habe, obwohl dies nicht von allen Mitgliedstaaten so gesehen werde.

Revision des Euratom-Vertrags ist längst überfällig

Der Urteilsspruch zeigt somit die Notwendigkeit, den vor mehr als einem halben Jahrhundert geschlossenen Euratom-Vertrag endlich zu revidieren bzw. abzuschaffen. Entgegen der ursprünglichen Intention hat dieser Vertrag nie große praktische Bedeutung erlangt, auch nicht auf dem Höhepunkt der Atom-Euphorie und KKW-Begeisterung (siehe Hintergrund, Januar 2017). Er ist nun aber zu einem erheblichen formaljuristischen Hindernis für die Energiewende auf europäischer Ebene geworden. In Deutschland ist er sogar unvereinbar mit der offiziellen Energiepolitik, die parteiübergreifend Unterstützung findet, und müßte deshalb eigentlich längst gekündigt worden sein.

 

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