Juni 2009 |
090609 |
ENERGIE-CHRONIK |
Die deutschen Stromunternehmen haben in großem Umfang Stellen abgebaut und übertarifliche Leistungen gekappt. Sie haben die dadurch erzielten Einsparungen aber kaum über die Strompreise an die Kunden weitergegeben, sondern stattdessen ihre Gewinne mehr als verdoppelt. Dies zeigt eine Bestandsaufnahme der Ökonomen Heinz-Josef Bontrup, Ralf-Michael Marquardt und Werner Voß, die im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung die Entwicklungen in der liberalisierten Stromwirtschaft seit 1998 untersuchten. Die drei Wissenschaftler befürchten, daß auch künftige wettbewerbspolitische Maßnahmen zur Strompreis-Regulierung zu Lasten der Beschäftigten gehen werden, statt die Gewinne der Konzerne abzuschmelzen.
Schon 2005 konnten die deutschen Stromunternehmen den Anteil
der Gewinne an der Nettowertschöpfung gegenüber 1998 verdoppeln, wie die
drei Ökonomen in ihrer Studie feststellen (Angaben in Prozent).
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Das zweijährige Forschungsprojekt war von der Hans-Böckler-Stiftung der Gewerkschaften mit 165.000 Euro gefördert worden. Über erste Ergebnisse hatten die drei Ökonomen bereits vor einem Jahr in den WSI-Mitteilungen (04/2008) berichtet. Nunmehr präsentierten sie ihre Befunde abschließend auf einem Symposion mit begleitender Pressekonferenz, das am 25. Juni in den Räumen der Fachhochschule Gelsenkirchen stattfand. Die Studie selbst umfaßt etwa 600 Seiten und soll im Herbst dieses Jahres als Buch erscheinen.
Von 1992 bis 2005 gingen fast 30 Prozent der sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätze in der Stromversorgung verloren. Der Personalabbau zur Produktivitätssteigerung begann bereits vor der Marktöffnung, beschleunigte sich 1998 aber noch einmal. Betroffen waren vor allem die Mitarbeiter von Großunternehmen ab 500 Beschäftigten. Per Outsourcing wurden die gestrichenen Jobs zum Teil durch Stellen mit schlechteren Konditionen ersetzt.
Zwar stellten sich bei massivem Arbeitsplatzabbau zwischen 1998 und 2007 Produktivitätsfortschritte von über 70 Prozent ein. An die Kunden weitergegeben wurden sie aber nicht. Nach Abzug staatlicher Belastungen kamen lediglich Preissenkungen von unter fünf Prozent zustande. Einer kurzen Phase intensivierten Wettbewerbs folgte nämlich dessen Aufhebung durch Machtkonzentration in den Händen der vier Konzerne E.ON, RWE, EnBW und Vattenfall. Obwohl der Wettbewerb unterbunden wurde, diente die Drohung damit intern als Menetekel für eine Rationalisierung und eine Umverteilung von den Beschäftigten hin zur Kapitalseite. Die Aktionäre waren so bislang die eigentlichen Begünstigten der Liberalisierung. Branchenweit legten die Gewinne nach Steuern bis 2006 um 118 Prozent zu. Besonders gut erging es dabei den Anteilseignern der vier Konzerne.
Insgesamt gingen die Personalkosten der Energieversorger von 1998 bis 2005 um 2,5 Prozent zurück. Das sei eine Folge des Personalabbaus sowie von Kürzungen bei übertariflichen Leistungen und betrieblicher Altersversorgung, so die Forscher. Dennoch erhöhten sich die Entgelte der verbliebenen Beschäftigten jahresdurchschnittlich um 2,4 Prozent. Dieser Zuwachs liegt allerdings deutlich unterhalb der Produktivitätssteigerung von durchschnittlich 6 Prozent pro Jahr.
Die drei Verfasser der Studie sind an der Fachhochschule Gelsenkirchen tätig: Prof. Ralf-Michael Marquardt lehrt Volkswirtschaft und Quantitative Methoden, Prof. Heinz-Josef Bontrup Allgemeine Betriebswirtschaft und der Diplom-Ökonom Werner Voß ist Wissenschaftlicher Projektmitarbeiter (v.l.n.r.). Pressefoto FHG/BL
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Der Produktivitätsschub kam der Untersuchung zufolge vor allem den Aktionären zugute: "Von der Öffnung der Strommärkte profitierte die Kapitalseite progressiv." 1998 machten die Gewinne knapp 18 Prozent der gesamten Wertschöpfung aus. 2005 lag die Gewinnquote bereits bei 29 Prozent. Insgesamt nahmen die Gewinne im betrachteten Zeitraum um 105 Prozent zu. Das entspricht einem jährlichen Zuwachs von 11 Prozent (siehe Grafik).
Die Studie fand noch einen weiteren Grund für das starke Gewinnwachstum der Versorgungsunternehmen: rückläufige Investitionen in Kraftwerke und Stromnetze. Diese Aufwendungen gingen von 1998 bis 2005 jährlich um 4,4 Prozent zurück, bei den großen Unternehmen mit über 500 Mitarbeitern sogar um 6 Prozent pro Jahr. Daher überrasche es nicht, dass die Bundesnetzagentur in jüngster Zeit auf den Ausbaubedarf der Stromnetze hingewiesen habe.
Gemessen an den Erwartungen sei das Ergebnis der Marktöffnung ernüchternd, stellen die Wissenschaftler fest. Die zunächst zu beobachtenden Preisrückgänge hätten sich als "flüchtig" erwiesen. Anders als bei der Liberalisierung der Telekommunikation seien die Preisvorteile für Verbraucher inzwischen wieder aufgezehrt. In Anbetracht der Marktsituation sei dies auch nicht überraschend, denn die vier Großunternehmen RWE, EON, EnBW und Vattenfall hätten 80 Prozent der gesamten Stromerzeugung und einen großen Teil der Stromnetze in der Hand. Der Verdacht liege nahe, daß Preisabsprachen den Wettbewerb verhindern.
Harte Kritik üben die Wissenschaftler am wirtschaftspolitischen Dilettantismus,
mit dem erst Union/FDP und anschließend SPD/Grüne eine effektive Liberalisierung
des Strommarktes verhindert haben, indem sie es jahrelang der Branche überließen,
sich über die Höhe der Netzentgelte und andere wesentliche Punkte zu verständigen:
"Das klägliche Scheitern dieser naiven Politik war vorhersehbar", stellen
sie fest. "Denn wer bereits vermachtete, bis dahin aber wenigstens regulierte
Märkte öffnet und dann aus ideologischer Überzeugung den Staat aus
der Regulierung zurückzieht und wer darüber hinaus auf ein weichgespültes
Wettbewerbsrecht vertrauen muß, darf sich nicht wundern, wenn der Wettbewerb
als Selbstregulativ einer marktwirtschaftlichen Ordnung versagt." Inzwischen
hätten wohl auch hierzulande die Politiker begriffen, daß die Liberalisierung
der Strommärkte von einer Regulierungsbehörde überwacht werden muß.
Nachdem die EU-Kommission den deutschen Sonderweg "abgewatscht" habe, seien
nun zumindest "zarte Indizien für eine Belebung der Konkurrenz auszumachen".