November 2008

081102

ENERGIE-CHRONIK


Wingas stoppt Erdgasleitung, um Bundesnetzagentur unter Druck zu setzen

Die Wingas AG hat die Planungen für den Bau der Süddeutschen Erdgasleitung (SEL) gestoppt. Sie reagierte damit auf die Entscheidung der Bundesnetzagentur, auch die großen Ferngasnetzbetreiber in die Regulierung einzubeziehen (080901, 081004). Die geforderte Rückgängigmachung dieser Entscheidung wird sie damit allerdings kaum erreichen. Vermutlich geht es ihr deshalb eher darum, die Behörde politisch unter Druck zu setzen, damit diese ihr die beantragten Sonderrechte gemäß § 28a EnWG für die beiden Ostsee-Anschlußleitungen OPAL und NEL gewährt (080907). Die Wingas AG gehört seit drei Jahren zu annähernd gleichen Teilen dem Chemiekonzern BASF und der russischen Gazprom (050404).

Mit dem Planungsstopp für die SEL (unten) will Wingas auch die Einräumung von Sonderrechten für die beiden Ostsee-Anschlußleitungen NEL und OPAL (oben) erreichen.

Die Süddeutsche Erdgasleitung (SEL) soll über rund 500 Kilometer von Lampertheim bei Mannheim nach Burghausen an der Grenze zu Österreich führen. Die Röhren mit einem Durchmesser von 1200 Millimeter würden die bisher vorhandene Kapazität auf dieser Strecke erheblich vergrößern und könnten die über die künftige "Nabucco"-Pipeline ankommenden Gasmengen weitertransportieren. Die Wingas betrieb das Projekt bisher gemeinsam mit der E.ON Ruhrgas, die ursprünglich eine eigene Trasse plante, die weitgehend parallel verlaufen wäre. Die Kosten werden auf mehrere hundert Millionen Euro veranschlagt. Das Planfeststellungsverfahren ist bereits im Gange, wobei es an vielen Stellen zu Konflikten mit betroffenen Gemeinden und Grundstückseigentümern kam.

Vermutlich hat die Wingas ihr jetziges Vorgehen mit E.ON abgestimmt. Nach außen bleibt aber vorläufig unklar, ob oder wie der E.ON-Konzern das Projekt weiterzuführen gedenkt. Als neuer Partner käme beispielsweise der RWE-Konzern in Frage, der Anfang des Jahres in das "Nabucco"-Projekt eingestiegen ist (080206).

Von der Erdgas-Pipeline SEL zu unterscheiden ist das Projekt der Ethylen-Pipeline Süd (EPS), an dem die BASF ebenfalls beteiligt ist. Diese Industrie-Pipeline hat auf baden-württembergischem Gebiet teilweise einen ähnlichen Verlauf wie die SEL und ist bereits im Bau. Die EPS verbindet Erzeuger und Verarbeiter von Ethylen im süddeutschen Raum. Sie führt über 360 Kilometer von Münchsmünster in Bayern, wo sie an eine bereits bestehende Leitung anknüpft, zum Chemiezentrum Ludwigshafen. Betreiber sind neben der BASF der österreichische OMV-Konzern und fünf weitere Chemieunternehmen.

Planungsstopp einen Tag vor Anhörung verkündet

Am 19. November teilte die Wingas Transport GmbH & Co. KG mit, daß sie mit sofortiger Wirkung die Planung für den Bau der Süddeutschen Erdgasleitung (SEL) einstelle. Der Grund dafür seien "die zunehmend unklaren Rahmenbedingungen für den Betrieb und Ausbau von Fernleitungsnetzen in Deutschland". Das Unternehmen sei aber weiterhin bereit, "in ein marktwirtschaftlich organisiertes Transportgeschäft zu investieren und dabei entsprechende Risiken einzugehen", wenn die Entscheidung der Bundesnetzagentur zur Einbeziehung der Ferngasnetze in die Regulierung rückgängig gemacht werde.

Die Wingas-Ankündigung erfolgte kurz vor einer Anhörung der Bundesnetzagentur zu den Anträgen von Wingas und E.ON, ihre beiden Ostsee-Anschlußleitungen OPAL und NEL von der Regulierung freizustellen. Schon im September hatten die beiden Gaskonzerne wissen lassen, daß das ganze Projekt der Ostsee-Pipeline scheitern könnte, wenn ihnen die beantragten Sonderrechte nicht bewilligt würden (080907). Diese Ankündigung klang allerdings nicht sehr glaubwürdig. Mit dem Rückzug aus der Planung der SEL-Pipeline startet die Wingas nunmehr einen neuen Versuch, Politik und Öffentlichkeit davon zu überzeugen, daß die Einbeziehung der Ferngasnetze in die Regulierung rückgängig gemacht werden müsse.

Matthias Kurth verwahrt sich gegen "Aufbau einer Drohkulisse"

Wie schon im September bediente sich die Ferngas-Lobby wiederum der "Frankfurter Allgemeinen" (19.11.), um ihrem Pressionsversuch eine freundlich gestimmte mediale Präsentation zu sichern, bevor er offiziell bekanntgegeben wurde (Überschrift und Tenor des FAZ-Artikels lauteten: "BASF kippt Gasleitungsprojekt – Wegen großer Zweifel an der Wirtschaftlichkeit wird eine 500 Kilometer lange Gasleitung durch Süddeutschland nicht gebaut").

Der Präsident der Bundesnetzagentur, Matthias Kurth, bekundete seinerseits einen Tag später gegenüber der "Frankfurter Allgemeinen" (20.11.) seine Verärgerung über das Vorgehen und die Darstellungsweise der Wingas. "Hier wird eine Drohkulisse gegen die Regulierung der Gasfernleitungen aufgebaut, für die ich kein Verständnis habe", stellte er klar. Kurth verwies auf die hohe Eigenkapitalverzinsung, die seine Behörde den Netzbetreibern zugestanden hat und die für den Bau neuer Pipelines sogar 9,29 Prozent beträgt (080710). Gerade nach den Erfahrungen in der gegenwärtigen Finanzmarktkrise sei das für Investoren eine sehr attraktive Marge. Im Unterschied zu Wingas sei deshalb die Gasunie bereit, Milliarden in das deutsche Netz zu investieren (071120, 080807).

Parallel zum politischen Druck unternimmt die Wingas juristische Schritte, um die Regulierung der Ferngasnetze rückgängig zu machen. Unmittelbar nach der Entscheidung der Bundesnetzagentur, alle zehn großen Ferngasnetzbetreiber ihre Kosten nachweisen zu lassen (081004) kündigte sie am 23. Oktober die Einreichung einer entsprechenden Klage an. Anscheinend will sie damit argumentieren, die Bundesnetzagentur habe nicht hinreichend jene Kriterien überprüft, die gemäß Gasnetzentgeltverordnung (GasNEV) einen Netzbetreiber von der Kostenüberprüfung befreien.

GEODE fordert Streichung der Sonderregelung

Der Europäische Verband der unabhängigen Strom- und Gasverteilerunternehmen (GEODE) begrüßte die Ausdehnung der Regulierung auf die Ferngasnetze und verlangte die völlige Streichung der Sonderregelung in § 3 Abs. 2 GasNEV, die bisher von den zehn Unternehmen in Anspruch genommen worden war. Die lange Verfahrensdauer von fast 33 Monaten bis zur Beendigung der bisherigen Praxis durch die Bundesnetzagentur sei jedoch nicht nachvollziehbar, hieß es in einer Stellungnahme der deutschen Sektion des Verbands vom 21. Oktober. Der 1991 gegründete Verband vertritt die Interessen von Stadtwerken und anderen konzernunabhängigen Gas- und Stromverteilern.

"Die umfassend begründeten und im Ergebnis eindeutigen Entscheidungen zeigen, daß der Leitungswettbewerb auf Fernleitungsnetzebene nie etwas anderes als eine reine Illusion war", erklärte der stellvertretender GEODE-Präsident Christian Held. "Nun ist es Aufgabe der Bundesnetzagentur, endgültig die Gleichbehandlung zwischen Fernleitungs- und Verteilnetzbetreibern im Bereich der Netzentgeltregulierung sicherzustellen und, wie bereits auch bei den Stadtwerken praktiziert, eine ordentliche und strenge Kostenprüfung vorzunehmen. Die Politik ist aufgerufen, die überflüssige Sonderregelung aus der Gasnetzentgeltverordnung zu streichen."

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