Oktober 2005

051002

ENERGIE-CHRONIK


Bundesgerichtshof stärkt die Position von Netznutzern

Stromlieferanten können eine zivilgerichtliche Überprüfung der Höhe des vertraglich vereinbarten Netznutzungsentgelts am Maßstab "guter fachlicher Praxis" gemäß § 6 Abs. 1 des alten Energiewirtschaftsgesetzes verlangen, wenn sich dieses Entgelt nach den jeweils aktuellen Preisen des Netzbetreibers richten soll. Dies entschied am 18. Oktober der Kartellsenat des Bundesgerichtshofs und verwies den Rechtsstreit zurück an das Berufungsgericht. Wenn es dem beklagten Netzbetreiber dort nicht gelingen sollte, die Angemessenheit seiner Tarife darzulegen, müßte er dem Kläger die überhöhten Anteile des Netzentgelts zurückzahlen.

Wie schon im Urteil vom 28. Juni, mit dem der Bundesgerichtshof eine Mißbrauchsverfügung des Bundeskartellamts gegen die Stadtwerke Mainz für zulässig erklärte (050604), wird damit die Position des Bundeskartellamts gestärkt und die rechtliche Bedeutung der von der Stromwirtschaft in den Verbändevereinbarungen festgelegten Preisfindungsprinzipien - trotz ihrer zeitweiligen Verankerung als "gute fachliche Praxis" in § 6 Abs. 1 des alten Energiewirtschaftsgesetzes - weiter herabgestuft. Beide Urteile betreffen an sich nur Streitfälle der Vergangenheit, da das neue Energierecht seit Juli 2005 die Genehmigung der Netznutzungsentgelte der neuen Bundesnetzagentur als Regulierungsbehörde überträgt. Die damit verbundenen grundsätzlichen Ausführungen des obersten Gerichts stärken aber auch unter den neuen Bedingungen die Position von Netznutzern und Kunden. So hat sich inzwischen - wohl auch unter dem Eindruck des BGH-Urteils - der Regionalversorger E.ON Hanse der gerichtlichen Aufforderung gebeugt, die Kalkulation seiner Gaspreise offenzulegen (051004).

"Lichtblick" klagte durch zwei Instanzen vergeblich gegen die MVV Energie

In dem strittigen Fall hatte die Firma Lichtblick, die bundesweit Strom anbietet, aber über kein eigenes Netz verfügt, mit der MVV Energie einen Rahmenvertrag über die Nutzung von deren Stromnetz geschlossen. Darin war vorgesehen, dass sich das Durchleitungsentgelt nach dem jeweils geltenden Preisblatt der MVV Energie bestimmt. Lichtblick hatte sich bei Vertragsschluss vorbehalten, "die … in Rechnung gestellten Entgelte im ganzen und in ihren einzelnen Bestandteilen energie- und kartellrechtlich überprüfen zu lassen". Das Landgericht Mannheim hatte die mit dem Ziel einer solchen Überprüfung erhobene Klage jedoch abgewiesen, und die Berufung zum Oberlandesgericht Karlsruhe blieb ebenfalls keinen Erfolg.

"Einseitiges Preisbestimmungsrecht" muß überprüfbar bleiben

Der Bundesgerichtshof sieht dagegen in der vertraglich vorgesehenen dynamischen Verweisung auf die jeweils geltenden Preisblätter des Netzbetreibers ein einseitiges Preisbestimmungsrecht im Sinne des § 315 Abs. 1 BGB, das gemäß § 315 Abs. 3 BGB daraufhin zu überprüfen ist, ob das Verlangen billigem Ermessen entspricht. Dem stehe nicht entgegen, dass § 6 Abs. 1 des alten Energiewirtschaftsgesetzes (i.d.F. vom 26.8.1998 bzw. vom 20.5.2003) die Bedingungen der Netzüberlassung gesetzlich festlegt. Durch den vom Energiewirtschaftsgesetz vorgesehenen Maßstab "guter fachlicher Praxis" werde der allgemeine Maßstab des "billigen Ermessens" vielmehr konkretisiert. Eine gute fachliche Praxis solle dabei auch der Gewährleistung wirksamen Wettbewerbs dienen (§ 6 Abs. 1 Satz 4 EnWG a.F.) und müsse sich an diesem Ziel messen lassen.

Die "gute fachliche Praxis" nach § 6 Abs. 1 EnWG hat keine fortdauernde Vermutungswirkung

Ausdrücklich tritt der Bundesgerichtshof der Auffassung entgegen, bei Beachtung der Preisfindungsprinzipien der Anlage 3 zur Verbändevereinbarung Strom II plus könne auch für die Zeit nach dem 31. Dezember 2003 die Erfüllung der Bedingungen guter fachlicher Praxis vermutet werden. Eine solche Vermutung sehe § 6 Abs. 1im alten EnWG nur für den Zeitraum bis zum 31. Dezember 2003 vor. Die Erwägung, der Gesetzgeber habe für eine Übergangszeit Rechtssicherheit schaffen wollen, verbiete es, die Vermutungswirkung entgegen dem Wortlaut des Gesetzes über das Jahr 2003 hinaus auszudehnen.

Der Bundesgerichtshof bestätigte ferner seine Rechtsprechung, dass die Vermutung der Einhaltung guter fachlicher Praxis auch für ihren zeitlichen Geltungsbereich den Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung im Sinne des § 19 Abs. 4 Nr. 1 GWB oder eine Diskriminierung gemäß § 20 Abs. 1 GWB nicht ausschließt. Die kartellrechtliche Prüfung sei vielmehr von der energiewirtschaftsrechtlichen grundsätzlich unabhängig.