März 2005 |
050301 |
ENERGIE-CHRONIK |
SPD und Grüne einigten sich am 10. März auf etliche Änderungen am ursprünglichen Regierungsentwurf für ein neues Energiewirtschaftsgesetz (EnWG). Wie schon im Oktober 2004 angekündigt (041001), kommt die Bundesregierung nun den Änderungswünschen des Bundesrats (040901) insoweit entgegen, als sie dessen Forderung nach einer "Anreizregulierung" aufgreift und bis zum Wirksamwerden einer entsprechenden Regelung mit der Vorab-Regulierung der Netzzugangsentgelte einverstanden ist. Zu diesem Zweck wurden die Paragraphen 22 und 116 (Anreizregulierung) und 122 (Vorab-Genehmigung) neu in den Gesetzestext eingefügt. Die Einzelheiten der Anreizregulierung will die Bundesregierung in einer Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrats regeln. Ferner wurden zahlreiche andere Passagen des bisherigen Gesetzentwurfs mehr oder weniger stark verändert.
Das umstrittene Prinzip der Nettosubstanzerhaltung (041001) bei der Berechnung der Netznutzungsentgelte in § 21 wurde beibehalten. Nicht durchsetzen konnte sich Wirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD) indessen mit seiner Absicht, den Netzbetreibern auch die Einbeziehung der Körperschaftssteuer in die Kalkulation der Netznutzungsentgelte zu gestatten (041101) und die Netznutzungsentgelte für Großstromverbraucher zu halbieren (050103).
Gegenüber dem bisher geltenden Energiewirtschaftsgesetz, das mit 24 Paragraphen auskam, ist der Entwurf für das neue EnWG mit insgesamt 123 Paragraphen weiterhin ein überaus kompliziertes Gebilde, das zum großen Teil der weiteren Konkretisierung durch Rechtsverordnungen bedarf und damit nur noch für Spezialisten einigermaßen verständlich ist. Schon der erste Gesetzentwurf litt unter diesen Mängeln. Der Bundesrat hielt ihn deshalb sowohl inhaltlich als auch unter gesetzestechnisch formalen Aspekten für stark überarbeitungsbedürftig (040901). Der "Bund der Energieverbraucher" charakterisierte den revidierten Entwurf als "unnötig komplexes Gesetzesungetüm".
Die rot-grüne Koalition will den geänderten EnWG-Entwurf so bald wie möglich vom Parlament beraten und verabschieden lassen. Der von den unionsregierten Ländern dominierte Bundesrat wird vermutlich den Vermittlungsausschuß anrufen. Falls er sich trotz des Vermittlungsverfahrens zu einer zügigen Mitwirkung bereitfindet, könnte das neue EnWG noch in der ersten Jahreshälfte in Kraft treten.
Die Europäische Kommission hat am 16. März die Bundesrepublik Deutschland zum zweiten Mal gemahnt, weil sie die 2003 in Kraft getretenen neuen EU-Richtlinien für den Strom- und Gasbinnenmarkt (030601) noch immer nicht in Form des neuen Energiewirtschaftsgesetzes umgesetzt hat. Nach den Vorgaben der EU hätte die Richtlinie bis 1. Juli 2004 umgesetzt sein müssen (030704). Zusammen mit Deutschland stehen Belgien, Estland, Griechenland, Irland, Lettland, Litauen, Luxemburg, Schweden und Spanien am Pranger. Immerhin hat sich die Zahl der Nachzügler stark verringert: Im Oktober 2004 gingen die Mahnschreiben noch an insgesamt 18 der 25 Mitgliedstaaten (041001).
"Das Ergebnis ist enttäuschend", erklärte der Bund der Energieverbraucher (BdEV) am 21. März zum revidierten EnWG-Entwurf der rot-grünen Koalition. Die meisten Kritikpunkte und Änderungsvorschläge der Verbände und des Bundesrates seien nicht berücksichtigt worden. Der Gesetzentwurf sichere statt der Versorgungssicherheit die Erträge der Energiewirtschaft. Wesentliche Inhalte wie die Versorgungsbedingungen für Haushaltskunden würden im Gesetzestext nicht ausformuliert, sondern seien Gegenstand von Verordnungen, die noch nicht einmal im Entwurf vorliegen und dem Bundeswirtschaftsministerium weitgehende Gestaltungsmöglichkeiten einräumen. Auch die Aufsicht über die Regulierungsbehörde hänge sehr stark vom Bundeswirtschaftsministerium ab, das bekanntermaßen der Versorgungswirtschaft nahestehe.
Die von der Regierungskoalition neu eingeführte Berichtspflicht zur Versorgungssicherheit (§ 12) reiche nicht aus, meinte der BdEV weiter. Eine Verpflichtung der Netzbetreiber zur Erhaltung und Ausbau der Netze in versorgungssicherndem Umfang enthalte das Gesetz nicht. Darin unterscheidet es sich vom bis 1998 geltenden Energiewirtschaftsgesetz, das eine solche Verpflichtung enthielt.
Mit der Festschreibung der Nettosubstanzerhaltung in § 21 finde der zentrale Bestandteil der bisherigen Entgeltkalkulation der Verbändevereinbarung Eingang in das künftige Gesetz. Gerade diese Regelung habe jedoch zu den derzeit weit überhöhten Netznutzungsentgelten geführt. Sie garantiere nicht nur, dass sämtliche Kosten der Netzbetreiber über die Netznutzungsentgelte von den Verbraucher aufzubringen sind, sondern gestatte auch die Umlage fiktiver Kosten. Die von der Regierungskoalition neu eingeführte Anreizregulierung in § 22 garantiere den Unternehmen die Nettosubstanzerhaltung als Untergrenze der Anreizregulierung. Damit werde die Anreizregulierung zur Farce.
Eine wesentliche Verbesserung gegenüber der ursprünglichen Vorlage des Wirtschaftsministeriums sei dagegen § 23, der das Meßwesen dem Wettbewerb öffne. An dieser Verbesserung müsse festgehalten werden. Erfreulich sei ferner, daß in § 1 mit der Forderung nach einer sicheren, preisgünstigen, verbraucherfreundlichen, effizienten und umweltverträgliche Strom- und Gasversorgung nunmehr auch das Ziel der Effizienz genannt werde.
Der Koalitionskompromiss enthalte zwar akzeptable Fortschritte, doch sei vieles noch verbesserungsbedürftig, erklärte der Verband kommunaler Unternehmen (VKU). Als Erfolg wertete er die grundsätzliche Festschreibung des Nettosubstanzprinzips bei der Kalkulation der Netzentgelte, den Erhalt der Steuerneutralität bei Umsetzung des gesellschaftsrechtlichen Unbundlings, den Ausgleich für vermiedene Netznutzungsentgelte für dezentrale Erzeuger, die Festlegung des Eigenkapitalzinssatzes bis zum Beginn der Anreizregulierung für Strom mit 6,5 Prozent und für Gas mit 7,8 Prozent sowie die Verständigung darauf, dass die Regulierungsbehörde bei Einführung der Anreizregulierung einen Zinssatz nach Steuern festzulegen habe.
Der Verband der Elektrizitätswirtschaft (VDEW) kritisierte, daß der Gesetzentwurf der Regulierungsbehörde freie Hand bei der Festlegung der Netzpreise lasse. Dies schaffe Rechtsunsicherheit.
Die Verbraucherzentralen beanstandeten die geplanten Rabatte für
industrielle Großkunden: Die Stromkonzerne erhielten damit "einen Freifahrtschein,
sich die verminderten Einnahmen an anderer Stelle bei Mittelständlern
und Privathaushalten wieder hereinzuholen". Der Bundesverband der Energie-Abnehmer
e.V. (VEA) begrüßte dagegen den Entwurf und sah keinen Anlaß
zu der Befürchtung, es könnten pauschale Rabatte zu Lasten des Mittelstandes
und der Privathaushalte gewährt werden.