Oktober 2004

041006

ENERGIE-CHRONIK


Frankreich baut ersten EPR in Flamanville

Die Electricité de France (EDF) baut ihren ersten Europäischen Druckwasserreaktor (EPR) am Standort Flamanville am Ärmelkanal (siehe Karte). Dies teilte der neue EDF-Chef Pierre Gadonneix (041013) am 21. Oktober mit. Die Bauarbeiten sollen im Jahr 2007 beginnen und etwa fünf Jahre dauern. Mit dem Projekt in Flamanville beginnt die sukzessive Ersetzung des Altbestandes an Kernkraftwerken durch Neuanlagen vom Typ EPR auf der Grundlage des neuen Energiegesetzes (040503), das die Nationalversammlung im Juni 2004 verabschiedete. Bis zum Jahr 2020 sollen von den derzeit 58 Reaktoren 19 durch den EPR ersetzt werden. Der EPR ist eine gemeinsame Entwicklung von Framatome und Siemens. Das erste Kernkraftwerk dieses Typs soll im Jahr 2009 in Finnland ans Netz gehen (031205).

Die EDF begründete die Wahl des Standorts Flamanville im Departement Manche mit den dort vorhandenen Kühlwasserreserven, der günstigen Einspeisung in das Transportnetz, Umweltgesichtspunkten und der breiten Unterstützung des Projekts bei der Bevölkerung. Als Alternativen zu Flamanville waren Penly (Seine-Maritime) und Tricastin (Drôme) im Gespräch gewesen.

Kernkraftgegner rufen Stromkunden zum Widerstand auf

Nach Ansicht der französischen Anti-Kernkraft-Organisation "Sortir du nucléaire" hat die EDF mit Flamanville bewußt eine Region ausgesucht, die "von der Atomlobby kolonisiert" worden sei. Als Standort des Kernkraftwerks Flamanville, der Wiederaufarbeitungsanlage La Hague sowie eines Lagers für eine halbe Million Kubikmeter radioaktiver Abfälle sei das Departement Manche hinsichtlich Arbeitsplätzen und Steueraufkommen extrem von der Atomindustrie abhängig. Die lokale Unterstützung des EPR-Projekts dürfe nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Mehrheit der französischen Bevölkerung den Bau neuer Reaktoren ablehne.

Um das Programm für den Neubau von Reaktoren zu durchkreuzen, hat "Sortir du nucléaire" die französischen Stromkunden aufgerufen, den Verwaltungsapparat der EDF auf legale Weise zu stören und zu lähmen. Zum Beispiel sollen sie Stromrechnungen nicht mehr abschlagsweise vom Konto abbuchen lassen, sondern auf exakte Abrechnung umstellen und die Rechnungssumme in bis zu zehn Teilbeträgen überweisen.

"Schwarzbuch" bezweifelt Sicherheit des EPR

Die Organisation "Sortir du nucléaire" bezweifelte ferner, daß der EPR sicherer als die alten Anlagen sei. In einem im Internet veröffentlichten "Schwarzbuch zum EPR" beruft sie sich unter anderem auf ein Papier, das die deutsche Sektion der "Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges, Ärzte in sozialer Verantwortung" (IPPNW) veröffentlichte. Demnach sind beim EPR die ursprünglichen Sicherheitsberechnungen zugunsten einer Leistungssteigerung auf 1600 MW vernachlässigt worden. Schon deshalb sei ein Kernschmelzunfall nicht auszuschließen. Der EPR verfüge auch über keinen "kernschmelzfesten Sicherheitsbehälter", wie es immer dargestellt werde. Tatsächlich könne es beim Absturz der Kernschmelze auf die Auffangfläche und durch die Zufuhr von Kühlwasser "mit nicht geringer Wahrscheinlichkeit zu heftigen Dampfexplosionen" kommen. Weiterhin verfüge der EPR überwiegend über störanfällige "aktive" statt über "passive" Sicherheitssysteme. Ein zusätzliches Sicherheitsrisiko sei die digitale Sicherheitstechnik, die - im Unterschied zur erprobten analogen Technik - ein "gefährliches Großexperiment mit einer unausgereiften Steuerungstechnik" darstelle. Wie gefährlich der Einsatz digitaler Leittechnik sein könne, habe ein Ereignis im deutschen Kernkraftwerk Neckarwestheim1 deutlich gemacht, wo 1998 ein erheblicher Teil der bis dahin ausschließlich festverdrahteten Steuerungstechnik auf die digitale Siemens-Sicherheitsleittechnik "Teleperm XS" umgerüstet worden sei: Am 10. Mai 2000 sei durch ein Versagen dieser digitalen Leittechnik der für die Reaktorschnellabschaltung erforderliche Einfall der Steuerstäbe in den Reaktorkern für kurze Zeit blockiert und so die zentrale Sicherheitseinrichtung des Kernkraftwerks außer Kraft gesetzt worden.

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